»Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen« |
Die Klima- und Umweltkrise betrifft nicht nur das Wetter oder die Wälder, sondern auch die Gesundheit der Menschen. / Foto: Adobe Stock/jozsitoeroe
PZ: In Ihrem Buch »Überhitzt« beschreiben Sie eindringlich gemeinsam mit der Wissenschaftsautorin Katja Trippel die Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit. Wie kam es zu Ihrem Engagement für das Thema?
Traidl-Hoffmann: Seit wir wissen, dass die Umwelt Gene verändern kann, war für mich klar, Krankheiten auch auf ihren Umweltaspekt hin zu untersuchen. Als Dermatologin und Allergologin habe ich früh bemerkt, wie komplex Erkrankungen sind und dass die Umwelt eine zentrale Rolle beim Krankheitsgeschehen spielen kann. Ich bin Professorin für Umweltmedizin an der medizinischen Fakultät der Universität und des Universitätsklinikums Augsburg und Direktorin des Instituts für Umweltmedizin am Helmholtz Zentrum in München. In der Forschung untersuchen wir unter anderem, wie das Hautmikrobiom bei Neurodermitis von der Makroumwelt beeinflusst wird. In meiner Lehre kann ich das Wissen dann auch an angehende Ärztinnen und Ärzte weitergeben.
PZ: Sie leiten auch die Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Augsburger Universitätsklinikum. Welche Beschwerden, die sich auf Umweltfaktoren zurückführen lassen, haben Sie beobachtet?
Umweltmedizinerin Professor Dr. Claudia Traidl-Hoffmann / Foto: Andreas Heddergott / TU München
Traidl-Hoffmann: Ich hatte es immer häufiger mit Patientinnen und Patienten zu tun, die nicht ins Lehrbuchschema passten. Sie kamen schon im Februar mit Borreliose oder im Januar mit schweren Heuschnupfensymptomen zu uns, also quasi zum falschen Zeitpunkt. Dass da offensichtlich klimatische Veränderungen eine Rolle spielten, weckte mein wissenschaftliches Interesse.
Wir wissen heute, dass die Erderwärmung allergene Pflanzen und ihre Pollen verändert, dass Pollenmenge und Pollenaggressivität steigen. Die Luftverschmutzung verschärft die Lage noch und macht uns Menschen empfindlicher für Allergien. Auch neue Pollen tauchen auf, von der einjährigen Pflanze Ambrosia beispielsweise, die durch den Klimawandel bei uns eine neue Heimat gefunden hat und schweres Asthma auslösen kann.
Eine Augsburger Studie zeigte 2019, dass Pollen auf Schleimhäuten Zytokine ausschalten, die eigentlich Viren in Schach halten sollen. Pollen spielen auch eine unterschätzte Rolle beim Infektionsgeschehen wie der Coronapandemie. Wir empfehlen deshalb Hochrisikopatienten und -patientinnen in der Pollensaison das Tragen von FFP2-Masken auch draußen im Freien.
Was die aktuelle Pandemie zudem zeigt: Corona, Ebola oder SARS treten deshalb häufiger auf, weil wir Menschen in die Lebensräume der Tiere eindringen, Landschaften und Ökosysteme zerstören und so die Entstehung von Zoonosen begünstigen.
PZ: Sechs der elf extremsten Hitzewellen zwischen 1950 und 2020 in Deutschland traten nach dem Jahr 2000 auf. 2003 steht auf der Liste ganz oben, gefolgt von 2018, 2019, 2015, 2006 und 2002. Mit welchen gesundheitlich Folgen durch Hitze müssen wir rechnen?
Traidl-Hoffmann: Zusammengefasst kann man sagen, dass durch Hitzewellen Gesunde kräftemäßig abbauen und Kranke kränker werden, nicht nur Menschen mit Herzproblemen. Patienten mit Diabetes, Nierenerkrankungen und Adipositas sind ebenso betroffen wie Menschen mit Demenzerkrankungen, Multipler Sklerose und Neurodermitis. Die vulnerablen Gruppen sind aber nicht nur die Kranken und Älteren. Die Gefahr, sich bei Megahitze draußen aufzuhalten, ist nicht zu unterschätzen. Wenn ein junger Mensch an einem Hitzetag mit einer Kerntemperatur von 43 Grad in die Notaufnahme eingeliefert wird, weil er sich zu lange ungeschützt in der Sonne aufgehalten hat, sind die Aussichten zu überleben gering. Was ich damit sagen will ist, dass es jeden treffen kann.
PZ: Kann sich der menschliche Organismus an größere Hitze anpassen und damit zurechtkommen?
Traidl-Hoffmann: Wir sind anpassungsfähig, das sieht man an den Menschen in Südeuropa oder auf dem afrikanischen Kontinent, die schon länger mit starker Hitze leben. Nur sind die Temperaturschwankungen inzwischen so extrem, dass wir hierzulande gar keine Zeit haben, uns daran anzupassen.
PZ: Man kann den Überblick verlieren angesichts der unzähligen Initiativen für Kohleausstieg, Energiewende, gegen die Abholzung der Wälder und die Verschmutzung von Luft und Meeren. Wo ist die Koordinierungsstelle, die all das bündelt?
Traidl-Hoffmann: Das stimmt absolut, deshalb bräuchten wir ein Klimaministerium. Wir müssen in einer konzertierten Aktion das System in Deutschland und weltweit an die Klimaveränderungen anpassen und versuchen, den Klimawandel gemeinsam aufzuhalten. Natürlich muss man dabei auch auf wirtschaftliche Aspekte schauen, aber wenn beispielsweise die Welt in großen Teilen unbewohnbar wird und die Migration in die bewohnbaren Regionen zwangsläufig zunimmt, ist das nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern destabilisiert auch die Wirtschaft. Zu sagen, Klimaschutz sei zu teuer, ist zu kurz gedacht. Es wird teurer, wenn wir nicht jetzt handeln. Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen.
PZ: Der Gesundheitssektor gehört zu den ganz großen CO2-Schleudern. Der Energieverbrauch pro Krankenbett einer Klinik entspricht etwa dem eines Einfamilienhauses. Wie kommt man hier zu mehr Energieeffizienz und weniger Müll?
Traidl-Hoffmann: Es bilden sich hier immer mehr Initiativen, die sich dafür starkmachen. Es gibt Klik green - ein Projekt zur Qualifizierung des Klinikmanagements in Krankenhäusern und Rehakliniken – oder das bayerische Green Hospital. Eine Anästhesisten-Initiative setzt sich bei der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) dafür ein, auf klimaschädliche Narkosegase zu verzichten. Die verschiedenen Helmholtz-Forschungsinstitute haben sich zu einer Klimaallianz zusammengetan. Am Zentrum für Klimaresilienz in Augsburg arbeiten wir gerade an einem Konzept, um den Gesundheitssektor nachhaltig zu machen und Regularien aufzustellen. Ein Krankenhausneubau muss heute nachhaltig sein, das darf nicht an mehr Kosten scheitern.
PZ: Sie als Wissenschaftlerin können Impulse geben, aber die Politik entscheidet. Wie erreichen Sie die politische Entscheiderebene?
Traidl-Hoffmann: Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek hat jetzt beispielsweise eine Taskforce eingerichtet, nicht nur für mehr Nachhaltigkeit in Kliniken, sondern auch zur Gesundheitsversorgung von Menschen während Hitze- und Hochwasserperioden. Dazu sollen die vorhandenen Notfallpläne endlich mal aus den Schubladen geholt und den Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Aber wir sind auch auf Bundesebene unterwegs. Auch im Umweltbundesamt sitzen Menschen, die wissen, dass unsere Gesundheit eng mit dem Klimawandel zusammenhängt.
Zentral wird in Zukunft die Wissenschaftskommunikation sein. Neu ist jetzt das Munich Science Communication Lab. Hier sollen Expertisen aus den Bereichen der Gesundheits- und Klimaforschung unter dem Oberbegriff »Planetary Health« zusammengebracht und Menschen beziehungsweise die Gesellschaft überzeugt werden, dass ein »weiter so« nicht möglich ist. Es geht dabei um die Kommunikation mit passenden Medien und Vermittlungsformaten zur globalen Gesundheit – mit besonderem Augenmerk auch auf kritische und skeptische Gruppen.
PZ: Wenn man als niedergelassene Apotheke oder Arztpraxis konkret anfangen will, den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern: Was kann man tun?
Traidl-Hoffmann: Arztpraxen und Apotheken können sich zum Beispiel an die erwähnte Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) wenden. Hier wurde eine eigene Aktionsplattform für die Gesundheitsberufe gegründet oder die Initiative Klimaneutraler Gesundheitssektor 2035 ins Leben gerufen.
PZ: Große Räder lassen sich schwerer drehen als kleine. Was kann jeder Einzelne für den Klimaschutz tun?
Traidl-Hoffmann: Natürlich ist auch der Verbraucher gefragt – Zugfahren statt Inlandflüge, wenig oder kein Fleisch essen, bewusst konsumieren -, aber bis diese Maßnahmen greifen, ist es zu spät. Das Überschreiten der sogenannten Kipppunkte könnte zu katastrophalen Verhältnissen führen. Ist der Kipppunkt des Grönlandeises beispielsweise überschritten, bringt das wortwörtlich das Fass zum Überlaufen – mit klimatischen Folgen auch für weit entfernte Gebiete weltweit. Damit können unumkehrbare Prozesse in Gang kommen, die nicht mehr aufzuhalten sind. Deshalb braucht es jetzt wirklich politische Entscheidungen für den großen Wurf, nur so können wir das Ruder noch herumreißen.
* »Überhitzt« wurde von der Zeitschrift »Bild der Wissenschaft« für die Wahl zum Wissenschaftsbuch des Jahres in der Kategorie »Zündstoff« nominiert.
Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG)
https://www.klimawandel-gesundheit.de
Zentrum für Klimaresilienz – Uni Augsburg
https://www.uni-augsburg.de
Klimaresilienz — Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
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