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Folgen des Valsartan-Skandals

»Wir brauchen schärfere Kontrollen«

Potenziell krebserregende Substanzen in unseren Blutdruckmedikamenten – wie konnte es soweit kommen? Und wie lassen sich Skandale wie beim Valsartan verhindern? Darüber diskutierten Apotheker und Experten bei der Pharma-World auf der Expopharm in München. Einig waren sie sich: Die Überwachung muss besser werden – und die Apotheken haben einen richtig guten Job gemacht.
Daniela Hüttemann
10.10.2018  19:22 Uhr

»Wir Apotheker waren die ersten Ansprechpartner für verunsicherte Patienten und waren auch relativ gut informiert dank ZL und AMK«, so Fritz Becker, Apothekeninhaber aus Pforzheim und Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV). Die Ärzte seien nicht so gut informiert gewesen, sodass die Apotheker das zentrale Element zwischen Patienten, Ärzten und Krankenkassen gewesen seien. Ärgerlich sei gewesen, dass einige Informationen durch die Medien gingen, bevor die Heilberufler Bescheid wussten.

»Die Verunsicherung bei den Menschen hält immer noch an«, berichtet auch Dr. Andreas Kiefer, Apotheker aus Koblenz und Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK). Auch diese Woche hätte er noch Patienten entsprechend beraten müssen. »Die größte Herausforderung ist dabei, die Compliance zu wahren«, so Kiefer. Die Angst vor der potenziell krebsauslösenden Substanz N-Nitrosodimethylamin (NDMA) sitzt tief. Zudem seien derzeit Kombipräparate aus Valsartan und Thiazid kaum verfügbar, sodass einige Patienten zwei statt einer Tablette einnehmen müssen.

Wer ist nun Schuld? Rechtlich wird diese Frage wohl schwierig zu klären sein. »Wenn wir eines gelernt haben, ist es das, dass Länder und Bund genau wie Apotheker, Großhändler und Hersteller noch enger zusammenarbeiten müssen, um solche Rückrufe in den Griff zu bekommen«, so Kiefer. Zumal zeige es, dass man sich nie auf Zertifikate allein verlassen dürfe, sondern nur die substanzielle Qualitätskontrolle zähle. »Da werden wir mehr investieren müssen, wenn wir globalisiert einkaufen«, so Kiefer.

Der Ansicht ist auch der Pharmakologe Professor Dr. Fritz Sörgel aus Nürnberg. Er sieht in erster Linie den Hersteller  in der Verantwortung. »Solche Substanzen zu finden, gibt unser bisheriges Qualitätssystem nicht her.« Auch sei die EU-Behörde EDQM, die dem chinesischen Wirkstoff-Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceuticals für sein neues Syntheseverfahren das entsprechende Zertifikat ausgestellt hatte, dass dies Arzneibuchkonform sei, personell nicht gut genug ausgestattet.

Versagen auf allen Ebenen

Professor Dr. Mona Tawab, wissenschaftliche Leiterin des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker, das noch vor den Behörden zeigen konnte, dass NDMA tatsächlich in deutschen Generika enthalten war, sieht ein multifaktorielles Versagen auf allen Ebenen. »Im Prinzip haben wir ein gut funktionierendes, hoch reguliertes System mit genügend Leitlinien, die es hätten aufdecken können«, so die Apothekerin. Anscheinend habe der chinesische Hersteller es nicht so genau genommen mit der Good Manufacturing Practise (GMP) und sei schlampig mit Änderungshinweisen umgegangen. Diese habe er zwar dem EDQM mitgeteilt, unklar sei der Öffentlichkeit aber weiterhin, in welchem Umfang – ob die EDQM-Experten überhaupt die entscheidenden Informationen hatten, sei nicht bekannt.

Auch europäische Kontrolleuren sei bei ihren Inspektionen vor Ort in China nichts aufgefallen. Vermutlich hatten auch die Zulassungsinhaber, die das Valsartan zu Endprodukten weiter verarbeiten, nicht genug Informationen. »Dann können sie auch die Analytik nicht darauf ausrichten«, erklärt Tawab, nach dem Motto, man muss schon wissen, wonach man suchen muss. »Wie lange wollen wir uns noch abhängig machen von der Mitteilungsbereitschaft der Wirstoffhersteller in Asien machen?«, fragte Tawab.

Um Abhilfe zu schaffen, sollte auch bei kleineren Molekülen wie bereits bei den biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln gelten »das Produkt ist der Prozess«, forderte Professor Dr. Theo Dingermann von der Uni Frankfurt. Ändere ein Hersteller das Produktionsverfahren, solle er eine Art Neuzulassung durchlaufen wie bei den Biosimilars. Die Prüfung dürfe man nicht einzelnen Personen überlassen, sondern einem Gremium aus Experten mit verschiedenen Kompetenzen, die sich ergänzen.

Die Apotheker, die den Skandal gemeinsam mit den Patienten ausgebadet haben, seien bereit, sich aktiv in Verbesserungsprozesse bei den Zulassungsinhabern und Behörden einzubringen, versicherte BAK-Präsident Kiefer. »Wir müssen überlegen, wie wir noch schneller reagieren können.« Die Hersteller müssten mehr in die Qualitätssicherung investieren und die Transparenz in allen Bereichen besser werden. »Wir müssen sicher sein können, dass wir saubere Arzneimittel bekommen«, forderte DAV-Chef Becker. Der Valsartan-Skandal müsse Konsequenzen haben, die Missstände, die nun zutage getreten sind, dürften nicht unter den Teppich gekehrt werden. »Um die Qualität zu wahren, müssen wir neutrale Stellen für die Überwachung schaffen«, so Becker.

Er wies wie in seiner Rede zur Eröffnung der Expopharm am Morgen darauf hin, dass auch mit dem immer stärkeren Preisdruck auf die Generikahersteller wie durch die Rabattverträge Schluss sein müsse. Qualität und Sicherheit haben nun einmal ihren Preis. In seinem Faktencheck zum Valsartan-Skandal hatte zuvor Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Uni Frankfurt, der die Podiumsdiskussion moderierte, konstatiert, dass die Tagestherapiekosten für Valsartan zuletzt bei 13 Cent lagen. Hier müsse man sich schon fragen, wie gerechtfertigt solch niedrige Preise für eine lebenserhaltene Arzneimitteltherapie seien. Schubert-Zsilavecz: »Man kann die Preise mit Gewalt auch soweit drücken, sodass die Medikamente nichts mehr kosten – aber können wir uns das auch leisten?«

Fotos: ZL (oben), PZ/Alois Müller (unten)

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