Wie können Landapotheken erhalten werden? |
Brigitte M. Gensthaler |
27.06.2023 13:00 Uhr |
Die Apotheke gehört einfach dazu. Wohl dem Ort, der noch eine hat. / Foto: Adobe Stock/bevisphoto
Viel Lob für ihre Arbeit im ländlichen Raum, vor allem während der Pandemie, heimsten die Apotheker gestern bei einer Online-Veranstaltung der Akademie Ländlicher Raum Baden-Württemberg ein. Dort wurde das aktualisierte Gutachten zur Qualität der Arzneimittelversorgung im ländlichen Raum Baden-Württtembergs vorgestellt. Die Auswertung unterstreicht die Schlüsselrolle der Apotheken im Netzwerk der Gesundheitsanbieter. Moderator Sebastian Schreiber, Pressesprecher im Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR), sprach von einer »Perle in der Infrastruktur unseres Landes«.
Für MLR-Minister Peter Hauk, CDU, gehören Apotheken zur Daseinsvorsorge einfach dazu. Aktuell gebe es noch keine Unterversorgung. »Da aber die am dünnsten besiedelten Landkreise einen hohen Anteil an älteren Einwohnern haben, ist der Versorgungsbedarf dort größer. Darüber hinaus sind die Wegzeiten in den ländlichen Räumen bei Nacht und an den Wochenenden oft weiter als in den Städten.« Unterversorgung könne drohen, wenn Apothekenleiter kein Fachpersonal und keine Nachfolger finden und die Betriebe nicht mehr verkäuflich sind.
Hier will auch der Baden-Württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Bündnis 90/Die Grünen) gegensteuern. »Die Vorort-Apotheken spielen eine wichtige Rolle für die gesamte Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum, denn sie agieren mit allen Akteuren im Gesundheitswesen. Ihre Rolle muss gestärkt werden«, versicherte er gestern. Alle Menschen müssten wohnortnah gleichberechtigten Zugang zu qualitativ hochwertigen Arzneimitteln und pharmazeutischen Leistungen haben und das gelte besonders im ländlichen Raum. Die Apothekenlandschaft sei im Wandel: Es gebe weniger Apotheken und weniger Fachpersonal bei steigendem Arzneimittelbedarf in der Bevölkerung.
Minister Lucha forderte eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und eine angemessene Vergütung. »Wir müssen den Apotheken ermöglichen, ihre Arbeit zu tun, und dürfen ihre Arbeit nicht erschweren. Wir brauchen eine Modernisierung der Vergütungsstruktur, weil wir Sie vor Ort als integralen Baustein in der Versorgungskette benötigen.«
Das »Gutachten zur Arzneimittelversorgung durch Apotheken im Ländlichen Raum« wurde 2020 erstellt und 2023 mit einem Update zu den Entwicklungen in der Coronapandemie ergänzt. Es wurde auf Beschluss des Kabinettsausschusses Ländlicher Raum in Auftrag gegeben und vom Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung des Universitätsklinikums Tübingen zusammen mit den Analysten Rebmann Research, Berlin, erstellt.
»Die Landapotheke ist ein Must-have«, konstatierte Petra Seisl von Rebmann Research. Die Apothekenzahl im Ländle ist seit 2006 um 16 Prozent gesunken (von 2783 auf 2302 Betriebe); das entspricht dem Bundesdurchschnitt. Verglichen mit 2011 versorge jede Apotheke 27 Prozent mehr Einwohner, nämlich etwa 4900. »Das sind über 1000 Menschen mehr als 2011 und deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt«, berichtete Seisl. Es sei zu fragen, wie lange sie diese Belastung noch stemmen könnten. Die Situation werde sich absehbar verschärfen, da die Bevölkerung immer älter wird und das Durchschnittsalter bei Ärzten und Apothekern hoch ist.
Ländliche Apotheken hätten ein anderes Patientenkollektiv – mehr Stammkunden und ein breites Versorgungsspektrum – und tendenziell eine größere Arbeitsdichte, aber keine wirtschaftlich schwächere Position. »Ökonomisch ist die Landapotheke interessant«, so Seisl. Der Nachwuchsmangel sei auf dem Land jedoch besonders prekär.
Gerade das deutlich erweiterte Leistungsspektrum während der Pandemie habe gezeigt, dass Apotheken »unersetzbar sind auf dem Land«, aber enorme Herausforderungen zu meistern haben. Sie müssten ihre Attraktivität für junge Kollegen stärken. Seisl: »Nur im Netzwerk mit anderen Leistungserbringern und einem attraktiven Angebotsspektrum kann man Nachwuchs gewinnen für die Apotheke auf dem Land.« Die Kommunen sollten Netzwerke fördern und unterstützen und Apotheken immer »mitdenken in der Versorgung«. Wichtig sei es, den fachlichen Nachwuchs zu stärken und Selbstständigkeit, gerade auch von Apothekerinnen, zu fördern.
Apothekerkammerpräsident Martin Braun appellierte in der Diskussion an die Kommunen und Gemeinden: »Lassen Sie die Apo vor Ort nicht sterben.« Es sei kaum möglich, eine Apotheke in kleinen Gemeinden wieder neu zu errichten.
»Die Pandemie war wie ein Brennglas für die Lotsenfunktion der Apotheken«, berichtete Tatjana Buck von der Vital-Apotheke in Bad Saulgau und umriss die die Leistungsausweitung ihrer Apotheke in der Pandemie. Die Apothekerin hob vor allem neue Kooperationen hervor: mit dem Landkreis, der Kommune, der Feuerwehr. Sie sprach von einer »Transformation der Apotheken«, die sich neue Möglichkeiten im Gesundheitswesen erarbeitet hätten. Für Buck sind die Apotheken »der Schlüssel zur personalisierten Prävention«. Exemplarisch nannte sie das Impfen, pharmazeutische Dienstleistungen, PoC-Testungen und die Prävention von Volksleiden. »Wir müssen weg vom reinen Denken in Daseinsvorsorge hin zur zukunftsorientierten Vorort-Sein-Vorsorge.«
In der Pandemie haben die Apotheken viele neue Leistungen etabliert. Den Bürgern auf dem Land haben sie damit weite Wege erspart. / Foto: Imago Images/Future Image
Auch Michael Kunkel, Stadt-Apotheke Titisee-Neustadt, berichtete von eindrucksvollen Leistungen seiner Apotheke. Beispielsweise konnte in Kooperation mit Kommunen, Gesundheitsamt, Labormedizin, Kassenärztlicher Vereinigung, Haus- und Fachärzten eine »Infektsprechstunde« für Menschen mit und ohne Infektionssymptome etabliert werden. Diese Erfahrungen und Kooperationen müssten bewahrt werden. Doch auch jenseits der Pandemie: Ländliche Apotheken pflegten Schnittstellen zu allen anderen Akteuren im Gesundheitswesen und seien niederschwellige Anlaufstelle für zahlreiche gesundheitsspezifische Anliegen der Bürger. »Wir brennen jeden Tag ein pharmazeutisches Feuerwerk ab und bieten unglaublich viel an.«
Aus seiner Sicht benötigt die Apotheke 4.0 einen Shop und eine App («wir müssen Couch-kompatibel sein«), einen effektiven Botendienst am gleichen Tag und Abholmöglichkeiten rund um die Uhr. »Im ländlichen Raum brauchen wir Dialogbereitschaft aller Akteure, moderierende Kommunen, die proaktiv vorgehen, gestalterischen Spielraum für neue Modelle sowie Zeit für organisches Wachstum und Evaluation.« Für unnötig hält er Gesundheitskioske. Hier werde Geld in Parallelstrukturen gesteckt. »Wir haben bereits 18.000 Gesundheitskioske, die bisher undercover gearbeitet haben.«