Wie Juckreiz entsteht und gestillt werden kann |
Annette Rößler |
07.10.2022 17:00 Uhr |
Dreimal in der Woche müssen Dialysepatienten zur Blutwäsche. Der neue Wirkstoff Difelikefalin wird als Bolusinjektion am Ende der Dialyse beim Rückspülen gegeben. / Foto: Getty Images/Mailson Pignata
Wie stark der CKD-assoziierte Pruritus (CKD-aP) sein kann, erkennt man an den blutigen Kratzspuren, die manche betroffenen Patienten aufweisen. Die Lebensqualität, die bei Dialysepatienten aufgrund der notwendigen häufigen Arztbesuche ohnehin schon eingeschränkt sei, leide darunter massiv, berichtete Professor Dr. Timm Westhoff von der Ruhr-Universität Bochum kürzlich bei einer Presseveranstaltung von Vifor Pharma in Berlin. »Bei Wärme, also auch unter der Bettdecke, verstärkt er sich, sodass die Patienten kaum noch schlafen können. Zudem stellen die aufgekratzten Stellen Eintrittspforten für Bakterien dar und Infektionen der Haut sind bei diesen Patienten häufig«, schilderte der Nephrologe häufige Folgekomplikationen.
Zur Häufigkeit des CKD-aP sei die Datenlage schlecht. Westhoff nannte Zahlen zwischen 27 und 70 Prozent der Dialysepatienten, die betroffen sein könnten. Es sei davon auszugehen, dass teilweise eine Untererfassung vorliege, da Patienten von sich aus die Beschwerden nicht unbedingt thematisierten und medizinisches Fachpersonal nicht routinemäßig danach frage. »Um die Häufigkeit zu erfassen und auch um ein Bewusstsein für die Erkrankung zu schaffen, startet Vifor jetzt die nicht interventionelle Beobachtungsstudie CENSUS. Ziel ist es, europaweit 5000 Dialysepatienten gezielt nach CKD-aP zu befragen.« Mit ersten Ergebnissen sei Ende 2023 zu rechnen.
»CKD-aP ist eine Ausschlussdiagnose«, informierte Westhoff. Wie der Juckreiz zustande komme, sei im Einzelnen noch nicht geklärt. Wahrscheinlich sei die Genese multifaktoriell. Laut einem 2020 im Fachjournal »Kidney International Reports« erschienenen Übersichtsartikel sind vier Faktoren beteiligt: eine Ablagerung von Toxinen in der Haut und im Unterhautgewebe, eine periphere Neuropathie, eine systemische Entzündung und ein Ungleichgewicht verschiedener Opioidrezeptor-Subtypen, namentlich der κ- und µ-Rezeptoren.
Schmerzreize und Juckreiz würden auf Rückenmarkebene über dieselben Nervenbahnen weitergeleitet, ging Westhoff auf den letzten Punkt ein. Dabei werde dem Schmerz stets Vorrang eingeräumt, »denn es ist wichtiger, dass wir die Hand wegziehen, wenn wir sie auf eine heiße Herdplatte gelegt haben, als dass wir uns kratzen«, verdeutlichte der Referent. Die Modulation der verschiedenen Signale erfolge über Opioidrezeptoren. So reduziere eine Aktivierung von κ-Rezeptoren, wie sie etwa durch Schmerz ausgelöst werde, den Juckreiz. Bei Patienten mit CKD-aP seien κ-Rezeptoren unter- und µ-Rezeptoren gleichzeitig überexprimiert.
Hier greift der neue Wirkstoff Difelikefalin (Kapruvia® von Vifor) an: Er ist ein selektiver κ-Opioidrezeptor-Agonist. Die Wirkung ist auf die Peripherie beschränkt, denn als kleines, hydrophiles Peptid erreicht Difelikefalin das ZNS so gut wie gar nicht. Kapruvia ist daher auch kein Betäubungsmittel (BtM). Es wird Dialysepatienten mit CKD-aP dreimal wöchentlich als intravenöse Bolusinjektion am Ende der Dialyse in einer Dosis von 0,5 µg/kg Trockengewicht (Zielgewicht nach der Dialyse) verabreicht.