| Annette Rößler |
| 18.11.2025 18:00 Uhr |
Viele Menschen mit HNO-Infektionen gehen zunächst zum Hausarzt. Für diese enthält die aktualisierte Leitlinie »HNO-Infektionen« wichtige Neuerungen, die auch für Apotheker interessant sind. / © Getty Images/Westend61
Immer wieder wird beklagt, dass Antibiotika bei Infektionen im Hals-Nasen-Ohren-(HNO-)Bereich zu leichtfertig eingesetzt werden, was der Entwicklung von Resistenzen Vorschub leistet und unnötige negative Folgen etwa für das Darmmikrobiom der Patienten nach sich zieht. Die im Mai dieses Jahres veröffentlichte Neufassung der S2k-Leitlinie »Antibiotikatherapie bei HNO-Infektionen« adressiert dieses Problem mit Kurzsteckbriefen der häufigsten HNO-Infektionen, die auch Angaben zur Rolle von Antibiotika in der Therapie der jeweiligen Erkrankung enthalten. Die Steckbriefe wurden in die Leitlinie aufgenommen, um diese »für Nicht-HNO-Fachärzte besser nutzbar zu machen«, wie es heißt.
Behinderte Nasenatmung, Nasenausfluss, Schmerzen beziehungsweise Druckgefühl über den Nebenhöhlen und ein eingeschränktes Geruchsempfinden: Um bei diesen Symptomen an eine Entzündung der Nasennebenhöhlen (Rhinosinusitis) zu denken, muss man tatsächlich kein Experte sein. Die Diagnose kann gestellt werden, wenn mindestens zwei dieser Symptome vorliegen, davon mindestens eines der beiden Leitsymptome behinderte Nasenatmung und Nasenausfluss.
Meist ist die akute Rhinosinusitis viral bedingt und Antibiotika haben in der Therapie keinen Platz. Die Leitlinie unterscheidet zwischen einem im Verlauf der Erkrankung verstärkten Wachstum von Bakterien, die die oberen Atemwege besiedeln, und echten bakteriellen Superinfektionen. Anzeichen einer akuten bakteriellen Rhinosinusitis sind:
Zeigt der Patient mindestens drei dieser fünf Charakteristika, kann eine Antibiotikatherapie erfolgen, bevorzugt mit Amoxicillin.
Eine Rhinosinusitis, die länger als zwölf Wochen anhält, wird als chronische Rhinosinusitis bezeichnet. Sie ist keine Infektionskrankheit, sondern »eine heterogene Erkrankung mit einer lokalen chronischen Entzündung der Schleimhäute der Nase und Nasennebenhöhlen« (»Deutsches Ärzteblatt« 2024, DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0167). Früher ging man davon aus, dass eine akute Rhinosinusitis chronisch werden kann, wenn die Nebenhöhlen nicht ausreichend belüftet sind. Diese Annahme gilt heute als überholt, ohne dass die Pathophysiologie der chronischen Rhinosinusitis komplett verstanden ist. Behandelt wird die Erkrankung primär mit Corticosteroid-Nasensprays und Nasenspülungen.
Auch ein Stockwerk tiefer, im Hals, treiben überwiegend Viren ihr Unwesen. Halsschmerzen mit oder ohne Erkältungssymptome sowie unter Umständen Fieber und eine Schwellung der Lymphknoten sind typische Symptome einer Mandelentzündung (Tonsillopharyngitis). Husten, Schnupfen, Heiserkeit sprechen für eine virale Ursache, das Fehlen dieser Begleitsymptome sowie druckschmerzhafte, geschwollene Lymphknoten, Fieber über 38 °C und eitrige Mandeln für eine bakterielle.
Eine Antibiotikatherapie ist allerdings selbst dann häufig nicht angezeigt, denn sie bietet auch bei einer bakteriellen Mandelentzündung nur dann Vorteile gegenüber einer rein symptomatischen Therapie, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Infektion mit A-Streptokokken vorliegt – also Scharlach – und bei schwerem Krankheitsbild. Auch bakterielle Mandelentzündungen verliefen in der Regel selbstlimitierend, so die Leitlinie.
Scharlach verursacht außer Hals- und Kopfschmerzen sowie Fieber auch einen Hautausschlag und typische Veränderungen der Zunge: Sie ist zunächst weiß belegt und rötet sich nach einigen Tagen stark (sogenannte Himbeerzunge). Patienten mit Scharlach sollen fünf bis sieben Tage lang mit Penicillin V behandelt werden; Alternativen sind Cephalosporine der Gruppe 1 wie Cefalexin und Cefadroxil, Clarithromycin und Clindamycin.
Die Antibiotikatherapie bei Scharlach dient auch dazu, Infektionsketten der sehr ansteckenden Erkrankung zu durchbrechen: Kinder mit Scharlach, die antibiotisch behandelt werden, dürfen Gemeinschaftseinrichtungen wie Kita oder Schule wieder besuchen, sobald sie keine spezifischen Symptome mehr haben. Ohne Antibiotika muss nach Abklingen der Symptome noch 24 Stunden gewartet werden.
Eine mögliche Komplikation einer Mandelentzündung ist eine Abszessbildung im Bereich der Gaumenmandel (Peritonsillarabszess). Symptome sind unter anderem einseitige Schluckbeschwerden und Gaumenmandelschwellung sowie kloßige Sprache. Die Schwellung des entzündeten Bereichs kann so stark sein, dass der Patient eine Kieferklemme entwickelt, den Mund also nicht mehr öffnen kann. Ein Peritonsillarabszess sollte vom HNO-Arzt operativ saniert und antibiotisch (Aminopenicillin plus β-Lactamasehemmer) behandelt werden.
Eine Entzündung der Speicheldrüse(n) ist meist nicht bakteriell bedingt – auch Mumps ist eine Virusinfektion. Findet der HNO-Arzt Hinweise auf eine bakterielle Ursache, sollte jedoch rasch eine Antibiotikatherapie begonnen werden, um einem schweren Krankheitsverlauf mit möglicher Abszessbildung vorzubeugen. Empfohlen werden als erste Wahl Cephalosporine der Gruppe 1 oder Clindamycin.
Verursacher einer akuten Mittelohrentzündung sind häufig Erreger aus dem Nasen-/Rachenraum, die über die Eustachische Röhre ins Mittelohr aufsteigen. So handelt es sich auch hier meist primär um virale Infektionen, in deren Verlauf es zu einer verstärkten Vermehrung von Bakterien oder auch zu einer echten bakteriellen Superinfektion kommen kann. Symptome einer akuten Otitis media sind Ohrenschmerzen und häufig auch eine Hörminderung. Im Verlauf der Erkrankung kann das Trommelfell einreißen; dann kommt es plötzlich zu starkem Ausfluss aus dem Ohr und die Schmerzen lassen nach.
Eine Mittelohrentzündung sollte zunächst symptomatisch behandelt werden. Bei einer schweren Erkrankung ist Amoxicillin das Mittel der Wahl. / © Adobe Stock/topshots
Die Leitlinie empfiehlt bei akuter Mittelohrentzündung primär eine symptomatische Therapie mit systemischen und topischen Antiphlogistika/Analgetika. Antibiotika sind indiziert bei einer schweren Erkrankung, bei Kindern in den ersten sechs Lebensmonaten, bei Kindern unter zwei Jahren mit beidseitiger Mittelohrentzündung, wenn Beschwerden wie Schmerzen und/oder Fieber trotz Ausfluss aus dem Ohr anhalten sowie bei Patienten mit Risikofaktoren wie Immundefizienz, schweren Grunderkrankungen, Influenza, Paukenröhrchen oder Fehlbildungen des Schädels. Amoxicillin ist in diesen Fällen die erste Empfehlung.
Eine Gehörgangsentzündung (Otitis externa) ist meist die Folge eines Besuchs im Schwimmbad: Erreger wie Staphylococcus aureus oder Pseudomonas aeruginosa infizieren Hautläsionen im äußeren Gehörgang – was ihnen leichter fällt, wenn dieser durch die Feuchtigkeit beim Schwimmen aufgeweicht ist. Eine gleichzeitig vorliegende Mittelohrentzündung stellt laut der Leitlinie eine Rarität dar.
Eine Otitis externa ist sehr schmerzhaft und die Schmerzen verstärken sich meist bei Zug an der Ohrmuschel oder Druck auf den Tragus (der knorpelige Teil des Außenohres, der den Gehörgang von außen abdeckt). Ausfluss aus dem Ohr ist möglich, aber meist schwächer als bei einer perforierten Otitis media.
Nach einer Säuberung des Gehörgangs durch den HNO-Arzt wird eine topische antientzündliche Therapie, zum Beispiel mit essigsäurehaltigen Ohrentropfen empfohlen. Gegebenenfalls kommen Ciprofloxacin-Ohrentropfen und/oder eine Lokaltherapie mit Glucocorticoiden hinzu. Kann ein Trommelfelldefekt nicht ausgeschlossen werden, sind Aminoglykoside kontraindiziert. Eine »in der Praxis oft aus diagnostischer Unsicherheit durchgeführte orale Antibiotikatherapie ist in aller Regel nicht zielführend«, so die Leitlinie.