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Covid-19 und Interferone

Wichtiges Detail der Immunantwort entdeckt

Zwei neue »Science«-Publikationen deuten darauf hin, dass Typ-I-Interferone ein Dreh- und Angelpunkt der Immunantwort auf eine SARS-CoV-2-Infektion sind. Daraus ergeben sich neue Ansätze auch für die Therapie.
Annette Rößler
28.09.2020  13:00 Uhr

Interferone sind Zytokine, die als Teil des angeborenen Immunsystems unter anderem bei der Immunantwort auf Virusinfektionen eine zentrale Rolle spielen. Abhängig von ihrem Aufbau und den Zellen, in denen sie gebildet werden, unterteilt man die Interferone in verschiedene Gruppen. Die größte sind die Typ-I-Interferone, zu denen Interferon (IFN)-α, IFN-β, IFN-ε/τ, IFN-κ und IFN-ω zählen.

Gemäß zweier aktueller Publikationen im Fachjournal »Science« könnten die Typ-I-Interferone der Grund dafür sein, dass manche Menschen bei einer SARS-CoV-2-Infektion einen schwereren Covid-19-Krankheitsverlauf erleiden als andere. Beide Arbeiten wurden von großen Autorenkollektiven verfasst, deren Mitglieder Teil des »Covid Human Genetic Effort« sind. Dabei handelt es sich um einen internationalen Zusammenschluss von Forschern, die gezielt nach genetischen Besonderheiten suchen, die den Krankheitsverlauf von Covid-19 beeinflussen.

Die erste Arbeit beschäftigt sich mit dem Auftreten von Autoantikörpern gegen Typ-I-Interferone. Diese wurden in einer Gruppe von lebensgefährlich erkrankten Covid-19-Patienten deutlich häufiger gefunden als in einer Vergleichsgruppe von SARS-CoV-2-Infizierten, die nur leichte oder gar keine Symptome entwickelten: Bei 101 von 987 kritisch Kranken wiesen die Forscher neutralisierende Autoantikörper gegen Typ-I-IFN nach, bei 13 gegen IFN-ω, bei 36 gegen IFN-α und bei 52 gegen beide. Einige Patienten hatten auch Autoantikörper gegen die anderen drei Typ-I-IFN. Dagegen war unter den 663 Personen der Vergleichsgruppe keiner mit entsprechenden Autoantikörpern, was die Autoren zu der Schlussfolgerung bringt, dass »die neutralisierenden [Autoantikörper] gegen Typ-I-Interferone ähnlich wie angeborene Fehler in der Typ-I-IFN-Produktion das Gleichgewicht zugunsten des Virus stören, sodass es letztlich zu schwerer Krankheit und unzureichenden oder sogar schädlichen angeborenen und adaptiven Immunantworten kommt.«

Eben jene angeborenen Fehler in der Typ-I-IFN-Produktion sind Gegenstand der zweiten Publikation. Sie berichtet über die Häufigkeit von Loss-of-Function-Mutationen in den Genen, die für Typ-I-IFN kodieren, und den Zusammenhang mit der Schwere einer Covid-19-Erkrankung. Die Autoren hatten hierzu 659 hospitalisierte Covid-19-Patienten sowie 534 leicht oder asymptomatisch Infizierte einem Whole-Genome- oder Whole-Exome-Sequencing unterzogen. Dabei fanden sie bei 3,5 Prozent der schwer Erkrankten, aber bei keinem Probanden der Vergleichsgruppe entsprechende Mutationen. Die mutierten Immunzellen produzierten als Antwort auf eine SARS-CoV-2-Infektion keine detektierbaren Mengen Typ-I-IFN. Solche Mutationen könnten erklären, warum auch manche junge Menschen ohne Risikofaktoren schwer an Covid-19 erkranken, so das Fazit der Autoren.

Sollte sich die zentrale Rolle der Typ-I-Interferone für die Immunantwort auf SARS-CoV-2 bestätigen, könnte dies auch therapeutisch genutzt werden. Die Interferone sollten dann wahrscheinlich möglichst früh im Krankheitsverlauf gegeben werden. Erste positive Erfahrungen mit der inhalativen Gabe von IFN-β gibt es bereits.

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