Wenn Seltenheit auf Wirksamkeit trifft |
Arzneimittel für seltene Erkrankungen durchlaufen bei der EMA ein zweistufiges Verfahren. Dem Ausschuss für Orphan Medicinal Products (COMP: Committee for Orphan Medicinal Products) obliegt vor allem die Prüfung von Anträgen auf Ausweisung als Orphan Drug. Stimmt die Europäische Kommission dem Votum des COMP zu, wird das Produkt in das Orphan-Drug-Register der EU aufgenommen.
Für die pharmazeutische Industrie gibt es zahlreiche Anreize, auf dem Gebiet der seltenen Erkrankungen zu forschen. / Foto: Getty Images/Morsa Images
Darüber hinaus muss das Medikament zusätzlich in Deutschland noch das nationale AMNOG-Verfahren zur Bewertung des Zusatznutzens durchlaufen. Dabei gilt nach § 35a Absatz 1 SGBV der medizinische Zusatznutzen (»significant benefit«) bereits durch die europäische Zulassung als belegt.
Nach erfolgter Zulassung überprüft die EMA am Ende des fünften Jahres im Markt, ob die Orphan-Kriterien weiterhin erfüllt werden. Die Marktexklusivität erlischt, wenn das Präparat eines anderen Anbieters sicherer, wirksamer oder anderweitig therapeutisch überlegen ist. Sobald das Orphan-Medikament einen Jahresbruttoumsatz von 30 Millionen Euro übersteigt, wird es rechtlich wie ein gewöhnliches Arzneimittel behandelt. Dann muss ein normales Zusatznutzendossier beim G-BA eingereicht werden und es erfolgt eine Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit anschließenden Verhandlungen über den Erstattungsbetrag.
Trotz der unbestreitbaren Vorteile von Orphan Drugs für die Patienten gibt es immer wieder kontroverse Diskussionen um einzelne Aspekte dieser Wirkstoffe (10–15). Folgende Fragen werden häufig zu Orphan Drugs gestellt.
Bei allen Arzneimitteln müssen die pharmazeutischen Unternehmer im Rahmen des Zulassungsprozesses Wirksamkeit, Verträglichkeit und pharmazeutische Qualität belegen. Doch die üblichen randomisierten, kontrollierten klinischen Studien mit Hunderten oder Tausenden Patienten sind bei seltenen Erkrankungen kaum oder nicht möglich. Auch spezielle statistische Methoden bei der Auswertung der Studien sind nur begrenzt anwendbar.
Für diese Fälle haben die Experten der EMA eine Leitlinie erstellt, in der Alternativen dargelegt werden. Dazu müssen zunächst geeignete Modelle zur Prüfung der Arzneimittelwirkungen, Prüfkriterien für die Erfolgsmessung, zum Beispiel Verbesserung der Lebensqualität oder Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung, und statistische Methoden zur Auswertung der Studienergebnisse aufgezeigt werden.
Es kann vorkommen, dass die Durchführung einer klinischen Studie nicht möglich ist. In diesen Ausnahmefällen kann eine Zulassung auch auf Basis sehr gut dokumentierter Berichte über einzelne Behandlungsfälle erteilt werden. Dennoch müssen weitere Belege für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Präparates erbracht werden.
Im Anschluss durchläuft das Orphan Drug das Zulassungsverfahren. Dieses selbst ist nicht nennenswert schneller, denn Orphan Drugs unterliegen denselben Anforderungen an die klinische Erprobung und Zulassung wie alle anderen Medikamente.