Wenn Seltenheit auf Wirksamkeit trifft |
Der Zusatznutzen von Orphan Drugs gerät immer wieder in die Kritik, da er aufgrund der speziellen regulatorischen Rahmenbedingungen bestimmte Herausforderungen und ethische Fragen aufwirft. Aufgrund niedriger Fallzahlen sind Studien mit deutlich geringeren Teilnehmermengen erlaubt und der Nutzen muss nicht gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie belegt werden.
Die Evidenz für den Zusatznutzen kann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach Markteinführung meist nur anhand der Zulassungsunterlagen des Herstellers ermitteln. Ist keine eindeutige Nutzenbewertung (nicht quantifizierbarer Zusatznutzen) möglich, wird einem Orphan Drug ein »fiktiver Zusatznutzen« bescheinigt. Mit der Zulassung gilt damit der Zusatznutzen für Orphan Drugs als belegt.
In einer Analyse hat das IQWiG 41 Orphan-Drug-Bewertungen identifiziert, für die seit 2011 sowohl eine spezielle Orphan-Bewertung als auch eine nachfolgende reguläre Nutzenbewertung erfolgte. Betrachtet wurden 20Wirkstoffe, denn einige Stoffe waren für mehrere Anwendungsgebiete zugelassen. Bei 22 der 41 Bewertungen (54 Prozent) konnte in der regulären Nutzenbewertung kein Zusatznutzen (»nicht belegt«) festgestellt werden. Zudem ergab die Analyse, dass eine reguläre Bewertung des Zusatznutzens in der Regel erst nach mehreren Jahren erfolgte (teilweise bis zu neun Jahre; im Mittel drei Jahre). Bei Orphan Drugs, die die Umsatzschwelle von (der bis Ende 2022 noch gültigen) 50 Millionen Euro jährlich nicht erreichten, fand gar keine reguläre Nutzenbewertung statt. Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG, mahnte an, dass die Qualität der Patientenversorgung darunter leiden könne und neue Arzneimittel möglicherweise ohne Datengrundlage bevorzugt eingesetzt würden (14).
Diese Analyse bezweifelt keineswegs den Nutzen und die Notwendigkeit von Orphan Drugs, sondern zielt darauf ab, die Bewertungsverfahren und Transparenz in Bezug auf den Nutzen zu verbessern, damit die Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden und die Patienten den größtmöglichen Nutzen haben. Dies erfordert eine fortlaufende Diskussion und Anpassung der regulatorischen Rahmenbedingungen und Bewertungsmethoden.