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Frailty-Syndrom

Wenn die Kraft schwindet

Gebrechlichkeit im Alter ist keine Krankheit, sondern ein komplexes Syndrom, das von einer reduzierten Belastbarkeit gekennzeichnet ist. Als Risikofaktor bei Operationen und diversen Erkrankungen sollte Frailty gesondert erfasst und berücksichtigt werden.
Christina Hohmann-Jeddi
18.11.2021  09:00 Uhr

Mit dem Alter lassen allmählich verschiedene Körperfunktionen und auch die Kraft nach, doch das Ausmaß, in dem das auftritt, fällt individuell sehr unterschiedlich aus. Während manche Senioren auch im hohen Alter noch fit und unternehmenslustig sind, werden andere gebrechlich, kraftlos und zunehmend immobil. Mediziner bezeichnen Letzteres als Frailty (Gebrechlichkeit).

Dabei handelt es sich nicht um eine Erkrankung, sondern um ein komplexes Syndrom, das im Alter auftritt, aber nicht allein durch dieses zu erklären ist. Während des Alterns häufen sich einige biologische Defizite wie Organ- und Funktionsstörungen an, die letztlich zu einer reduzierten Belastbarkeit und einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber exogenen Stressoren führen. Eine genauere, allgemein anerkannte Definition von Frailty gibt es bislang nicht.

Häufig wird eine 2001 veröffentlichte Definition von Professor Dr. Linda Fried von der Columbia University in New York und Kollegen verwendet (»The Journals of Gerontology«). Demnach liegt Frailty vor, wenn mindestens drei der fünf Leitsymptome vorhanden sind:

  • unbeabsichtigte Gewichtsreduktion um mehr als 5 kg im Vergleich zum Vorjahr,
  • reduzierte Körperkraft (Handkraftmessung bei 20 Prozent gegenüber der Vergleichspopulation),
  • subjektive Erschöpfung,
  • reduzierte Ganggeschwindigkeit (Fünf-Meter-Gehstrecke mit 20 Prozent der Geschwindigkeit gegenüber der Vergleichspopulation),
  • verminderte körperliche Aktivität.

Wenn nur einer oder zwei der genannten Faktoren vorliegen, spricht man von Prefrailty. Betroffene haben ein erhöhtes Risiko, gebrechlich zu werden. Liegt keines der Symptome vor, ist der Mensch der Definition nach als »robust« zu bewerten.

Instrumente zur Frailty-Abschätzung 

Das Frailty-Syndrom ist häufig auch assoziiert mit einem Muskelabbau (Sarkopenie), einer Osteoporose, Stürzen und Multimorbidität. Wiederholte Klinikeinweisungen und Pflegebedürftigkeit können die Folge sein. Insgesamt ist Frailty ein Hinweis auf eine erhöhte Mortalität – generell und insbesondere mit Blick auf operative Eingriffe. So wird inzwischen von der Europäischen Anästhesiegesellschaft empfohlen, vor Operationen von älteren Patienten eine Frailty-Abschätzung vorzunehmen. Das berichten Mediziner um Dr. Anna Mende vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf 2019 im »Deutschen Ärzteblatt«.

Dort stellen die Autoren auch eine Auswahl von Instrumenten zur Abschätzung der Gebrechlichkeit vor. Neben dem erwähnten Fried-Frailty-Score mit fünf Kriterien gibt es verschiedene weiter Erhebungsinstrumente, die entweder auf die körperlichen Funktionen fokussieren oder auch kognitive, psychische und soziale Aspekte miterfassen und entsprechend mehr oder weniger aufwendig sind.

So wurden im Rahmen der Canadian Study of Health and Aging (CSHA) ein Frailty-Index und eine Frailty-Skala entwickelt. Beim ersten werden insgesamt 70 potenzielle Defizite und Beschwerden erfasst, die neben körperlichen  Erkrankungen auch kognitive Störungen und die Funktionalität im Alltag abbilden. Diese Methode ist Mende und Kollegen zufolge sehr zeitaufwendig, weshalb zusätzlich eine vereinfachte Frailty-Skala entwickelt wurde, die geriatrische Personen in sieben Stufen von »sehr fit« bis »stark gebrechlich« einteilt. Für diese Abschätzung seien aber geriatrische Vorkenntnisse beim Behandler hilfreich. Einfacher anzuwenden seien etwa die Edmonton-Skala oder der LUCAS-Funktionsindex, der für die Anwendung in Hausarztpraxen entwickelt wurde und auf zwölf Fragen zu Beschwerden und Ressourcen des Patienten basiert.

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