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Psychotherapeuten

Welle psychischer Erkrankungen befürchtet

Psychotherapeuten befürchten durch Versorgungsengpässe in der Corona-Krise eine Welle psychischer Erkrankungen. Sie fordern, die Hilfsangebote auszubauen.
dpa
05.05.2020  10:38 Uhr

Psychisch Kranke, Einsame, alte Menschen, Familien und Kinder – viele seien durch die Belastungen der Corona-Maßnahmen am Ende ihrer Kräfte, teilte das Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk (DPNW) am Montag mit. Während ein größeres Behandlungsangebot notwendig sei, falle etwa die Hälfte aller Therapien bei den niedergelassenen Psychotherapeuten aus: Gruppentherapien und Einzelsitzungen seien nicht mehr möglich, und viele Patienten und Therapeuten gehörten der Risikogruppe an.

Die psychischen Folgen durch das Virus müssten genauso ernst genommen werden wie die medizinischen Herausforderungen, appellierte der Vorsitzende des Berufsverbands Dieter Adler an die Politik: «Machen Sie jetzt den Weg frei für die maximale Versorgung mit psychischen Hilfsangeboten, damit wir nach der Krise nicht körperlich gesunde, aber gemütskranke Menschen in Deutschland haben.» Helfen würde eine fernmündliche oder videobasierte Beratung. Diese werde aber nur in geringem Maße von den Krankenkassen bezahlt. Das müsse sofort geändert werden. Problematisch sei auch, dass Therapien in vielen Kliniken nicht beginnen könnten, weil Betten für Viruserkrankte frei gehalten würden.

Psychotherapeuten gehen davon aus, dass einige Folgen auch erst nach der Krise sichtbar werden. Adler sagte: «Wenn die Normalität wieder Einzug hält, werden viele erst realisieren, was sie durch die Krise verloren haben. Darauf können wir die Menschen jetzt schon mit guter psychotherapeutischer Hilfe einstellen.»

Mehr Zwangserkrankungen befürchtet

Wegen der Corona-Pandemie gehen Psychiater unter anderem von einem Anstieg an Erkrankten mit Zwangsstörungen aus. «Wenn die Krise vorbei ist, dann werden sicherlich eine ganze Menge übrig bleiben, bei denen sich eine Zwangsstörung bildet», sagt Wolf Hartmann, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen (DGZ).

Psychiatrie-Facharzt Andreas Wahl-Kordon prognostiziert ebenfalls einen Anstieg der Erkrankten: Durch die hohe Präsenz der Pandemie in Medien und die Corona-Beschränkungen bekämen viele Angst, die sonst nichts mit Zwang und «Kontaminationsbefürchtung» zu tun hätten. Auch die Bundespsychotherapeutenkammer hält eine Zunahme für realistisch, doch ganz sicher ließe sich das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

Etwa zwei Prozent der deutschen Bevölkerung haben laut Wahl-Kordon von der Oberberg Fachklinik Schwarzwald eine Zwangserkrankung. Stress und schwerwiegende Lebensereignisse, wie der Tod oder eine schwere Erkrankung von Angehörigen können nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer eine Zwangserkrankung auslösen.

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