Welcher Mechanismus steckt hinter den Blutgerinnseln? |
Sven Siebenand |
19.03.2021 14:30 Uhr |
Auch Gerinnungsmediziner haben ihr eigenes Fachlatein und Abkürzungen. Rund um die seltenen, aber gefährlichen Impfreaktionen auf die Astra-Zeneca-Vakzine gegen Covid-19 reden sie derzeit zum Beispiel häufig von CVST, DIC und HIT. / Foto: Gettyimages/Aleksandr Zubkov
Wer zum Beispiel am Donnerstag die Pressekonferenz der Europäischen Arzneimittelagentur EMA verfolgt hat, hörte gleich mehrfach, dass von CVST die Rede war. Das ist die Abkürzung für Cerebral Venous Sinus Thrombosis und damit der Sinusvenenthrombose gleichzusetzen, von der in deutschsprachigen Expertenstatements häufig die Rede ist. Es handelt sich dabei um eine Thrombose in den ableitenden Hirnvenen. Konkret sprach die EMA gestern von 18 CVST-Fällen in der EU im Zusammenhang mit der Impfung. Darunter waren noch nicht die neuesten fünf in Deutschland gemeldeten Fälle.
Zudem war die Rede von sieben DIC-Fällen. Dies ist wiederum die Abkürzung für die disseminierte intravasale Koagulopathie (Disseminated Intravascular Coagulation), einer generalisierten Thrombenbildung. Bei einer DIC kommt es zur Aktivierung der Blutgerinnung in Gefäßen, die zu einem gesteigerten Verbrauch von plasmatischen Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten führt. Deren hoher Verbrauch führt dann zu einem anschließenden Mangel dieser Komponenten.
Ob DIC oder CVST: Insbesondere Frauen jünger als 55 Jahre haben offenbar ein erhöhtes Risiko für die beiden genannten thromboembolischen Kategorien. Dieser Aspekt wird durch entsprechende Sicherheitshinweise der EMA in der Fachinformation des Impfstoffs wohl zeitnah ergänzt werden. Möglich ist aber laut SPD-Gesundheitsexperten Professor Dr. Karl Lauterbach, dass es sich um ein statistisches Artefakt handelt, zumindest in Deutschland, da hier bislang bevorzugt Pflege-, Kita- und Grundschulpersonal geimpft wurde – Berufe, in denen Frauen dominieren. Das sagte der Mediziner und Epidemiologe am Freitag in der Bundespressekonferenz.
Auffällig war auch: Die Sinusvenenthrombosen traten zum Teil gepaart mit zeitgleicher Thrombozytopenie, also einem Mangel an Blutplättchen, auf. Auf den ersten Blick scheinen Blutgerinnsel und der gleichzeitige Verlust von Blutplättchen nicht so recht zusammenzupassen. Allerdings gibt es tatsächlich Umstände, unter denen so viele Blutplättchen zu Thrombosen verklumpen, dass in peripheren Blutgefäßen kaum oder keine Thrombozyten mehr zu finden sind. Was kann der Grund dafür sein?
Ein Grund könnte die DIC sein. Eine andere Ursache sind thrombotische Mikroangiopathien. Darunter werden Syndrome zusammengefasst, bei denen vermehrt Blutgerinnsel in sehr kleinen Blutgefäßen im ganzen Körper auftreten. Eine Form ist das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), eine andere ist die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP). HUS war vor einem Jahrzehnt rund um Infektion mit enterohämorrhagischen Escherichia-coli-Bakterien (EHEC) schon einmal ein Thema in der Öffentlichkeit. Bei der TTP ist die Metalloprotease ADAMTS-13, die den von-Willebrand-Faktor der Blutgerinnungskaskade spaltet, in ihrer Aktivität zu schwach. Der von-Willebrand-Faktor liegt daher zu hochmolekular vor und bietet so eine große Oberfläche, an die sich viele Thrombozyten gleichzeitig anlagern können und so Verstopfungen in kleinen Gefäßen erzeugen.
Ist das die Ursache? Man weiß es nicht. Dagegen spricht, dass bei Fällen der Sinusvenenthrombose nach Impfungen vor allem ein einzelner Thrombus im Gehirn im Vordergrund steht, was diese Syndrome unwahrscheinlich als Ursache erscheinen lässt. Allerdings gab es ebenfalls am Donnerstag einen Rote-Hand-Brief zum Gentherapeutikum Zolgensma®, der nachdenklich stimmt. In dem Schreiben wird über einige Fälle thrombotischer Mikroangiopathie (TMA) informiert. Das Gentherapeutikum soll mithilfe eines Adeno-assoziierten Vektors die spinale Muskelatrophie heilen. Der Impfstoff von Astra-Zeneca beruht auch auf einem adenoviralen Vektor, allerdings einem anderen.
Dann gibt es noch die HIT, die Heparin-induzierte Thrombozytopenie. Eine Abwandlung davon wird auch als Ursache diskutiert. Wie kommt es zur HIT? Bei der Gabe von Heparin kann sich der negativ geladene Blutgerinnungshemmer an einen positiv geladenen Faktor der Blutgerinnungskaskade anlagern, den Faktor IV. Zusammen bilden Heparin und Faktor IV als Immunkomplex dann einen Angriffspunkt für das Immunsystem, der von bereits vorliegenden Antikörpern erkannt werden kann. Binden diese Antikörper dann zusätzlich an einer Struktur auf der Oberfläche von Blutplättchen, kann dies einen Thrombus auslösen.
Möglich, dass auch andere negativ geladene Substanzen quasi als Ersatz für Heparin diese Reaktion in Gang setzen. Aber welche ? Die negativ geladene mRNA, die nach der Impfung gebildet wird? Teile des Spike-Proteins? Dann müsste es aber auch Fälle bei anderen Covid-19-Impfstoffen geben.
Forscher arbeiten derzeit mit Hochdruck daran, dem Pathomechanismus für die beobachteten Sinusvenenhrombosen mit zeitgleicher Thrombozytopenie auf die Spur zu kommen. Die Vorsitzende des EMA-Ausschusses PRAC, Dr. Sabine Straus, sagte am Donnerstag, dass man bisher nur spekulieren könne. Konkreter äußert sich der Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH), Professor Dr. Johannes Oldenburg vom Universitätsklinikum Bonn. Er sieht inzwischen eindeutige Hinweise dafür, dass die CVST-Fälle immunologisch verursachte Thrombosen sind, die mit einer Thrombozytopenie einhergehen.
Treten vier Tage oder später nach der Impfung mit der Astra-Zeneca-Vakzine Kopfschmerzen bei Geimpften auf, sollte laut dem Mediziner daher im Blutbild überprüft werden, ob eine Thrombozytopenie vorliegt. Dann sollte ein Screeningtest auf PFIV/Heparin-Antikörper gemacht werden. Das sind die bereits genannten Antikörper, die den Immunkomplex aus Plättchenfaktor IV und Heparin erkennen können, die die immunologische Ursache der Sinusvenenthrombose anzeigen können. Ist dieser Test positiv, kann Oldenburg zufolge der prothrombotische Pathomechanismus wahrscheinlich durch die Gabe von hochdosierten intravenösen Immunglobulinen (1 g pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag an zwei aufeinanderfolgenden Tagen) unterbrochen werden.
Ebenfalls wichtig sei die Untersuchung auf D-Dimere, Spaltprodukte des Fibrins also, und eine bildgebende Diagnostik. Bis zum sicheren Ausschluss einer HIT sollte auf eine Antikoagulation mit Heparinen verzichtet und auf alternative, HIT-kompatible Präparate ausgewichen werden, heißt es in einer Stellungnahme der GTH.
»In Kürze erwarten wir Publikationen, die den Mechanismus hinter dem Krankheitsbild der Impfstoff-assoziierten Sinusvenenthrombose näher erläutern«, sagt Thrombose-Experte Oldenburg. International, vor allem in Norwegen und Deutschland, arbeiten Forschende, insbesondere auch die Greifswalder Gruppe um Professor Dr. Andreas Greinacher, unter Hochdruck daran, diese Ergebnisse zu veröffentlichen, so Oldenburg.
Durch die Impfung kommt es wahrscheinlich im Rahmen der inflammatorischen Reaktion und Immunstimulation zu einer Antikörperbildung gegen Plättchenantigene, heißt es in der GTH-Stellungnahme zu Greinachers Untersuchungen. Diese Antikörper würden dann abhängig oder unabhängig von Heparin über den Fc-Rezeptor eine massive Thrombozytenaktivierung in Analogie zur HIT induzieren. Dieser Mechanismus, HIT mimicry genannt, konnte bei vier Patienten mit einer Sinusvenenthrombose nach Impfung mit der Vakzine von Astra-Zeneca im Labor nachgewiesen werden. Dieser Pathomechanismus schließe aber nicht aus, dass den Sinusventhrombosen nach der Impfung auch andere Ursachen zugrunde liegen können, heißt es weiter.
Über eine ähnliche Vermutung hatten am Donnerstag bereits Forscher aus Norwegen berichtet: Professor Dr. Pål Andre Holme vom Universitätsklinikum Oslo hatte gesagt, er vermute, dass die Bildung der Gerinnsel über eine starke Immunantwort und dabei entstehende spezifische Antikörper gegen Blutplättchen laufen könnte. Genauere Angaben zum Pathomechanismus und der Therapie werden sicherlich noch folgen.
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