Was taugt die Apfelessig-Diät? |
Geforscht wird unter anderem zur Wirkung von Apfelessig auf die Blutzuckerkontrolle. So zeigte sich 2010 in einer griechischen Studie, dass der Zusatz von Essig die postprandiale Glykämie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes reduziert – allerdings nur dann, wenn er zu einer Mahlzeit mit hohem glykämischen Index (GI) hinzugefügt wird. Bei Patienten, die eine isokalorische Mahlzeit mit niedrigem GI zu sich nahmen, hatte der Zusatz von Essig keinen Effekt (»European Journal of Clinical Nutrition«, DOI: 10.1038/ejcn.2010.89).
Forschende aus Brasilien um Heitor O. Santos führen in einem 2019 erschienenen Review zahlreiche Belege dafür an, dass Essig in Kombination mit kohlenhydratreichen Mahlzeiten eine positive akute Wirkung auf den Blutzuckerspiegel hat. Sie vermuten, dass dies über eine Hemmung der α-Amylase, eine verbesserte Glucoseaufnahme in die Zellen und eine Beteiligung von Transkriptionsfaktoren geschieht. Allerdings beklagen sie das Fehlen von Langzeitstudien zu dieser Fragestellung (»Clinical Nutrition ESPEN«, DOI: 10.1016/j.clnesp.2019.05.008).
In einer kürzlich erschienenen systematischen Übersichtsarbeit verglichen Forschende des All India Institute of Medical Science die Wirkung von Apfelessig auf den Blutzuckerspiegel mit der von verschiedenen traditionellen Gewürzen (»Diabetes & Metabolic Syndrome: Clinical Research & Reviews«, DOI: 10.1016/j.dsx.2023.102826). Insgesamt wurden 3130 Teilnehmende mit Typ-2-Diabetes aus 44 Studien in die Analyse aufgenommen. Im Vergleich zu Placebo konnte Apfelessig den Nüchternblutzucker am stärksten senken (–29 mg/dl), gefolgt von Bockshornkleesamen (–19 mg/dl), Curcumin (–13 mg/dl) und Zimt (–9 mg/dl). Als signifikant wirksam zur Senkung des HbA1C erwiesen sich Apfelessig (–2,10 mg/dl) und Bockshornkleesamen (–0,84 mg/dl). Die Autoren schlussfolgern, dass Apfelessig als Zusatztherapie für die Blutzuckerkontrolle von Patienten mit Typ-2-Diabetes eingesetzt werden könnte.
Noch aktueller ist ein Übersichtsartikel einer Gruppe um Anna Cherta-Murillo vom Imperial College London (»The American Journal of Clinical Nutrition« 2022, DOI: 10.1093/ajcn/nqac085). Es geht darin um die physiologischen Wirkungen von kurzkettigen Fettsäuren (Short Chain Fatty Acids, SCFA), die von Darmbakterien aus löslichen Ballaststoffen gebildet werden und zu denen die Essigsäure zählt.
Forschungen haben gezeigt, dass sie G-Protein-gekoppelte Rezeptoren für freie Fettsäuren (FFAR 2 und FFAR 3) im Darm und in insulinsensitiven Geweben aktivieren. Das löst eine Reihe von Effekten aus, beispielsweise die Freisetzung anorektischer Hormone wie Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) und Peptid YY. Zudem nimmt die hepatische Gluconeogenese ab und die Fettsäure-Oxidation wird verstärkt. Eine geringere Konzentration an freien Fettsäuren im Blut wird mit einer verbesserten Insulinsensitivität in Verbindung gebracht.
Dieser physiologische Effekt lässt sich laut der Übersichtsarbeit durch den Verzehr von löslichen Ballaststoffen wie Weizenkleie, Flohsamen oder resistenter Stärke fördern. Jedoch nimmt ein erheblicher Teil der Bevölkerung nicht die empfohlenen 30 g Ballaststoffe pro Tag zu sich. Daher sei es das Ziel zahlreicher aktueller Forschungsarbeiten, das therapeutische Potenzial von SCFA zu untersuchen, wenn sie in Konzentrationen verabreicht werden, die mindestens der empfohlenen Ballaststoffzufuhr entsprechen.
Cherta-Murillo und ihr Team kommen nicht zu eindeutigen Schlussfolgerungen, da die beobachteten Effekte der verfügbaren Studien entweder nur schwach positiv oder widersprüchlich sind. Zu den Limitationen der einzelnen Studien gehören geringe Teilnehmerzahlen, fehlende Verblindung, kurze Dauer, große Heterogenität und die Tatsache, dass die Ergebnisse in folgenden Langzeitstudien nicht reproduziert werden konnten. Des Weiteren sei ein Publikations-Bias zu vermuten, was zu einer unsicheren Evidenzlage führe.
In Zukunft seien weitere qualitativ hochwertige Untersuchungen erforderlich, um festzustellen, ob der Verzehr von Essig ein probates Mittel für eine langfristige Appetitminderung sein kann. Die Studien sollten auch glykämische Störfaktoren wie körperliche Aktivität und Veränderungen des Körpergewichts berücksichtigen und darüber berichten.