Was taugt die Apfelessig-Diät? |
Apfelessig ist zweimal vergorener Apfelsaft. Die Trübung kommt durch Essigsäurebakterien zustande und ist unbedenklich. / Foto: Adobe Stock/Brent Hofacker
Verdünnten Apfelessig zu trinken, scheint ein Dauerbrenner unter den Gesundheitstrends zu sein. Das zeigen zahlreiche Videos zu dem Thema in den sozialen Medien. Als Hausmittel wird Apfelessig schon seit der Antike angewendet, beispielsweise zur Behandlung von Wunden oder zum Haltbarmachen von Nahrungsmitteln. Neuere Forschungen beschäftigen sich mit seiner blutzuckerregulierenden und appetithemmenden Wirkung.
Apfelessig ist im Prinzip zweimal vergorener Apfelsaft. Die erste Gärung findet mittels Hefen statt, die den Zucker des Safts in Alkohol umwandeln. Anschließend fermentieren Essigsäurebakterien den Alkohol des Apfelweins zu Essigsäure, die im fertigen Produkt in einer Konzentration von etwa 5 bis 6 Prozent enthalten ist. Die Inhaltsstoffe des Apfels sind in weit geringerer Konzentration auch im Apfelessig enthalten, unter anderem Mineralstoffe, B-Vitamine, Flavonoide, Aminosäuren, Enzyme, die Gerbsäure Tannin und probiotische Bakterien, insbesondere in nicht pasteurisierten, naturtrüben Bioprodukten. Bei diesen Trübungen, Fäden oder Schlieren handelt es sich um die sogenannte Essigmutter, die vorwiegend aus Essigsäurebakterien besteht. Sie wirkt positiv auf die Darmflora und kann bedenkenlos mitverzehrt werden.
Die sogenannte Apfelessig-Diät basiert auf folgenden Empfehlungen: Zu einem Glas Wasser werden zwei bis drei Tee- oder Esslöffel Apfelessig (entsprechend 5 bis 30 ml) und eventuell ein wenig Honig oder Fruchtsaft gegeben. Diese Mischung soll vor jeder Mahlzeit getrunken werden. Da der Ernährungsplan gleichzeitig eine kalorienreduzierte Diät vorsieht, liegt die Vermutung nahe, dass der Gewichtsverlust vor allem in der Kalorienrestriktion und der Wasserzufuhr vor der Mahlzeit begründet ist.
Laut einer Studie von iranischen Forschenden aus dem Jahr 2018 könnte jedoch auch der Apfelessig selbst zum Abnehmerfolg beitragen (»Journal of Functional Foods«, DOI: 10.1016/j.jff.2018.02.003). Die 39 Teilnehmenden erhielten alle eine Diät mit einem leichten Energiedefizit von 250 kcal/Tag. Eine Hälfte erhielt zusätzlich 30 ml Apfelessig pro Tag. Nach zwölf Wochen hatte diese Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe tatsächlich mehr Gewicht verloren. Zudem waren bei dieser Gruppe auch Triglyceride und Gesamtcholesterol signifikant gesunken und das HDL-Cholesterol signifikant angestiegen. Allerdings wussten die Teilnehmer, dass sie Essig trinken, da die Studie nicht verblindet war. Diese Tatsache und weitere methodische Limitationen reduzieren die Aussagekraft dieser und weiterer Studien zu dieser Fragestellung.
Geforscht wird unter anderem zur Wirkung von Apfelessig auf die Blutzuckerkontrolle. So zeigte sich 2010 in einer griechischen Studie, dass der Zusatz von Essig die postprandiale Glykämie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes reduziert – allerdings nur dann, wenn er zu einer Mahlzeit mit hohem glykämischen Index (GI) hinzugefügt wird. Bei Patienten, die eine isokalorische Mahlzeit mit niedrigem GI zu sich nahmen, hatte der Zusatz von Essig keinen Effekt (»European Journal of Clinical Nutrition«, DOI: 10.1038/ejcn.2010.89).
Forschende aus Brasilien um Heitor O. Santos führen in einem 2019 erschienenen Review zahlreiche Belege dafür an, dass Essig in Kombination mit kohlenhydratreichen Mahlzeiten eine positive akute Wirkung auf den Blutzuckerspiegel hat. Sie vermuten, dass dies über eine Hemmung der α-Amylase, eine verbesserte Glucoseaufnahme in die Zellen und eine Beteiligung von Transkriptionsfaktoren geschieht. Allerdings beklagen sie das Fehlen von Langzeitstudien zu dieser Fragestellung (»Clinical Nutrition ESPEN«, DOI: 10.1016/j.clnesp.2019.05.008).
In einer kürzlich erschienenen systematischen Übersichtsarbeit verglichen Forschende des All India Institute of Medical Science die Wirkung von Apfelessig auf den Blutzuckerspiegel mit der von verschiedenen traditionellen Gewürzen (»Diabetes & Metabolic Syndrome: Clinical Research & Reviews«, DOI: 10.1016/j.dsx.2023.102826). Insgesamt wurden 3130 Teilnehmende mit Typ-2-Diabetes aus 44 Studien in die Analyse aufgenommen. Im Vergleich zu Placebo konnte Apfelessig den Nüchternblutzucker am stärksten senken (–29 mg/dl), gefolgt von Bockshornkleesamen (–19 mg/dl), Curcumin (–13 mg/dl) und Zimt (–9 mg/dl). Als signifikant wirksam zur Senkung des HbA1C erwiesen sich Apfelessig (–2,10 mg/dl) und Bockshornkleesamen (–0,84 mg/dl). Die Autoren schlussfolgern, dass Apfelessig als Zusatztherapie für die Blutzuckerkontrolle von Patienten mit Typ-2-Diabetes eingesetzt werden könnte.
Noch aktueller ist ein Übersichtsartikel einer Gruppe um Anna Cherta-Murillo vom Imperial College London (»The American Journal of Clinical Nutrition« 2022, DOI: 10.1093/ajcn/nqac085). Es geht darin um die physiologischen Wirkungen von kurzkettigen Fettsäuren (Short Chain Fatty Acids, SCFA), die von Darmbakterien aus löslichen Ballaststoffen gebildet werden und zu denen die Essigsäure zählt.
Forschungen haben gezeigt, dass sie G-Protein-gekoppelte Rezeptoren für freie Fettsäuren (FFAR 2 und FFAR 3) im Darm und in insulinsensitiven Geweben aktivieren. Das löst eine Reihe von Effekten aus, beispielsweise die Freisetzung anorektischer Hormone wie Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) und Peptid YY. Zudem nimmt die hepatische Gluconeogenese ab und die Fettsäure-Oxidation wird verstärkt. Eine geringere Konzentration an freien Fettsäuren im Blut wird mit einer verbesserten Insulinsensitivität in Verbindung gebracht.
Dieser physiologische Effekt lässt sich laut der Übersichtsarbeit durch den Verzehr von löslichen Ballaststoffen wie Weizenkleie, Flohsamen oder resistenter Stärke fördern. Jedoch nimmt ein erheblicher Teil der Bevölkerung nicht die empfohlenen 30 g Ballaststoffe pro Tag zu sich. Daher sei es das Ziel zahlreicher aktueller Forschungsarbeiten, das therapeutische Potenzial von SCFA zu untersuchen, wenn sie in Konzentrationen verabreicht werden, die mindestens der empfohlenen Ballaststoffzufuhr entsprechen.
Cherta-Murillo und ihr Team kommen nicht zu eindeutigen Schlussfolgerungen, da die beobachteten Effekte der verfügbaren Studien entweder nur schwach positiv oder widersprüchlich sind. Zu den Limitationen der einzelnen Studien gehören geringe Teilnehmerzahlen, fehlende Verblindung, kurze Dauer, große Heterogenität und die Tatsache, dass die Ergebnisse in folgenden Langzeitstudien nicht reproduziert werden konnten. Des Weiteren sei ein Publikations-Bias zu vermuten, was zu einer unsicheren Evidenzlage führe.
In Zukunft seien weitere qualitativ hochwertige Untersuchungen erforderlich, um festzustellen, ob der Verzehr von Essig ein probates Mittel für eine langfristige Appetitminderung sein kann. Die Studien sollten auch glykämische Störfaktoren wie körperliche Aktivität und Veränderungen des Körpergewichts berücksichtigen und darüber berichten.
Nach heutigem Stand der Wissenschaft ist es also fraglich, ob eine Gewichtsreduktion mit Essig möglich ist. Wer nachhaltig Gewicht verlieren möchte, kommt nicht darum herum, sich mit seinem Lebensstil und seinen Ernährungsgewohnheiten auseinanderzusetzen. Doch der Essig könnte dabei helfen, länger satt zu bleiben und postprandiale Blutzucker- und Insulinspitzen nach kohlehydratreichen Mahlzeiten abzudämpfen. Es spricht also nichts dagegen, Apfelessig in die Mahlzeiten zu integrieren, etwa in Salatdressings oder Marinaden.
Um zu verhindern, dass der Apfelessig den Zahnschmelz angreift, sollte man nach der Einnahme ein Glas Wasser trinken und eine halbe Stunde warten, bevor man sich die Zähne putzt. / Foto: Getty Images/Westend61
Allerdings verträgt nicht jeder Apfelessig; bei einigen Menschen löst er in größeren Mengen oder unverdünnt Übelkeit und Erbrechen aus. Insbesondere bei unverdünnter Einnahme kann Apfelessig zudem den Zahnschmelz schädigen. Es sollte ein Glas Wasser nachgetrunken werden und mindestens 30 Minuten bis zum Zähneputzen abgewartet werden. Bekannt ist zudem, dass Apfelessig den Kaliumspiegel senkt. Das bedeutet, dass Menschen mit einem Risiko für Hypokaliämie und Patienten, die Diuretika einnehmen, vor der Einnahme von Apfelessig mit ihrem Arzt darüber sprechen sollten.