Pharmazeutische Zeitung online
Neue Arzneistoffe

Was bringt das Jahr 2021?

Das Jahr 2020 war von der Pandemie geprägt. Bei neuen Medikamenten lag der Fokus auf Mittel gegen SARS-CoV-2. Dabei sind besonders viele Sprunginnovationen für andere Indikationen in den Handel gekommen. Dieser erfreuliche Trend könnte sich im Jahr 2021 fortsetzen. Eine Übersicht.
Sven Siebenand
08.01.2021  18:00 Uhr

Studiert man die Veröffentlichungen auf der Website der Europäischen Arzneimittelagentur EMA und blickt zum Beispiel in eine Liste des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), so sind im Jahr 2021 etliche neue und innovative Medikamente auf dem deutschen Markt zu erwarten.

Einige neue Wirkstoffe haben bereits die EU-Zulassung erhalten, sind aber noch nicht in den Handel eingeführt. Für eine ganze Reihe weiterer Mittel ist eine Zulassungsempfehlung beantragt oder bereits ausgesprochen. In der Regel folgt die Europäische Kommission einer sogenannten »Positive Opinion« vom Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA und lässt die Präparate dann wenig später zu. Das heißt: Auch diese Medikamente könnten relativ schnell im Markt verfügbar sein.

Neue antivirale Medikamente

Auch im Jahr 2021 wird großes Augenmerk auf mögliche Covid-19-Medikamente gerichtet werden. An maßgeschneiderten antiviralen Wirkstoffen wird mit Hochdruck gearbeitet (Kasten).

Viel weiter in der Entwicklung sind andere antivirale Substanzen. Kurz vor der Zulassung steht nach einer entsprechenden EMA-Empfehlung der Influenza-Wirkstoff Baloxavirmarboxil (Xofluza®). Er wird zur oralen Behandlung der Grippe und zur Postexpositions-Prophylaxe, zum Beispiel für nicht-infizierte Menschen mit engem Kontakt zu Influenza-Patienten, ab zwölf Jahren empfohlen. Der Wirkmechanismus ist innovativ: Der aktive Metabolit Baloxavirsäure hemmt die Cap-abhängige Endonuklease und damit den Replikationszyklus von Influenza-Viren.

Im Bereich HIV ist mit der Markteinführung eines neuen Integrase-Hemmers zu rechnen: Cabotegravir (Vocabria®). Laut der EU-Zulassung wird das Präparat mit dem Rilpivirin-haltigen Medikament Rekambys® kombiniert. Die Kombi ist vorgesehen zur Erhaltungstherapie von Erwachsenen, die mit ihrer derzeitigen antiretroviralen Behandlung nicht nachweisbare HIV-Spiegel im Blut aufweisen und bei denen das Virus nicht gegen Integrase-Hemmer oder nicht nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) resistent ist. Das Besondere: Beide Arzneistoffe stehen in einer lang wirksamen injizierbaren Formulierung zur Verfügung. Das bedeutet, dass die Patienten monatlich oder zweimonatlich intramuskuläre Injektionen erhalten. Alle zwei Monate injiziertes Cabotegravir wird darüber hinaus auch als HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) entwickelt.

Für die Behandlung der multiresistenten HIV-Infektion hat das Fostemsavir-haltige Präparat Rukobia® im Dezember 2020 eine Zulassungsempfehlung erhalten. Das peroral verfügbare Prodrug wird in vivo zu Temsavir umgewandelt. Dieses bindet an das Glykoprotein 120 auf der Virusoberfläche und verhindert damit die Bindung an und die Infektion von CD4-T-Zellen. Nachdem im Jahr 2020 mit Ibalizumab (Trogarzo®) ein Medikament für die multiresistente HIV-Infektion in den Handel kam, könnte es 2021 gleich das nächste geben.

Neue Antibiotika in Sicht

Erfreulicherweise könnte sich im Jahr 2021 auch im Bereich der Antibiotika etwas tun. Beispielsweise ist das neue Antibiotikum Lefamulin (Xenleta®) für Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie zugelassen. Es wird als Infusionslösung und als Filmtablette angeboten. Lefamulin gehört zu den Pleuromutilin-Antibiotika. Erstmals könnte damit ein systemisch verfügbarer Arzneistoff dieser Klasse in den Handel kommen. Pleuromutilin-Antibiotika hemmen die bakterielle Proteinsynthese, indem sie an das Peptidyltransferase-Zentrum der 50S-Untereinheit der Ribosomen binden.

Ebenfalls zugelassen ist das erste sogenannte Siderophor-Antibiotikum: Cefiderocol (Fetcroja®). Bereits im Dezember verkündete der Hersteller die Markteinführung; beim ABDATA Pharma-Daten-Service ist die Neueinführung für Januar gemeldet. Cefiderocol darf zur Therapie von Infektionen bei Erwachsenen durch aerobe gramnegative Erreger zum Einsatz kommen, wenn nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Das Molekül nutzt den Eisentransport von gramnegativen Bakterien, um in die Zelle zu gelangen. Das Siderophor komplexiert Eisen und wird so über das aktive Transportsystem der Zelle ins Innere geschleust, sozusagen als Trojanisches Pferd. Dadurch können Resistenzmechanismen von Bakterien überwunden werden.

Antibiotika zum Dritten: Auch das Fluorchinolon Delafloxacin (Quofenix®) ist zugelassen – bereits seit Ende 2019. Es hemmt die Topoisomerasen II sowie IV und soll bei bakteriellen Hautinfektionen in Tablettenform oder als Injektion zum Einsatz kommen.

Zu erwähnen sind ferner zwei neue Betalaktamase-Inhibitoren, die in zugelassenen Fixkombinationen enthalten sind, aber noch nicht in den Markt eingeführt wurden. Vaborbactam ist in Vaborem® zusammen mit Meropenem enthalten und bei komplizierten Harnwegsinfektionen vorgesehen. Relebactam ist in Recarbrio® zusammen mit Imipenem und Cilastatin enthalten. Das Medikament soll zur Behandlung von Pneumonien und anderen Infektionen mit gramnegativen Bakterien angewendet werden.

Zugelassen ist der oral verfügbare Tuberkulose-Wirkstoff Pretomanid. Das Präparat Pretomanid FGK® ist indiziert in Kombination mit Bedaquilin und Linezolid für erwachsene Patienten mit extrem resistenter Tuberkulose oder mit multiresistenter Tuberkulose, die auf die sonstige Behandlung nicht ansprechen oder diese nicht vertragen. Pretomanid ist ein Prodrug und wird im Körper durch das Coenzym F420 des Tuberkulose-Erregers aktiviert. Der Wirkstoff hemmt sowohl die Synthese von Zellwandlipiden als auch die Zellatmung durch Freisetzung von reaktiven Stickstoffspezies.

Neue Neurodermitis-Medikamente

Auch bei der Behandlung der atopischen Dermatitis könnte sich in nächstes Zeit einiges tun. Im Jahr 2020 hat Baricitinib (Olumiant®) als erster Januskinase-Inhibitor eine Zulassungserweiterung für die Therapie der atopischen Dermatitis erhalten. Auch andere JAK-Hemmer stehen in dieser Indikation in den Startlöchern. Ein ganz neuer JAK1-Hemmer ist Abrocitinib. Ebenfalls als Neurodermitis-Medikament gedacht ist der gegen das Interleukin-13 gerichtete Antikörper Tralokinumab, der subkutan verabreicht werden muss. Sowohl für Abrocitinib als auch für Tralokinumab ist die EU-Zulassung beantragt.

Der topische Phosphodiesterase-(PDE-)4-Inhibitor Crisaborol (Staquis®) ist schon einen Schritt weiter und seit 2020 zugelassen, aber noch nicht im Handel. Die PDE-4-Blockade führt zur Hemmung von TNF-alfa, Interleukin-12 und Interleukin-23. Der Arzneistoff darf ab einem Alter von zwei Jahren verwendet werden und wird auch für die Indikation Schuppenflechte untersucht.

Neueinführungen stehen möglicherweise auch im Bereich Epilepsie an. Die EU-Zulassung hat beispielweise ein alter Bekannter erhalten: Fenfluramin (Fintepla®). Der Appetitzügler, der vor vielen Jahren wegen kardiovaskulärer Nebenwirkungen vom Markt genommen wurde, steht vor einem Comeback als Add-on-Therapeutikum für Patienten, die am Dravet-Syndrom leiden. Dies ist eine seltene angeborene epileptische Enzephalopathie mit häufigen Krampfanfällen ab der frühen Kindheit. Fenfluramin erhöht den Serotonin-Spiegel im Gehirn. Ob dies die Wirkung beim Dravet-Syndrom erklärt, ist aber nicht gesichert.

Auch der Wirkmechanismus von Cenobamat (Xcpopri®), dessen Zulassung bei der EMA beantragt ist, ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Wahrscheinlich ist eine doppelte komplementäre Wirkung. Zum einen wirkt Cenobamat über Verstärkung der inhibitorischen Ströme durch Modulation von GABAA-Rezeptoren. Zum anderen wirkt die Substanz antikonvulsiv, indem sie exzitatorische Ströme durch Hemmung des anhaltenden Natriumstroms und durch Stärkung des inaktivierten Zustands spannungsaktivierter Natriumkanäle blockiert. Der Wirkstoff könnte eine neue Option zur Begleittherapie von fokal auftretenden Anfällen bei Erwachsenen werden.

Weitere RNAi-Therapeutika

Auch bei den hochinnovativen Therapieformen sind im kommenden Jahr Neuzugänge zu erwarten. Einige neue Gentherapien und weitere CAR-T-Zelltherapeutika könnten die Zulassung erhalten und in den Handel kommen.

Relativ frisch ist die EU-Zulassung von zwei weiteren Medikamenten, die die RNA-Interferenz ausnutzen. Dabei sorgen kleine RNA-Stücke, sogenannte small interfering RNA (si­RNA), dafür, dass komplementäre mRNA selektiv abgebaut wird. Somit steht diese mRNA nicht mehr für die Proteintranslation zur Verfügung und die Menge des von ihr kodierten Proteins in der Zelle nimmt ab.

Bei dem neuen Lipidsenker Inclisiran (Leqvio®) wird das Protein PCSK9 nicht mehr produziert. Damit wird der PCSK9-vermittelte Abbau des LDL-Rezeptors gehemmt und somit wird mehr LDL-Cholesterol aus dem Blut extrahiert. Das heißt, Inclisiran wirkt wie die Arzneistoffe Evolocumab (Repatha®) und Alirocumab (Praluent®) als PCSK9-Inhibitor. Das nur zweimal jährlich subkutan zu injizierende RNAi-Therapeutikum soll bei primärer Hypercholesterolämie und gemischter Dyslipidämie zum Einsatz kommen.

Das Einsatzgebiet des zweiten zugelassenen RNAi-Therapeutikums, Lumasiran (Oxlumo®), ist eine seltene Erberkrankung, die primäre Hyperoxalurie Typ 1. Dabei kommt es zu einer extrem hohen Oxalatproduktion. Dieses setzt sich als unlösliches Calciumsalz in den Nieren und anderen Organen ab und kann zu einer lebensbedrohlichen Nierenerkrankung und anderen systemischen Komplikationen führen. Das Target von Lumasiran ist die mRNA für das Enzym Glykolatoxidase (GO) in der Leber. Der Wirkstoff senkt den GO-Spiegel im Körper und im Folgenden auch den Oxalat-Spiegel. Auch Lumasiran wird injiziert.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa