Warum die Thrombozyten so wichtig sind |
Annette Rößler |
07.09.2021 15:30 Uhr |
Blutplättchen (hier gelb koloriert) werden bei Verletzung eines Blutgefäßes aktiviert, wodurch sie sogenannte Pseudopodien aussprießen und sich an das umliegende Gewebe und aneinander anheften. Der so entstandene weiße Thrombus stoppt die Blutung. / Foto: Imago/Science Photo Library
Mit Lusutrombopag (Mulpleo®, Shionogi) wird demnächst ein weiterer Wirkstoff zur Erhöhung der Thrombozytenzahl bei Patienten mit chronischer Lebererkrankung (CLD) zur Verfügung stehen. In dieser Indikation wird es nach Avatrombopag (Doptelet®), das im April 2021 auf den Markt kam, der zweite zugelassene Wirkstoff sein; zusätzlich sind als weiterer Thrombopoetin-Rezeptoragonist seit 2010 Eltrombopag (Revolade®) und seit 2009 das Fusionsprotein Romiplostim (Nplate®) zur Behandlung der Thrombozytopenie in anderen Indikationen verfügbar.
Bei der Einführungs-Pressekonferenz von Lusutrombopag wurde deutlich, warum der Mangel an Blutplättchen bei Patienten mit Lebererkrankungen, insbesondere mit einer Leberzirrhose, eine so zentrale Rolle spielt. »Die Thrombozytopenie ist die häufigste hämatologische Komplikation bei Leberzirrhose«, sagte Professor Dr. Christoph Sarrazin vom St. Josefs-Hospital in Wiesbaden. Drei von vier Patienten mit Zirrhose seien davon betroffen. Bei Patienten, die zwar eine geschädigte Leber, aber noch keine Zirrhose hätten, sei eine Thrombozytopenie dagegen selten.
Warum ist das so? Eine zirrhotische Leber zeichnet sich dadurch aus, dass große Areale des Lebergewebes in Bindegewebe umgebaut wurden. Dadurch ist die Durchblutung gestört und das Blut staut sich vor der Leber: Es entsteht ein Pfortaderhochdruck. In der Folge kommt es zu einer Umverteilung eines Großteils der Thrombozyten in die Milz (Sequestrierung oder auch Sequestration) und zu einem beschleunigten Abbau der Blutplättchen. Zudem werden auch weniger Thrombozyten gebildet, denn die geschädigte Leber produziert weniger Thrombopoetin (TPO). Dieser Thrombozyten-Wachstumsfaktor, der über verschiedene Wege die Freisetzung von Thrombozyten aus reifen Megakaryozyten stimuliert, ist darüber hinaus auch weniger aktiv.
»Je stärker die Zirrhose fortschreitet, desto niedriger werden die Thrombozytenzahlen«, beschrieb Sarrazin das Ergebnis dieser Prozesse. Von einer Thrombozytopenie, also einem Blutplättchenmangel, spricht man ab einem Wert unter 150.000 pro µl Blut. Etwa 5 Prozent der Patienten mit Leberzirrhose haben sogar noch deutlich niedrigere Thrombozytenzahlen, nämlich unter 50.000/µl.
»Niedrige Thrombozytenzahlen sind deshalb so kritisch, weil sie für das Blutungsrisiko der Patienten bei invasiven Eingriffen wichtiger sind als die Blutungszeit und der INR-Wert«, erklärte Professor Dr. Jens Marquardt vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck. Denn bei einer Verletzung bildet sich zuerst ein sogenannter weißer Thrombus aus Thrombozyten, der zwar weniger stabil ist als der sekundäre, fibrinhaltige Gerinnungsthrombus, aber die Blutung zunächst stoppt.
Patienten mit Leberzirrhose müssen sich häufig invasivenEingriffen unterziehen, zum Beispiel Leberbiopsien, Parazentesen, um Ödemflüssigkeit aus dem Bauch abzulassen, oder zahnärztlichen Behandlungen. Abhängig von der Thrombozytenzahl des Patienten und vom Risiko des Eingriffs müssen Ärzte dann vorher abschätzen, ob er vorgenommen werden kann oder nicht – laut Marquardt häufig eine sehr schwierige Entscheidung.
Die Gabe von Thrombozytenkonzentraten (TK) sei aus mehreren Gründen keine befriedigende Lösung für dieses Problem. Denn sie sei mit einer Volumenbelastung verbunden, wodurch wiederum der Portalvenendruck und in der Folge das Blutungsrisiko steige, wirke sie – wenn überhaupt – nur vorübergehend, sei teuer und mit einem hohen logistischen Aufwand verbunden. Die Gabe eines Thrombopoetin-Rezeptoragonisten wie Lusutrombopag sei effektiver und einfacher: Die Patienten nehmen über sieben Tage einmal täglich eine 3-mg-Tablette Mulpleo ein, dann sind zwei Tage Pause und ab Tag 9 kann bei entsprechend hoher Thrombozytenzahl der invasive Eingriff erfolgen.
Lusutrombopag stimuliert die Transmembrandomäne von TPO-Rezeptoren auf hämatopoetischen Stammzellen und Megakaryozyten. Dadurch wird die Thrombopoese stimuliert und die Thrombozytenkonzentration steigt. In Studien wurde die Therapie im Allgemeinen gut vertragen: Kopfschmerzen traten bei 4,7 Prozent der Behandelten auf und waren damit die häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen (Placebogruppe: 3,5 Prozent).