Wann kommen die nasalen Impfstoffe? |
Theo Dingermann |
04.08.2022 18:00 Uhr |
Diese Studie ist eine weitere Stütze der Hypothese, dass die aktuellen Covid-19-Impfstoffe durch die Rekrutierung zirkulierender B- und T-Zell-Antworten während einer Reinfektion zwar hochwirksam vor schweren Krankheitsverläufen schützen, dass sie aber nur einen begrenzten Schutz gegen eine Durchbruchinfektion bieten. Dies gilt in besonderem Maße für die derzeit kursierenden Omikron-Sublinien. Daher scheint es nur durch eine mukosale Auffrischungsimpfung möglich zu sein, eine robuste sterilisierende Immunität im Respirationstrakt gegen SARS-CoV-2 aufzubauen, obwohl noch unklar ist, wie lang dieser Schutz anhält.
Da dies keine neuen Erkenntnisse sind, kann man fragen, warum es bisher noch keine Impfstoffe dieses Typs gibt. Die naheliegende Antwort lautet, dass es nicht einfach ist, einen nasal zu applizierenden Impfstoff zu entwickeln.
Aktuell gibt es in Europa und den USA nur einen Impfstoff, der nasal appliziert wird. Dabei handelt es sich um Fluenz® Tetra, der zum Schutz vor Influenza bei Kindern zwischen zwei und unter 18 Jahren angewendet wird. Fluenz Tetra enthält lebend-attenuierte Influenza-A- und Influenza-B-Virusstämme gemäß den amtlichen Empfehlungen für die jährliche Grippesaison. Der Impfstoff wirkt vor allem bei Kindern und Jugendlichen, und hat Studien zufolge eine geringere Wirksamkeit bei Erwachsenen. Ein Problem ist dabei die vorbestehende Immunität gegen Grippeviren: Bei Personen, die schon Grippeantikörper entwickelt haben, wird der Impfstoff nach der nasalen Applikation inaktiviert (»Vaccines« 2020).
Dies zeigt, dass es offensichtlich nicht einfach ist, das an sich plausible Konzept einer mukosalen Immunisierung umzusetzen. Unterstrichen wird dies auch dadurch, dass das biopharmazeutische US-Unternehmen Altimmune, das sich früh bei der Entwicklung nasaler Covid-19-Impfstoffe engagierte, am 29. Juni 2021 bekannt gab, die Impfstoffentwicklung einzustellen. Grund waren die enttäuschend Immunogenitätsdaten einer klinischen Phase-I-Studie. Es ließen sich zwar Antikörper nachweisen, die das SARS-CoV-2-S-Protein binden und das Virus bei einer Untergruppe von Probanden neutralisieren. Allerdings waren das Ausmaß der Reaktion und der Prozentsatz der Probanden, die auf den Impfstoff »AdCOVID« reagierten, wesentlich geringer als bei anderen Impfstoffen, die damals bereits für den Notfalleinsatz zugelassen waren.
Zum damaligen Zeitpunkt befanden sich sechs nasal zu applizierende Impfstoffe in der klinischen Entwicklung. Aktuell wird weltweit an mehr als einem Dutzend intranasal verabreichten Covid-19-Impfstoffen gearbeitet, wie ein Bericht des Nachrichtenportals »The Scientist« ausweist. Diese Impfstoffe reichen von adenoviralen Vektoren bis hin zu abgeschwächten SARS-CoV-2-Lebendimpfstoffen.
Den Angaben zufolge ist einer der dort gelisteten Impfstoffe, die nasal zu applizierende Version des russischen Sputnik-V-Impfstoffs des Gamaleya National Centers of Epidemiology and Microbiology, von den russischen Behörden bereits zugelassen. Vier dieser Impfstoffkandidaten werden derzeit in randomisierten, placebokontrollierten Phase-III-Studien getestet: Zwei davon basieren auf Vektoren – einer auf einem adenoviralen Vektor (BBV154 von Bharat Biotech) und einer auf einem Influenzavirus-Vektor (DelNS1-2019-nCoV-RBD-OPT1 von Beijing Wantal Biological), in die das S-Protein oder die Rezeptorbindedomäne von SARS-CoV-2 einkloniert wurden. Ein Impfstoffkandidat (Razi Cov Pars vom Razi Vaccine and Serum Research Institute) enthält ein rekombinantes S-Protein und der vierte Impfstoffkandidat (CoviLiv von Codagenix) enthält ein lebendes, abgeschwächtes Virus.
Der Impfstoff der Firma Astra-Zeneca (ChADOx1/AZD1222), der sich derzeit erst in Phase I der klinischen Prüfung befindet, wurde an Makaken und Hamstern untersucht und löste eine robuste Schleimhautreaktion auf die D614G-Variante aus, wobei die intranasale Verabreichung eine bessere humorale Reaktion hervorrief als die intramuskuläre.
Forscher, die nasale Impfstoffe entwickeln, betonten immer wieder die Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert werden. »Ein intranasaler Impfstoff hat einen ganz anderen Entwicklungsweg – normalerweise ist er schwieriger«, bestätigt auch Professor Dr. Florian Krammer von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York gegenüber »The Scientist«.
Ein Grund für die relativen Schwierigkeiten bei der Entwicklung dieser Impfstoffe ist das Fehlen standardisierter Tests für die Schleimhautimmunität. Obwohl auch nasale Impfstoffe die Bildung von Serum-Antikörpern induzieren, sind diese Titer jedoch kein Maß für die potenzielle Schutzwirkung der Impfstoffe. »Es könnte sein, dass die Titer niedriger sind, obwohl der Impfstoff besser wirkt«, so Krammer.
Somit ist es dem Experten zufolge auch unwahrscheinlich, dass Serum-Antikörpertiter von den Zulassungsbehörden als ein relevanter Surrogatmarker akzeptiert werden, wie dies bei systemischen Coronaimpfstoffen derzeit der Fall ist. Krammer fügt hinzu, dass »in der Regel nicht viel Geld für Studien zur Verfügung steht«, die Aufschluss darüber geben könnten, wie gut nasale Impfstoffe wirken und welche Immunreaktionen am stärksten mit einem Schutz vor Infektion korrelieren, wichtige Informationen, die die Entwicklungskosten deutlich senken könnten.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.