Wann bekommt wer einen Migräne-Antikörper? |
Daniela Hüttemann |
16.12.2019 15:00 Uhr |
Wer mehrmals im Monat unter Migräneattacken leidet, nicht auf die herkömmliche Prophylaxe anspricht oder bei wem gegen diese Kontraindikationen bestehen, kann mit den neuen CGRP-Antikörpern behandelt werden. / Foto: Getty Images/MaximFesenko
Antikörper zur Migräneprophylaxe sind noch recht neu auf dem Markt. Den Anfang machte 2018 der monoklonale Antikörper Erenumab (Aimovig® von Novartis), in diesem Jahr folgten die Markteinführungen von Fremanezumab (Ajovy® von Teva) und Galcanezumab (Emgality® von Lilly). Mit Eptinezumab (ALD40) von Alder Biopharmaceuticals steht bereits ein weiteres, in Deutschland noch nicht gelaunchtes Präparat in den Startlöchern. Während Erenumab mit dem Calcitonin-Gene-Related Peptide (CGRP) um die Bindung an dessen Rezeptor konkurriert, binden die anderen drei Antikörper direkt an CGRP und neutralisieren es so.
Die drei Antikörper-Präparate sind zur Migräne-Prophylaxe bei Patienten mit mindestens vier Migränetagen pro Monat zugelassen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) haben nun erstmals auf Basis der wissenschaftlichen Daten sowie Erwägungen zur Wirtschaftlichkeit der relativ teuren Medikamente Empfehlungen zur Auswahl geeigneter Patienten, zur zeitnahen Beurteilung des Therapieerfolgs und zur Dauer der Behandlung gegeben. Zudem weisen sie auf mögliche Einschränkungen bei der Anwendung hin. Bei den neuen Empfehlungen handelt es sich um eine Ergänzung zur aktuell gültigen S1-Leitlinie »Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne« (030/057).
»Die neuen Antikörper stellen gerade für die Patienten eine segensreiche Erweiterung des Therapiespektrums dar, bei denen die herkömmlichen Migränemedikamente nicht vertragen wurden, wirkungslos blieben oder bei denen sie aus medizinischen Gründen nicht verschrieben werden dürfen«, erklärt DMKG-Präsidentin Privatdozin Dr. Stefanie Förderreuther in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Fachgesellschaften. Es sei wichtig, dass alle Migränepatienten, immerhin 15 Prozent der Bevölkerung, eine wirksame Therapie erhalten.
Standard der medikamentösen Migräne-Prophylaxe waren und sind Betablocker, Calciumkanalblocker, Antikonvulsiva und Amitriptylin, betonen die Fachgesellschaften. »Viele Patienten sind gut mit den herkömmlichen Therapien einzustellen und erleiden unter der Medikation deutlich weniger Migränetage«, erklärt DGN-Pressesprecher Professor Dr. Hans-Christoph Diener. Es sei wenig sinnvoll, diese Patienten auf neue Präparate umzustellen, nur weil sie neu sind. »Im Vergleich zu den herkömmlichen Therapieoptionen sind die Antikörper nicht wirksamer, verschaffen also prinzipiell nicht mehr anfallsfreie Tage, auch addieren sich die Wirkungen von verschiedenen Substanzklassen nicht auf«, so Diener.
Darüber hinaus hätten die neuen Antikörper das Manko, dass fast ein Drittel der Migränepatienten von vorneherein gar nicht auf sie ansprechen. Bei den Patienten, die darauf ansprechen, wirkten sie jedoch sehr gut und seien auch gut verträglich, wie die Zulassungsstudien gezeigt hätten. Ärzte sollten aber regelmäßig hinterfragen, ob die Weiterverordnung noch angemessen sei.
»Nach sechs bis neun Monaten sollte die Antikörpertherapie pausiert und eine Fortführung erst wieder erwogen werden, wenn sich eine Verschlechterung einstellt«, so Migräneexperte Diener. Die neue Leitlinienergänzung enthalte einen klaren Therapiealgorithmus, der allen Behandlern eine rasche Orientierung biete und dafür sorge, dass bei bestmöglicher Wirtschaftlichkeit jeder Patient optimal versorgt ist.
Die Antikörper können eine Option für Migränepatienten mit Komorbiditäten sein, bei denen die herkömmlichen Medikamente zur Prophylaxe kontraindiziert sind. So sollten laut DGN und DMKG Betablocker zum Beispiel nicht bei Menschen mit Asthma eingesetzt werden. Calciumkanalblocker seien bei Schwangerschaft oder Depressionen kontraindiziert. Antikonvulsiva dürften nicht bei Leberfunktionsstörungen oder Niereninsuffizienz verordnet werden. Amitriptylin sei kontraindiziert bei Herzinsuffizienz, Grünem Star oder gutartiger Vergrößerung der Prostata.
»Die Behandlung mit Botulinumtoxin, die noch relativ neu ist und nur bei Patienten mit chronischer Migräne zur Prophylaxe angezeigt ist, kann nicht bei Menschen mit Myasthenia gravis, einer autoimmun vermittelten Muskelschwäche, verschrieben werden«, heißt es zudem in der Pressemitteilung. Aufgrund der vasodilatativen Wirkung von CGRP wird der Substanz eine Schutzfunktion im Körper, etwa im Herz-Kreislauf-System, zugeschrieben. Daher sollten Ärzte bei der möglichen Verordnung der neuen Antikörper Begleiterkrankungen des Patienten mitberücksichtigen.