Virologe Streeck wehrt sich gegen Vorwürfe |
«Doof gelaufen», zumindest die PR, gibt Professor Dr. Hendrik Streeck zu. An seinen wissenschaftlichen Ergebnissen hält er jedoch fest. / Foto: UK Bonn/Katharina Wislsperger
Der Bonner Virologe Professor Dr. Hendrik Streeck hat Vorwürfe entschieden zurückgewiesen, er habe seine Studie zum Corona-Infektionsgeschehen im Kreis Heinsberg vermarkten lassen. «Das war keine Vermarktung», sagte Streeck am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Landtags Nordrhein-Westfalen. «Ich bin persönlich ganz schön davon getroffen, dass man das so darstellt.»
Die Öffentlichkeitsarbeit für die Heinsberg-Studie durch die Berliner Agentur Storymachine in sozialen Medien hatte für Kritik gesorgt. Auch die frühe Veröffentlichung von Zwischenergebnissen der Studie vor war von einigen Wissenschaftler-Kollegen Streecks bemängelt worden. Sie kritisierten, dass sie zum Zeitpunkt der Pressekonferenz die Zwischenergebnisse noch nicht schriftlich in einem wissenschaftlichen Artikel vorliegen hatten. Die Heinsberg-Studie war im Auftrag der NRW-Landesregierung entstanden. Streeck räumte nun auch Fehler ein bei der Öffentlichkeitsarbeit für die Studie. Heute wisse er: «Es ist doof gelaufen.»
Er sei mit seinem Team aber in einer Situation gewesen, in der «unheimlich viele Menschen» an der Studie und der Ausbreitung des Corona-Virus interessiert gewesen seien. Auf seinem Email-Account sei vom «Traumdeuter» bis zum Vorschlag eines «Virenstaubsaugers» sehr viel los gewesen. Er sei deshalb dankbar für den Vorschlag gewesen, dass ihm jemand «über die Schulter geschaut» habe und die Informationen zur Studie in die sozialen Medien gestellt habe, so dass er sich darum nicht mehr habe kümmern müssen. Er habe «nichts Verwerfliches» daran gefunden, für die Öffentlichkeitsarbeit Hilfe in Anspruch zu nehmen, sagte Streeck.
«Was mir aber schlaflose Nächte bereitet, ist die Frage, dass da etwas anrüchig ist in der eigenen Arbeit.» Er habe «in Rekordzeit» eine Studie aufgesetzt und mit Daten zur Diskussion beitragen wollen, sagte Streeck. Dann sei es plötzlich nur noch um Fragen wie Lockerungen der Corona-Beschränkungen gegangen. «Ich habe nie von Lockerungen geredet», sagte Streeck. «Das wurde einfach unterstellt.»
Ein Forscher-Team um Streeck hatte in Gangelt an der niederländischen Grenze 919 Einwohner in 405 Haushalten befragt und Corona-Tests vorgenommen. In dem Ort hatten sich nach einer Karnevalssitzung Mitte Februar viele Bürger mit dem neuartigen Virus infiziert. Die Gemeinde gilt daher als Epizentrum des Virus in NRW. Die Situation ist allerdings nur bedingt vergleichbar mit anderen Regionen Deutschlands.
Streeck hatte in der vergangenen Woche als Ergebnis der Studie eine Modellrechnung präsentiert, wonach sich bis dahin etwa 1,8 Millionen Menschen in Deutschland schon mit dem Coronavirus infiziert haben könnten. Den Ergebnissen zufolge zeigten in Gangelt 22 Prozent der Infizierten «gar keine Symptome». Viele davon wussten bis zum Test nicht, dass sie überhaupt infiziert waren.
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