Vektorviren als Plattform |
Theo Dingermann |
09.07.2020 18:36 Uhr |
Mehr als 120 Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2 befinden sich derzeit in der Impfstoff-Pipeline. 34 von ihnen basieren auf Vektorviren. / Foto: Getty Images/Javier Zayas
Seit vielen Jahren verfolgen Forscher im Rahmen der Weiterentwicklung von Impfstoffkonzepten die Idee, den Körper Impfantigene selbst herstellen zu lassen. Eine dieser Strategien, die jüngst bei einem ersten zugelassenen Impfstoff zum Schutz vor Ebola realisiert wurde, ist das Konzept der Vektorimpfstoffe. Dieses Prinzip wird auch bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 verfolgt.
Bei Vektorimpfstoffen wird das Genmaterial für ein Impfantigen in ein infektionsfähiges, gut bekanntes Trägervirus eingebaut, das dann als Impfstoff injiziert wird. Dieser Vektor dient als eine Art Genfähre, die genetisches Material in die Körperzellen einschleust. Dort wird das zusätzliche Gen für das Impfantigen in dem Vektorvirus abgelesen und in ein virales Protein übersetzt, das dann im Geimpften die Produktion von Antikörpern und spezifischen T-Zellen gegen dieses Antigen provoziert.
Vektorimpfstoffe sind eine klassische Plattformtechnologie: Wenn einmal ein geeignetes Trägervirus etabliert ist, lässt sich auf dieser Basis (Plattform) prinzipiell gegen jeden gewünschten Erreger eine Vakzine entwickeln. Wenn der Impfstoff gegen Ebola gerichtet sein soll, wird dem Vektorvirusgenom ein Ebola-Gen zu-gefügt, bei SARS-CoV-2-Impfstoffen entsprechend ein Gen des Coronavirus.
Wie bei den Ganzvirus-Impfstoffen gibt es auch bei den Vektorimpfstoffen replizierende Vektorviren und nicht replizierende Vektorviren. Dies können RNA-Viren sein, zum Beispiel das Vesikuläre Stomatitis-Virus (VSV) oder das Masernvirus, oder auch DNA-Viren, zum Beispiel das Pockenvirus oder verschiedene Adenoviren. Die Viren können eine Hülle besitzen, wie VSV oder das Pockenvirus, oder unbehüllt sein, zum Beispiel Adenoviren.
Verschiedene Trägerviren kommen als replizierende virale Vektoren in Frage, darunter das Impfmasernvirus, das Pferdepockenvirus, ein attenuiertes Influenzavirus, VSV und das Schafpockenvirus (Orf-Virus). Ein zugelassener Impfstoff auf Basis dieser Plattform ist der Ebola-Impfstoff VSV-ZEBOV (Ervebo®), in dem das Glykoprotein G des VSV gegen das Ebola-Glykoprotein ausgetauscht wurde.
Eine wichtige Eigenschaft viraler Vektoren ist, dass sie unter anderem gut geeignet sind, virale Hüllproteine korrekt gefaltet und glykosyliert in vivo zu exprimieren, was die Induktion einer effizienten antiviralen Antikörperantwort begünstigt. Für bestimmte umhüllte Viren ist es außerdem möglich, das fremde Glykoprotein in die Membran des viralen Vektors einzubauen. Da die Antigene, deren genetische Information in das Vektorgenom integriert ist, von der infizierten Zelle exprimiert werden, induzieren virale Vektoren auch eine starke CD8+-T-Zell-Antwort.
Das Prinzip der Vektorimpfstoffe: Replizierende virale Vektoren sind harmlose Viren wie etwa das Impfmasernvirus, in deren Genom ein Gen von SARS-CoV-2 integriert wurde. In der Regel ist dies das Gen für das Spike-Protein. Im Körper des Geimpften infizieren die Vektorviren Zellen und vermehren sich, wobei sie auch das Spike-Protein von SARS-CoV-2 bilden. In den Antigen-präsentierenden Zellen wird das Protein zerstückelt und Fragmente davon als Antigen den anderen Immunzellen präsentiert, was eine Immunantwort bewirkt. Nicht replizierende Vektoren enthalten ebenfalls ein Coronavirus-Gen, sie können sich aber nicht mehr vermehren. In Körperzellen führen sie zur Bildung des Coronavirus-Proteins, was ebenfalls zu einer Immunantwort führt. / Foto: Stephan Spitzer
Virale Impfvektoren sind in der Regel so konstruiert, dass sie nicht ins Genom der Zielzelle integrieren, um das Risiko einer Insertionsmutagenese durch die Impfung zu minimieren. Sie vermehren sich nur für eine begrenzte Zeit in der geimpften Person, bis sie durch das Immunsystem kontrolliert und eliminiert werden. Daher werden die Impfantigene nur vorübergehend exprimiert, was jedoch in der Regel ausreicht, um gute Immunreaktionen zu induzieren.
Derzeit listet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 16 Projekte auf, in denen auf Basis replizierender viraler Vektoren Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 entwickelt werden. Keiner dieser Impfstoffkandidaten wird bisher klinisch getestet.
Für nicht replizierende virale Vektorplattformen verwendet man verschiedene Viren wie ein modifiziertes Schimpansen-Adenovirus (ChAdOx1), einen Adenovirus-Typ-5-Vektor (Ad5), einen Adenovirus-Typ-26-Vektor (Ad26), einen simianen Adenovirus-Vektor, einen pockenviralen Vektor (Modified-Vaccinia-Ankara-Virus, MVA) und das Parainfluenzavirus. Diese wurden so verändert, dass sie sich im Körper der Geimpften nicht mehr vermehren können.
Derzeit wird laut WHO an 18 Impfstoffkandidaten nach diesem Prinzip gearbeitet, von denen sich zwei bereits in klinischer Entwicklung befinden. Dies ist zum einen ein Projekt eines Konsortiums der University of Oxford mit Astra-Zeneca und dem Serum Institute of India, das auf Basis von ChAdOx1 den Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19 (AZD1222) entwickelt, der derzeit in der klinischen Phase I/II beziehungsweise IIb/III getestet wird. Zum anderen entwickelt eine Kooperation aus CanSino Biological Inc. und dem Beijing Institute of Biotechnology einen Impfstoff auf Basis des Adenovirus-Typ-5-Vektors (Ad5-nCov), der ebenfalls in Phase I/II klinisch getestet wird.
Wie aktuell berichtet wurde, haben sich verschiedene EU-Länder, darunter auch Deutschland, gemeinsam 300 Millionen Dosen des Corona-Impfstoffs ChAdOx1 nCoV-19 gesichert. Dass die Wahl gerade auf diese Impfstoffentwicklung fiel, erscheint nachvollziehbar, da dieses Projekt einer Zulassung bisher am nächsten gekommen ist. Allerdings muss auch hier die wichtigste Hürde für eine Zulassung in Form einer erfolgreichen Phase-III-Studie erst noch genommen werden.
In einem Beitrag der Zeitschrift »trillium immunologie« beschreiben Dr. Janine Kimple und Dr. Christof Geldmacher ein Problem mit Vektor-spezifischen Immunantworten, das es zu beachten gilt. So könnte es sein, dass eine durch Antikörper und/oder T-Zellen vermittelte spezifische Immunität gegen das Vektorvirus das Sicherheitsprofil des Impfstoffs beeinflussen könnte. Eine Lösung, die bereits bei Impfstoffen gegen Malaria erprobt wurde, ist die Verwendung heterologer Prime-/Boost-Kombinationen.
Dabei kann der Kombinationspartner entweder ein weiterer viraler Vektor sein oder es können nicht virale Impfstoffe (DNA, RNA, Proteine oder Peptide) verwendet werden. Zusätzliche Sicherheit könnte der Einsatz von Virusgenotypen sein, die beim Menschen nicht oder nicht verbreitet vorkommen. Dazu zählen beispielsweise seltenere Adenovirus-Serotypen wie Ad26 und Ad35. Ein auf einem nicht replizierenden
Ad26-Vector basierender Impfstoffkandidat gegen SARS-CoV-2 wird derzeit von Janssen Pharmaceutical Companies entwickelt. Dieser Impfstoff befindet sich allerdings noch in der präklinischen Phase.
Generell ist es im Menschen jedoch wenig erforscht, wie lange und wie stark sich Vektor-spezifische Immunität auf Folgeimpfungen auswirkt. So kann häufig nach einem längeren Zeitraum mit einem Vektor eine bereits existierende Pathogen-spezifische Immunantwort, die mit demselben Vektor induziert wurde, nochmals geboostet werden.
Unter Umständen, etwa bei hoher präexistierender Immunantwort gegen den Impfvektor, kann es sogar zu vermehrten Infektionen in geimpften Personen kommen. Daher kann eine Vektor-spezifische Immunantwort (präexistierend oder durch die Immunisierung induziert) möglicherweise die Sicherheit von viralen Vektoren beeinflussen.
Selten wurde intensiver an einem Impfstoff gearbeitet als derzeit an einer Vakzine gegen SARS-CoV-2. Mehr als 120 Impfstoffkandidaten befinden sich bereits in der Entwicklung. Dabei werden unterschiedliche Ansätze verwendet – von klassisch bis hochmodern. Diese stellt die PZ jetzt in einer Artikelserie vor, deren zweiter Teil dieser Artikel ist. Teil 1 befasste sich mit Ganzvirus-Vakzinen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.