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SARS-CoV-2-Impfstoffe – Teil 1

Ganzvirus-Impfstoffe als einfachste Form

Ganzvirus-Impfstoffe als einfachste Form von Vakzinen werden auch gegen das Pandemievirus SARS-CoV-2 entwickelt. Sie sind schnell und einfach zu produzieren und sehr immunogen, haben aber auch deutliche Nachteile.
Theo Dingermann
10.06.2020  08:00 Uhr
Ganzvirus-Impfstoffe als einfachste Form

Es sind wahrscheinlich die besten Impfstoffe mit Blick auf die Immunantwort, doch bei der Sicherheit sieht es wieder ganz anders aus. Die Rede ist von SARS-CoV-2-Vakzinen mit ganzen Viren. Das Prinzip ist einfach: Man nimmt den Erreger, gegen den man schützen möchte, züchtet ihn in Kultur an und verwendet ihn dann in abgeschwächter Form, die keine Krankheitssymptome mehr auslöst, oder in inaktivierter Form.

Diese ganzen Viren sind die klassischen Impfantigene. Hier liegen die Wurzeln der Impfstoffentwicklung. Edward Jenner, der Mann, der das Impfen erfand, verwendete im Jahr 1796 in einem riskanten Versuch harmlose Kuhpocken, um den Jungen James Phipps vor den gefährlichen Menschenpocken zu schützen. Wie man weiß, ging alles gut. Aber heute wird mehr Wert auf Sicherheit gelegt.

Vor- und Nachteile von Lebendimpfstoffen

Auch gegen das SARS-Coronavirus-2 wird an Vakzinen mit aktiven, aber abgeschwächten Viren gearbeitet. Lebendimpfstoffe besitzen zwei herausragende Vorteile. Zum einen werden die Antigene durch die Replikation des Virus über einen recht langen Zeitraum dem Immunsystem präsentiert. Eine solche intensive Expositionsdauer weist kein anderer Impfstofftyp auf. Das führt nachvollziehbar zu einer sehr guten Immunantwort. Zum anderen wird durch eine Impfung mit einem Lebendimpfstoff neben einer B-Zell-Antwort und der Induktion von T-Helferzellen auch die Entwicklung zytotoxischer T-Zellen induziert. Das passiert immer dann, wenn potenzielle Antigene in dem Impforganismus synthetisiert werden. Das ist natürlich der Fall, wenn sich ein Virus über einen bestimmten Zeitraum vermehren kann. Denn dazu müssen ja alle viralen Komponenten neu gebildet werden. Diese Komponenten werden im Gegenzug dem Immunsystem wieder als Antigene angeboten. Die Präsentation erfolgt über den MHC-I-Komplex, der von allen Zellen gebildet werden kann. Und die Konsequenz einer Antigenpräsentation über den MHC-I-Komplex ist die Bildung von zytotoxischen CD8+-T-Zellen.

Bei den insgesamt 123 Impfstoff-Kandidaten gegen SARS-CoV-2, die sich laut Weltgesundheitsorganisation zuzeit in der Entwicklung befinden, sind Lebendimpfstoffe aber die Minderheit. Nur zwei Konsortien, Codagenix zusammen mit dem Serum Institute of India und die Firma Indian Immunologicals Ltd zusammen mit der Griffith University arbeiten momentan an SARS-CoV-2-Lebendimpfstoffen. Derartige Impfstoffe wären in der Lage, den Menschen ganz regulär zu infizieren und sich nach der Infektion im Organismus des Impflings auch zu vermehren. Normalerweise wäre das mit der Krankheit verbunden, die das Virus verursacht. Das muss bei einer Impfung natürlich ausgeschlossen sein.

Aus diesem Grund werden in der Gruppe der Lebendimpfstoffe sogenannte attenuierte Viren als Impfantigene eingesetzt. Diese Viren sind streng genommen Mutanten des ursprünglichen Virus, die zwar noch replizieren und sich vermehren können, aber keine relevanten Krankheitssymptome mehr auslösen. Zu den heute eingesetzten Impfstoffen, die attenuierte Viren enthalten, gehören die Masern-Mumps-Röteln-Impfstoffe, der Varizella- und der Gelbfieberimpfstoff.

Klassisch wurden attenuierte Viren zur Verwendung in Lebendimpfstoffen durch wiederholtes Passagieren in für die Viren suboptimalen Zellen unter suboptimalen Bedingungen selektioniert. Gesucht wurde dann nach Viren, die während dieser Periode ihre krankmachenden Eigenschaften verloren hatten. Sie sollten jedoch weiterhin eine Abwehrreaktion im Körper der Geimpften auslösen. Und natürlich sollten die abgeschwächten Erreger auch vermehrungsfähig bleiben.

Heute würde man die Viren gentechnisch modifizieren, vorausgesetzt man kennt die Gene, die für die Pathomechanismen verantwortlich sind. Für SARS-CoV-2 sind diese Mechanismen jedoch unbekannt. Aus diesem Grund haben beide Konsortien einen Ansatz gewählt, der darauf abzielt, das virale Genom für die menschliche Biochemie so zu modifizieren, dass die Herstellung der viralen Proteine nur noch suboptimal möglich ist. Das versucht man dadurch zu erreichen, dass die evolutionär optimierten Codons für die einzelnen Aminosäuren durch weniger favorisierte Codons ausgetauscht werden. Dadurch sollten insgesamt weniger Proteine und weniger Viruspartikel entstehen.

Ob dies ausreicht, um das Virus so zu schwächen, dass es Covid-19 nicht mehr verursachen kann, bleibt abzuwarten. In jedem Fall müssen die Viren umfassend auf ihre biologische Sicherheit getestet werden. Und das braucht viel Zeit, sodass zeitnah nicht mit Impfstoffen dieses Typs gerechnet werden kann. Die Kandidaten befinden sich derzeit noch in der Präklinik.

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