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In der Beratung sollte das Apothekenteam neben der Lebensweise auch den Gemütszustand ansprechen. Die Apothekenmitarbeiter können mit Betroffenen über Lebenssituationen, Belastungen, Ängste und Sorgen sprechen. Welche Maßnahmen hat der Patient selbst schon ergriffen? Ist er beispielsweise zu müde für eine sportliche Aktivität und bewegt er sich kaum noch, um sich zu schonen?
Zusammen mit anderen Warnzeichen kann Müdigkeit auch auf potenziell gefährliche Erkrankungen hinweisen. So kann ein kurzfristiger Beginn auf eine maligne Erkrankung, Anämie oder Herzinsuffizienz hinweisen. Virale und bakterielle Infektionen oder bradykarde Herzrhythmusstörungen gehen oft mit Müdigkeit einher. Viele Patienten klagen nach einer Epstein-Barr-Virus-Infektion (Mononukleose) über anhaltende Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Antriebsschwäche. Bis heute ist ungeklärt, ob die Beschwerden der verlängerten Viruspersistenz oder dem chronischen Fatigue-Syndrom zugeordnet werden können.
Chronische Erschöpfung kann auch mit metabolischen oder hormonellen Störungen einhergehen. Vor allem bei einer Hypothyreose zeigen sich Symptome wie Kälteintoleranz, Anämie, Hypoglykämie, verlangsamte Atmung, Bradykardie, Müdigkeit und Antriebslosigkeit (10).
Bei einem unbeabsichtigten Gewichtsverlust ist auch an einen Typ-1- Diabetes mellitus zu denken, bei zunehmender Belastungsdyspnoe an eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Herzinsuffizienz oder Anämie. Gangunsicherheit und Müdigkeit können möglicherweise Anzeichen für eine Multiple Sklerose sein.
Kommen also zur Müdigkeit weitere Warnzeichen hinzu, muss das Apothekenteam dringend einen Arztbesuch empfehlen.
Das chronische Müdigkeits- oder Erschöpfungssyndrom (chronic fatigue syndrom, CFS; synonym nach ICD-10: myalgische Enzephalomyelitis, ME) ist ein Krankheitsbild, das sich durch extreme Müdigkeit und Erschöpfung äußert. Der heterogene Symptomenkomplex ungeklärter Herkunft gilt als Multisystemerkrankung mit Fehlregulationen im Bereich des Nervensystems, des Immunsystems und des zellulären Stoffwechsels. In Deutschland sind nach Schätzungen bis zu 250.000 Menschen betroffen, Frauen doppelt so häufig wie Männer (5).
Betroffene können ihren normalen Alltag kaum noch bewältigen und klagen über eine sehr starke Müdigkeit nach Anstrengung, über Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, gelegentlich mit sensorischen Wahrnehmungsstörungen und teils starken Muskel-Skelett-Schmerzen mit motorischen Einschränkungen oder über Migräne-ähnliche Kopfschmerzen. Daneben sind subfebrile Temperaturen und Lymphknotenschwellungen zu finden, aber auch Unverträglichkeiten gegen Nahrungsmittelbestandteile bis hin zu Reizdarmbeschwerden.
Beschrieben werden ein plötzlicher sowie ein schleichender Krankheitsbeginn, auch im Zusammenhang mit Infekten, Impfungen und schweren Traumata (körperlich wie emotional). Oft treten die Beschwerden nach Infekten auf, vor allem mit Epstein-Barr-Viren, Corona- und Enteroviren sowie Chlamydien und Legionellen. Nähere Untersuchungen zeigen häufig erhöhte Zytokin-Konzentrationen, zum Beispiel von TNF-α und Interleukin 1β.
Daher sollten bei mindestens drei Monate anhaltender, bisher ungeklärter Müdigkeit die ME/CFS-Kriterien nach Institute of Medicine (IOM) geprüft werden, um eine Verdachtsdiagnose zu stellen, die nach sechs Monaten zu reevaluieren ist (2). Die Diagnose CFS/ME ist eine Ausschlussdiagnose, die erst gestellt wird, wenn eine andere mit Fatigue einhergehende Erkrankung ausgeschlossen ist. Bei Patienten, die parallel unter einer neuropsychiatrischen Störung wie einer Depression leiden, ist die Abgrenzung sehr schwierig bis unmöglich.
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Vor allem mit psychischen Erkrankungen wie Depression wird Müdigkeit schnell in Zusammenhang gebracht. Als Diagnosekriterien einer Depression nennen sowohl die Weltgesundheitsorganisation als auch die American Psychological Association erhöhte Müdigkeit (Fatigue), Ermüdbarkeit oder Energieverlust (9). Bei einer Depression kommt neben dem Hauptsymptom Müdigkeit noch der Faktor Antriebsmangel hinzu. Die Patienten berichten über Gefühle wie fehlende Motivation, mangelndes Interesse, Freud- und Hoffnungslosigkeit.
Die Müdigkeit mit ihrer »herunterziehenden Qualität« korreliert mit der grundsätzlich gedrückten Stimmung. Der depressive Mensch ist nicht einfach nur müde und erschöpft, er ist einer Sache oder sogar seines Lebens müde. Daher steht eine unerklärliche Müdigkeit oft am Beginn eines depressiven Prozesses.
Die DEGAM-Leitlinie (Kurzversion) verweist auf die beiden bekannten Screeningfragen, bezogen auf die letzten vier Wochen:
Werden beide Fragen verneint, kann eine ausgeprägte Depression mit hoher Sicherheit als ausgeschlossen gelten. Wird mindestens eine Frage bejaht, sollten weitere Symptome eruiert werden.