Ursachensuche an erster Stelle |
Tagsüber müde: ganz normal oder schon krankhaft? / Foto: Adobe Stock/pix4U
Müdigkeit ist bei 10 bis 20 Prozent der Patienten in allgemeinmedizinischen Praxen ein Haupt- oder Nebenberatungsanlass. Betroffene sorgen sich, wenn sie diese Störung nicht angemessen erklären können, sie im Alltag stark beeinträchtigt und die persönlichen Kompensationsmöglichkeiten erschöpft sind (1).
Auch in der Apotheke fragen Menschen mit chronischer Müdigkeit um Rat. Sie beschreiben diese oft auch als Schlappheit, Energiemangel oder Erschöpfung und berichten von einer empfindlich gestörten Lebensqualität und ausbleibender Regeneration durch fehlenden Schlaf. Körperliche und psychosoziale Veränderungen sind mögliche Folgen. Zudem drohen Patienten in einen Teufelskreis zu geraten, weil sie durch die fehlende Regeneration immer inaktiver werden.
Manchmal sind Medikamente die Auslöser für starke Müdigkeit. Im Patientengespräch sollten Apotheker darauf achten. / Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) hat ihre S3-Leitlinie zum Thema Müdigkeit (AWMF-Register-Nr. 053-002, Stand: November 2022) nach mehr als fünf Jahren aktualisiert und zeigt, dass nur selten ein Mineralstoff- oder Vitaminmangel dahintersteckt (2). Die Autoren gehen auf Ursachensuche und beschreiben das Symptom auch in Zusammenhang mit Depressionen, dem chronischen Fatigue-Syndrom oder der Schlafapnoe. Jedoch bleibt die Ursache für abnorme Müdigkeit oft ungeklärt. Denn viele Faktoren wie starke emotionale Belastung oder Infekte können zu einem längeren Müdigkeitsgefühl führen.
Bei Müdigkeit mit Schlafbedürfnis handelt es sich um einen physiologischen Regulationsmechanismus, der einem Tag-Nacht-Wechsel (circadianer Rhythmus) folgt. Dies schützt den Körper vor Überforderungen und hilft, nach körperlichen oder geistigen Anstrengungen eine Pause zur Erholung einzulegen. Ruhephasen und ein »gesunder Schlaf« wirken nach einem anstrengenden Tag erholsam. Diese Form der Müdigkeit empfinden die meisten Menschen als normal.
Als subjektives Gefühl kann Müdigkeit verschiedene Qualitäten haben und von diesen beeinflusst werden. So lassen sich folgende Ausprägungen finden (3):
In einer Bevölkerungsbefragung in Deutschland gaben 31 Prozent der Befragten über 16 Jahre an, manchmal oder häufig unter »Ermüdungserscheinungen« zu leiden. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, Angehörige hoher sozialer Schichten und Menschen in Partnerschaften seltener. Eine qualitative Aussage zur Stärke der Müdigkeit konnte nicht ermittelt werden (1).
Nach Empfehlungen der DEGAM ist im ersten Schritt eine ausführliche Anamnese nötig. Daher wurde ein Fragebogen entwickelt, den der Arzt den Patienten mit nach Hause geben kann (4). Darin werden beispielsweise Erkrankungen, besondere Lebensereignisse und Alltagsbelastungen erfragt (Kasten). Auch Angststörungen und Depressionen werden näher beleuchtet, denn mehr als drei Viertel der Patienten mit ungeklärter chronischer Müdigkeit geben psychische Symptome an.
Bei primär ungeklärter Müdigkeit sollen außerdem Vorerkrankungen, Fieber, Schlafverhalten, Verlauf des Körpergewichts, Tabakkonsum sowie die soziale, berufliche und familiäre Situation erfasst werden. Ebenso wird der Arzt Schleimhäute, Atemwege, Herz, Puls und Blutdruck, Lymphknoten und Abdomen kontrollieren. Gibt es keine Hinweise auf definierte körperliche Erkrankungen, wird er Laboruntersuchungen wie ein großes Blutbild, Blutsenkung/C-reaktives Protein und die Bestimmung von Blutglucose, Transaminasen, γ-GT oder TSH einleiten.
Apotheker sollten besonders beachten, dass zahlreiche Arzneimittel als Nebenwirkung müde machen können, zum Beispiel Antidepressiva, Antihypertensiva, Antihistaminika, Antipsychotika, Benzodiazepine und Z-Substanzen, Opioide und Migränemedikamente. Bei starken Nebenwirkungen sollte mit dem Arzt besprochen werden, ob die Dosis angepasst oder der Wirkstoff gewechselt werden kann.
Bei ungeklärter Müdigkeit und/oder Hinweisen auf relevante psychosoziale Belastungen sollen den Patienten feste Folgetermine angeboten werden, um den Verlauf der Müdigkeit beurteilen zu können (2).
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Es gibt viele mögliche Müdigkeitsursachen; einige davon sind:
In der Beratung sollte das Apothekenteam neben der Lebensweise auch den Gemütszustand ansprechen. Die Apothekenmitarbeiter können mit Betroffenen über Lebenssituationen, Belastungen, Ängste und Sorgen sprechen. Welche Maßnahmen hat der Patient selbst schon ergriffen? Ist er beispielsweise zu müde für eine sportliche Aktivität und bewegt er sich kaum noch, um sich zu schonen?
Zusammen mit anderen Warnzeichen kann Müdigkeit auch auf potenziell gefährliche Erkrankungen hinweisen. So kann ein kurzfristiger Beginn auf eine maligne Erkrankung, Anämie oder Herzinsuffizienz hinweisen. Virale und bakterielle Infektionen oder bradykarde Herzrhythmusstörungen gehen oft mit Müdigkeit einher. Viele Patienten klagen nach einer Epstein-Barr-Virus-Infektion (Mononukleose) über anhaltende Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Antriebsschwäche. Bis heute ist ungeklärt, ob die Beschwerden der verlängerten Viruspersistenz oder dem chronischen Fatigue-Syndrom zugeordnet werden können.
Chronische Erschöpfung kann auch mit metabolischen oder hormonellen Störungen einhergehen. Vor allem bei einer Hypothyreose zeigen sich Symptome wie Kälteintoleranz, Anämie, Hypoglykämie, verlangsamte Atmung, Bradykardie, Müdigkeit und Antriebslosigkeit (10).
Bei einem unbeabsichtigten Gewichtsverlust ist auch an einen Typ-1- Diabetes mellitus zu denken, bei zunehmender Belastungsdyspnoe an eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Herzinsuffizienz oder Anämie. Gangunsicherheit und Müdigkeit können möglicherweise Anzeichen für eine Multiple Sklerose sein.
Kommen also zur Müdigkeit weitere Warnzeichen hinzu, muss das Apothekenteam dringend einen Arztbesuch empfehlen.
Das chronische Müdigkeits- oder Erschöpfungssyndrom (chronic fatigue syndrom, CFS; synonym nach ICD-10: myalgische Enzephalomyelitis, ME) ist ein Krankheitsbild, das sich durch extreme Müdigkeit und Erschöpfung äußert. Der heterogene Symptomenkomplex ungeklärter Herkunft gilt als Multisystemerkrankung mit Fehlregulationen im Bereich des Nervensystems, des Immunsystems und des zellulären Stoffwechsels. In Deutschland sind nach Schätzungen bis zu 250.000 Menschen betroffen, Frauen doppelt so häufig wie Männer (5).
Betroffene können ihren normalen Alltag kaum noch bewältigen und klagen über eine sehr starke Müdigkeit nach Anstrengung, über Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, gelegentlich mit sensorischen Wahrnehmungsstörungen und teils starken Muskel-Skelett-Schmerzen mit motorischen Einschränkungen oder über Migräne-ähnliche Kopfschmerzen. Daneben sind subfebrile Temperaturen und Lymphknotenschwellungen zu finden, aber auch Unverträglichkeiten gegen Nahrungsmittelbestandteile bis hin zu Reizdarmbeschwerden.
Beschrieben werden ein plötzlicher sowie ein schleichender Krankheitsbeginn, auch im Zusammenhang mit Infekten, Impfungen und schweren Traumata (körperlich wie emotional). Oft treten die Beschwerden nach Infekten auf, vor allem mit Epstein-Barr-Viren, Corona- und Enteroviren sowie Chlamydien und Legionellen. Nähere Untersuchungen zeigen häufig erhöhte Zytokin-Konzentrationen, zum Beispiel von TNF-α und Interleukin 1β.
Daher sollten bei mindestens drei Monate anhaltender, bisher ungeklärter Müdigkeit die ME/CFS-Kriterien nach Institute of Medicine (IOM) geprüft werden, um eine Verdachtsdiagnose zu stellen, die nach sechs Monaten zu reevaluieren ist (2). Die Diagnose CFS/ME ist eine Ausschlussdiagnose, die erst gestellt wird, wenn eine andere mit Fatigue einhergehende Erkrankung ausgeschlossen ist. Bei Patienten, die parallel unter einer neuropsychiatrischen Störung wie einer Depression leiden, ist die Abgrenzung sehr schwierig bis unmöglich.
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Vor allem mit psychischen Erkrankungen wie Depression wird Müdigkeit schnell in Zusammenhang gebracht. Als Diagnosekriterien einer Depression nennen sowohl die Weltgesundheitsorganisation als auch die American Psychological Association erhöhte Müdigkeit (Fatigue), Ermüdbarkeit oder Energieverlust (9). Bei einer Depression kommt neben dem Hauptsymptom Müdigkeit noch der Faktor Antriebsmangel hinzu. Die Patienten berichten über Gefühle wie fehlende Motivation, mangelndes Interesse, Freud- und Hoffnungslosigkeit.
Die Müdigkeit mit ihrer »herunterziehenden Qualität« korreliert mit der grundsätzlich gedrückten Stimmung. Der depressive Mensch ist nicht einfach nur müde und erschöpft, er ist einer Sache oder sogar seines Lebens müde. Daher steht eine unerklärliche Müdigkeit oft am Beginn eines depressiven Prozesses.
Die DEGAM-Leitlinie (Kurzversion) verweist auf die beiden bekannten Screeningfragen, bezogen auf die letzten vier Wochen:
Werden beide Fragen verneint, kann eine ausgeprägte Depression mit hoher Sicherheit als ausgeschlossen gelten. Wird mindestens eine Frage bejaht, sollten weitere Symptome eruiert werden.
In Deutschland wird der Begriff »Fatigue« hauptsächlich im Zusammenhang mit malignen Erkrankungen verwendet, zum Beispiel bei tumorassoziierter Fatigue.
Oft treten Müdigkeit, Schwächegefühl und mangelnde Leistungsfähigkeit im zeitlichen oder kausalen Zusammenhang mit malignen Tumorerkrankungen oder deren Behandlung auf. Daher fassen viele Onkologen diese Symptome als eigenständige Erkrankung auf (Cancer-related Fatigue, CrF). Müdigkeit kann zu jedem Zeitpunkt der Krebserkrankung auftreten, aber es sind nicht alle Krebspatienten gleichermaßen gefährdet. Patienten mit Leukämie, Mamma- und Pankreaskarzinom sind besonders betroffen.
Die tumorassoziierte Fatigue ist sehr variabel und kann auf der physischen Ebene alle Formen von Schwächegefühl und schneller Ermüdbarkeit und auf der psychischen und kognitiven Ebene Antriebslosigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen hervorrufen. In der Folge geraten die Patienten in einen Teufelskreis aus Erschöpfung, Angst und Vermeidung von Aktivität und Anstrengung, sozialem Rückzug, dem Gefühl von Hilflosigkeit und depressiver Verstimmung (7) (Grafik).
Teufelskreis aus Krankheit, mangelnder Bewegung, körperlichem Abbau, depressiver Verstimmung und Rückzug; angelehnt an DEGAM-Leitlinie (2) / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Zu den auslösenden Faktoren zählen neben direkten Tumorsymptomen wie Schmerzen auch eine Tumoranämie oder -kachexie, Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust. Nebenwirkungen der Tumortherapie, vor allem auf das Immun- und zentrale Nervensystem, Bewegungsmangel oder Ernährungsstörung mit Verminderung der Skelettmuskelmasse sind weitere mögliche Ursachen. In biochemischen Erklärungsmodellen werden hypothalamisch-hypophysäre Regelkreise, das serotonerge System des ZNS, die circadiane Melatonin-Sekretion und der Schlaf-Wach-Rhythmus näher betrachtet (8). Auch die Expression proinflammatorischer Zytokine und die Signaltransduktion in B-Lymphozyten spielen eine wichtige Rolle.
Bedingt durch einen Eisenmangel wird im Körper nicht ausreichend Hämoglobin gebildet, wodurch die Sauerstoffkapazität der Erythrozyten und die Sauerstoffversorgung der Organe und Gewebe abnehmen. Der Körper versucht, diesen hypoxischen Zustand mit einem erhöhten Herzzeitvolumen zu kompensieren. Neben Blässe von Haut und Schleimhaut zählen vor allem Fatigue-Symptome wie Müdigkeit, Leistungsabfall und Konzentrationsstörungen sowie Kreislaufsymptome, darunter Tachykardie, Belastungsdyspnoe und Schwindel, zum klassischen Bild der chronischen Eisenmangelanämie.
Patienten mit diagnostiziertem Mangel können von einer bevorzugt oralen Eisensubstitution profitieren. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Substitution bei ansonsten gesunden Personen ohne schweren Eisenmangel oder Anämie das Müdigkeitsproblem löst. Die Leitlinienautoren warnen zudem vor dem Risiko der Fixierung auf einen inadäquaten Lösungsansatz.
Oder liegt doch ein Kalium- oder Vitamin-D-Mangel vor, wie es (allzu) häufig vermutet wird? Die Evidenz ist durchwachsen. So ist zwischen Kaliumspiegel oder einem Vitamin-D-Defizit und Müdigkeit kein Zusammenhang feststellbar (2).
Die erhöhte Erschöpfbarkeit ist ein häufiges, stark einschränkendes Symptom bei Multipler Sklerose (MS). So treten kognitive Störungen und Fatigue-Beschwerden bereits frühzeitig im Krankheitsverlauf auf. Im weiteren Verlauf ist die körperliche und/oder geistige Leistungsfähigkeit derart eingeschränkt, dass die Patienten alltägliche Anforderungen nur noch schwer bewältigen können.
Die Ursachen der MS-bedingten Müdigkeit sind weitgehend ungeklärt, aber wahrscheinlich multifaktoriell bedingt (6). So bestehen Zusammenhänge zu Schädigungen des motorischen Cortex und der Basalganglien, aber auch zu immunologischen Parametern. Diese lassen sich bei der immunvermittelten, chronisch-entzündlichen Erkrankung des Zentralnervensystems mit unterschiedlicher Ausprägung zur Demyelinisierung (Entmarkung) und der damit verbundenen Zerstörung der Axone finden.
Ein Typ-2-Diabetes verläuft möglicherweise über Jahre hinweg unbemerkt, da kein subjektives Krankheitsgefühl besteht. Betroffene verspüren erste Beschwerden, darunter leichte Müdigkeit, Abnahme der Konzentrationsfähigkeit und Rückgang der körperlichen Leistungsfähigkeit erst bei immer wieder sehr hohen Plasmaglucosewerten von über 250 mg/dl oder einem HbA1c-Wert von 9,5 Prozent. Die Ursachen für die Fatigue-Symptome liegen im insgesamt instabilen Glucosestoffwechsel mit täglichen Schwankungen des Blutzuckerspiegels. Dessen Abfall führt zu Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Verwirrtheit und Schwindelgefühl.
Dieses seltene Krankheitsbild ist durch Schlafanfälle am Tag charakterisiert. Der Schlaf-Wach-Rhythmus ist massiv gestört. Volkstümlich wird die Narkolepsie auch als Schlafkrankheit oder Schlummersucht bezeichnet. Als Auslöser werden Infektionen oder autoimmune Prozesse diskutiert. Eine ursächliche Heilung ist nicht möglich
Die Erkrankung kann in unterschiedlichen Formen verlaufen. Unter der klassischen Narkolepsie (Typ 1) versteht man eine Form, die mit einer Kataplexie, einem teilweisen oder vollständigen Verlust der Muskelspannung, einhergeht. Betroffene sacken innerhalb weniger Sekunden für 10 bis 30 Minuten in sich zusammen und verlieren die Körperspannung, ohne sich später daran erinnern zu können. Daneben gibt es die Erkrankungsform ohne Kataplexie. Diese wird auch als monosymptomatische Narkolepsie oder Narkolepsie Typ 2 bezeichnet.
Menschen mit Narkolepsie haben einen massiv gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus. Volkstümlich spricht man auch von Schlafkrankheit oder Schlummersucht. / Foto: Adobe Stock/Jeanette Dietl
Es gibt nur wenige zugelassene Medikamente gegen die exzessive Tagesschläfrigkeit. Pitolisant ist ein Histamin-H3-Rezeptor-Antagonist, der den Grad und die Dauer der Wachheit und die Aufmerksamkeit tagsüber verbessern kann. Modafinil und Solriamfetol hemmen die Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahme und verbessern die Wachheit, wobei der genaue Wirkmechanismus unbekannt ist. Pitolisant und Solriamfetol sind auch bei Erwachsenen mit obstruktiver Schlafapnoe indiziert, die an übermäßiger Tagesschläfrigkeit leiden. Gegen den Verlust der Körperspannung wirkt Natriumoxybat, das Natriumsalz der Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB), die ein wichtiger Neurotransmitter im zentralen Nervensystem ist. Da die genannten Wirkstoffe mit zahlreichen anderen Arzneistoffen wechselwirken, ist ein sorgfältiger Interaktionscheck unbedingt ratsam (mehr dazu im Titelbeitrag zu Psychopharmaka).
Wichtig ist zudem ein geregelter Tagesrhythmus mit einer bis zwei kurzen Schlafpausen.
Aktivierende Maßnahmen haben vor allem das Ziel, den Teufelskreis aus Müdigkeit, Inaktivität, deren körperlichen Folgen und wiederum Müdigkeit (Grafik) zu verhindern oder zu durchbrechen und das Belastungsvermögen nicht noch weiter zu reduzieren. Wichtig ist regelmäßige körperliche Aktivität, allerdings nur in dem Ausmaß, dass die Körperfunktionen angeregt werden, es aber nicht zur Überforderung kommt. Patienten mit CFS/ME einschließlich der Verdachtsdiagnose sollte nicht zu aktivierenden Maßnahmen geraten werden (2).
Langsam gesteigertes Training mit regelmäßigen Wiederholungen ist wichtig. Zudem sollten nach den Aktivitäten ausreichend Ruhepausen und Erholungsphasen eingehalten werden, damit die Müdigkeit nicht voranschreitet. Natürlich muss die Art der körperlichen Aktivität auf die Ursache und den Zustand des Patienten abgestimmt werden.
Spezifische medikamentöse Therapieempfehlungen bei diagnostizierter chronischer Müdigkeit oder Fatigue gibt es nicht. In Studien wurden erhebliche Placeboeffekte beobachtet. So verbesserte eine Testosterongabe bei leicht erniedrigten Spiegeln nicht die Vitalität und Melatonin bewirkte keine relevante Änderung der Tagesschläfrigkeit, kann aber bei Einschlafstörungen hilfreich sein.
Gesicherte Grunderkrankungen, zum Beispiel Hypothyreose, manifester Eisenmangel, COPD oder Herzinsuffizienz, sollten adäquat und leitliniengerecht therapiert werden. Da sich die Müdigkeit bei MS, Morbus Parkinson oder malignen Tumoren nur schwer zurückdrängen lässt, empfehlen manche Leitlinien Psychostimulanzien wie Methylphenidat oder Modafinil. Belastbare evidenzbasierte Grundlagen gibt es dafür nicht. Der Einsatz stellt einen Off-Label-Use mit allen haftungsrechtlichen Konsequenzen dar, weshalb die Leitliniengruppe der DEGAM diesen kritisch sieht.
Schlafmittelentzug (Benzodiazepine oder Z-Substanzen) verbesserte die Tagesmüdigkeit, auch wenn die Medikamente nicht komplett abgesetzt wurden. Vermeidung von Alkohol und Sedativa vor dem Schlafengehen verbesserte die Symptome einer obstruktiven Schlafapnoe.
Schlaftabletten sind keine Dauerlösung gegen chronische Tagesmüdigkeit. Oft helfen Dosisreduktion oder der Entzug sogar. / Foto: Adobe Stock/Rainer Fuhrmann
Zudem sind bei allen Formen von Müdigkeit und Fatigue psychosoziale Interventionen angezeigt – ebenfalls mit dem Ziel, dem Teufelskreis aus Bewegungsmangel, Konditionsverlust und weiterem körperlichen Abbau Einhalt zu gebieten.
Bei gesichertem CFS eignet sich am besten ein körperlich angepasstes Training mit einer kognitiven Verhaltenstherapie, um eine »Langzeitschonung« zu vermeiden. Pharmakologische Ansätze sind je nach individueller Symptomatik Antidepressiva (SSRI), Analgetika (Paracetamol; bei Fibromyalgie-ähnlichen Schmerzen Pregabalin) und Melatonin oder Tryptophan (bei zusätzlichen Schlafstörungen).
Erwähnung findet in der DEGAM-Leitlinie ein Kombinationspräparat aus Baldrianwurzel (4 mg Baldriansäure), Hopfenzapfen (0,8 mg Flavonoide) und Jujubesamen (2 mg Triterpensaponine) (2). Dieses zeigte in einer kleinen Studie positive Effekte auf Tagesmüdigkeit. Da die Kombination aller drei Arzneipflanzen in Deutschland nicht als Fertigarzneimittel erhältlich ist, kann die Apotheke als Alternative nur Präparate mit Baldrian und Hopfen anbieten. Diese bieten eher eine Orientierung in der Therapie als eine Heilung.
Auch Lavendelblüten, Melissenblätter und Passionsblumenkraut wirken schlafunterstützend. Sie haben vergleichsweise wenige Neben- und Wechselwirkungen, eine große therapeutische Breite und kein Abhängigkeitspotenzial. Der Patient muss sie ausreichend hoch dosiert und kontinuierlich über einen längeren Zeitraum einnehmen. Bei leichten depressiven Verstimmungen, die die Schlafqualität ebenfalls beeinflussen können, kann das Apothekenteam Johanniskraut-Extraktpräparate empfehlen. Jedoch sollte auf das Interaktionspotenzial mit anderen Arzneimitteln geachtet und hingewiesen werden.
Natürlich kann das Apothekenteam auch zur Schlafhygiene beraten, denn schlechter oder zu wenig Schlaf kann die Ursache des Problems sein. So fühlen sich Patienten tagsüber häufig müde, unkonzentriert und weniger leistungsfähig. Alkohol- und Kaffeekonsum verstärken die Probleme. Die optimale Schlafzimmertemperatur liegt zwischen 16 und 20 Grad. Die Schlafdauer ist individuell sehr unterschiedlich. Die Nutzung von digitalen Medien ist kurz vor dem Schlafengehen und während der Nacht tabu. Feste Einschlafrituale können helfen, den Tag abzuschließen und sich zu entspannen.
In der Patienteninformation, zugehörig zur Leitlinie, heißt es weiter: Müdigkeit ist behandelbar: Meist verlangt dies Änderungen in der Lebensweise und des Tagesablaufs. Erfolge treten allerdings nicht von heute auf morgen auf.
Daniel Finke ist Fachapotheker für Allgemeinpharmazie sowie AMTS-Manager. Von November 2015 bis Juni 2019 war er stellvertretender Filialleiter der Burg-Apotheke in Nienborg bei Münster. Danach wechselte er nach Osnabrück in eine öffentliche Apotheke mit Schwerpunkt Rheumatologie und Onkologie. Finke arbeitet seit 2015 als unabhängiger Referent für zahlreiche Apothekerkammern, Verbände und Pflegeeinrichtungen, wobei im Fokus insbesondere praxisrelevante Themen, vor allem aus der Selbstmedikation, stehen. Zudem betreut er Pharmazeuten im Praktikum in Arbeitszirkeln der Apothekerkammer Westfalen-Lippe.