Unscharfe virale Gemengelage |
Was tut sich derweil im Corona-Geschehen? Für die weitere Entwicklung der Pandemie dürfte ausschlaggebend sein, ob und welche neuen Virusvarianten es geben wird. Seit Wochen bestimmt die Omikron-Sublinie BA.5 das Geschehen. Doch das könnte sich rasch ändern, teilte die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC Ende Oktober mit. Bereits Mitte November könnte die stark immunevasive Omikron-Sublinie BQ.1 mit ihrem Abkömmling BQ.1.1 die Hälfte aller Coronainfektionen in Europa ausmachen und Anfang des kommenden Jahres die klar dominante Variante sein.
BQ.1 und BQ.1.1 leiten sich von der BA.5-Linie BE.1.1 ab und zeichnen sich durch zusätzliche Aminosäureaustausche im Spike-Protein aus. Zwar finden sich laut ECDC derzeit keine Hinweise darauf, dass BQ.1/BQ.1.1 pathogener sein könnten als BA.5. Doch die prognostizierte Wachstumsrate liege vermutlich in dem ausgeprägteren Immunfluchtpotenzial von BQ.1/BQ.1.1 begründet. Einem aktuellen Preprint zufolge gehört BQ.1.1 zu den immunevasivsten Coronavarianten überhaupt – sie können Antikörperantworten in einem deutlich höheren Ausmaß ausweichen als BA.5 und erreichen dabei etwa das Level von SARS-CoV-1, also dem Erreger des SARS-Ausbruchs in den Jahren 2002/2003.
Dass sich der fehlende Immunschutz durch ständiges Maske-Tragen, Kontaktbeschränkungen und Reiseverbote auch hinsichtlich anderer Erkrankungen rächen könnte, hat die vergangene Saison bezüglich des Synzytial-Virus (RSV) eindrücklich gezeigt. Viel früher als gewöhnlich – bereits im August und September - traf es Frühgeborene und Kleinkinder derart heftig mit Atemwegserkrankungen, dass 80 Prozent der Kinderkliniken an ihre Versorgungsgrenze gelangten. In diesem Herbst scheinen die RS-Viren zeitlich gesehen wie gewohnt zu zirkulieren, der Startschuss der Saison ist Ende Oktober gefallen. Da rief die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie zum Beginn der passiven Immunisierung auf – was als Zeichen vermehrter RSV-Zirkulation gilt.
Dass SARS-CoV-2 auch andere virale Erkrankungen in einer gewissen Weise zu beeinflussen mag, dokumentierten Kinderärzte des Boston Children’s Hospital im Frühjahr. Seit dem Auftauchen der Omikron-Variante von SARS-Cov-2 beobachteten sie vermehrt Kleinkinder mit Pseudokrupp in ihrer Klinik. Mehr kleine Patienten als sonst üblich hatten schwere Symptome und litten unter längeren Verläufen. Bislang galt vor allem das Parainfluenza- und RS-Virus als Haupterreger von Pseudokrupp-Anfällen.
Frühere Pandemiewellen hätten dagegen nicht für eine Zunahme der Pseudokrupp-Fallzahl gesorgt, so die Mediziner. Dass also offenbar vor allem Infektionen mit der Omikron-Variante bei kleinen Kindern zu Pseudokrupp führen könnten, liege womöglich daran, dass die Omikron-Mutation vermehrt in den oberen Atemwegen repliziere. Diese seien bei den Kindern noch sehr eng. Andere Varianten von SARS-CoV-2 dringen dagegen eher tiefer in die Lunge vor und vermehren sich dort.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.