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Infektionsgeschehen

Unscharfe virale Gemengelage

Kommt sie nun, die seit drei Wintern gefürchtete Doppel-Welle aus Covid-19- und Influenzainfektionen – oder doch nicht? Derweil gilt es, andere kursierende Viren und Erkrankungen wie RSV, Gürtelrose und Pseudokrupp nicht aus dem Blick zu verlieren.
Elke Wolf
10.11.2022  13:00 Uhr

In den vergangenen beiden Wintern hatten die Pandemie und die dagegen getroffenen Maßnahmen den üblichen Verlauf einer Grippewelle ordentlich durcheinandergewirbelt: 2020/21 fiel sie weltweit aus. Und auch 2021/22 lief sie in Deutschland nicht nach gewohntem Muster ab; die Zahlen stiegen erst nach den Osterferien und damit sehr spät etwas in die Höhe. Die gefürchteten Doppel-Wellen von Covid-19 und Influenza – von den Medien als »Twindemie« bezeichnet - blieben damit aus.

Was ist nun für die bevorstehende Saison zu erwarten, wo nach zwei Jahren fast ohne Grippeaktivität die Infektionsrate durch gelockerte Schutzmaßnahmen und gesunkenen Immunschutz besonders stark ausfallen könnte? Prognosen leiten sich vor allem aus Australien ab, wo die kalte Jahreszeit und damit die Grippesaison jetzt geendet ist. Dort stieg in diesem Jahr die Zahl der Influenzainfektionen deutlich früher im März und April und stärker an als in den Vorjahren, fiel aber auch rasch wieder ab. Dem aktuellen Influenza-Surveillance-Bericht des australischen Gesundheitsministeriums zufolge wird die diesjährige Grippesaison insgesamt als »mild bis moderat« eingestuft. Seit Mitte Juli liegt demnach die wöchentliche Zahl der von im Labor bestätigten Meldungen sogar unter dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Auffällig allerdings: Die meisten Infektionen wurden bei Menschen unter 19 Jahren gemeldet, und 55,1 Prozent der Personen, die mit bestätigter Influenza in eine Klinik eingeliefert wurden, waren unter 16 Jahre, heißt es im aktuellen Report.

Die Daten aus Australien seien jedoch nur bedingt auf die Nordhalbkugel übertragbar. Generell lasse sich der Verlauf von Grippewellen schlecht vorhersagen und hänge von verschiedenen Faktoren ab, betonte etwa Dr. Ralf Dürrwald, Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Influenza am Robert-Koch-Institut (RKI) gegenüber dem Science Media Center Deutschland. Seit Ende September sei hierzulande ein starker Anstieg der Grippeinfektionen zu verzeichnen, dieser sei jedoch schwierig zu interpretieren. Eventuell würden wegen verstärkter Testung bei Atemwegserkrankungen jetzt Influenzafälle detektiert, die in den vorpandemischen Jahren um diese Zeit nicht erfasst worden wären. Dem RKI zufolge »liegt derzeit die Aktivität der akuten Atemwegserkrankungen im oberen Bereich der präpandemischen Lage«.

»Wie gut Deutschland durch die Influenzasaison 2022/2023 kommen wird, hängt primär von den Impfquoten ab. Und diese sind in den Risikogruppen leider weiterhin zu niedrig«, teilte Professorin Dr. Sabine Wicker, Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) und der STIKO-Arbeitsgruppe Influenza, mit. In der Tat: Daten der Techniker-Krankenkasse belegen, dass in der vorigen Grippesaison nur knapp 44 Prozent der über-60-jährigen Versicherten eine Influenzavakzine bekommen haben; die Influenzaimpfquote nahm in dieser Altersklasse demnach im Vergleich zur Vorjahressaison um 3 Prozent ab.

Wicker betonte, sie halte die Influenzaimpfung trotz der Nicht-Vorhersagbarkeit der Schwere der Welle in diesem Jahr für besonders wichtig. Die Impfung reduziere das Risiko von schweren Verläufen, Komplikationen und Hospitalisierungen. Gerade in der Pandemie gelte es, zusätzliche Belastungen des Gesundheitssystems zu vermeiden. So sieht es auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Professor Dr. Carsten Watzl: Das Zusammentreffen von Influenza- und Covid-19-Spitzenwerten könne auf Ebene der Gesellschaft ein Problem werden – für den Einzelnen jedoch sei es unwahrscheinlich, sich zeitgleich beide Erkrankungen einzufangen. »Ist eine Zelle bereits mit einem Virus infiziert, sendet sie Botenstoffe aus, die wiederum andere Zellen in eine Art Lockdown-Modus versetzen. Für ein neues Virus ist es dadurch schwerer, eine Infektion obendrauf zu setzen«, erklärte Watzl.

Wettlauf der Mutationen

Was tut sich derweil im Corona-Geschehen? Für die weitere Entwicklung der Pandemie dürfte ausschlaggebend sein, ob und welche neuen Virusvarianten es geben wird. Seit Wochen bestimmt die Omikron-Sublinie BA.5 das Geschehen. Doch das könnte sich rasch ändern, teilte die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC Ende Oktober mit. Bereits Mitte November könnte die stark immunevasive Omikron-Sublinie BQ.1 mit ihrem Abkömmling BQ.1.1 die Hälfte aller Coronainfektionen in Europa ausmachen und Anfang des kommenden Jahres die klar dominante Variante sein.

BQ.1 und BQ.1.1 leiten sich von der BA.5-Linie BE.1.1 ab und zeichnen sich durch zusätzliche Aminosäureaustausche im Spike-Protein aus. Zwar finden sich laut ECDC derzeit keine Hinweise darauf, dass BQ.1/BQ.1.1 pathogener sein könnten als BA.5. Doch die prognostizierte Wachstumsrate liege vermutlich in dem ausgeprägteren Immunfluchtpotenzial von BQ.1/BQ.1.1 begründet. Einem aktuellen Preprint zufolge gehört BQ.1.1 zu den immunevasivsten Coronavarianten überhaupt – sie können Antikörperantworten in einem deutlich höheren Ausmaß ausweichen als BA.5 und erreichen dabei etwa das Level von SARS-CoV-1, also dem Erreger des SARS-Ausbruchs in den Jahren 2002/2003.

RSV und Pseudokrupp

Dass sich der fehlende Immunschutz durch ständiges Maske-Tragen, Kontaktbeschränkungen und Reiseverbote auch hinsichtlich anderer Erkrankungen rächen könnte, hat die vergangene Saison bezüglich des Synzytial-Virus (RSV) eindrücklich gezeigt. Viel früher als gewöhnlich – bereits im August und September - traf es Frühgeborene und Kleinkinder derart heftig mit Atemwegserkrankungen, dass 80 Prozent der Kinderkliniken an ihre Versorgungsgrenze gelangten. In diesem Herbst scheinen die RS-Viren zeitlich gesehen wie gewohnt zu zirkulieren, der Startschuss der Saison ist Ende Oktober gefallen. Da rief die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie zum Beginn der passiven Immunisierung auf – was als Zeichen vermehrter RSV-Zirkulation gilt.

Dass SARS-CoV-2 auch andere virale Erkrankungen in einer gewissen Weise zu beeinflussen mag, dokumentierten Kinderärzte des Boston Children’s Hospital im Frühjahr. Seit dem Auftauchen der Omikron-Variante von SARS-Cov-2 beobachteten sie vermehrt Kleinkinder mit Pseudokrupp in ihrer Klinik. Mehr kleine Patienten als sonst üblich hatten schwere Symptome und litten unter längeren Verläufen. Bislang galt vor allem das Parainfluenza- und RS-Virus als Haupterreger von Pseudokrupp-Anfällen.

Frühere Pandemiewellen hätten dagegen nicht für eine Zunahme der Pseudokrupp-Fallzahl gesorgt, so die Mediziner. Dass also offenbar vor allem Infektionen mit der Omikron-Variante bei kleinen Kindern zu Pseudokrupp führen könnten, liege womöglich daran, dass die Omikron-Mutation vermehrt in den oberen Atemwegen repliziere. Diese seien bei den Kindern noch sehr eng. Andere Varianten von SARS-CoV-2 dringen dagegen eher tiefer in die Lunge vor und vermehren sich dort.

Comeback der Varizellen

Auch das Risiko für eine Herpes-zoster-Infektion ist während der Pandemie gestiegen. So zeigen aktuelle Daten, dass eine Covid-19-Infektion bei Menschen älter als 50 Jahre das Risiko für eine Gürtelrose um 15 Prozent erhöht. Bei Covid-19-Erkrankten mit schweren Verläufen, bei denen eine Hospitalisierung erforderlich war, stieg das Gürtelroserisiko gar um 21 Prozent. Dies belegt eine Auswertung von US-amerikanischen Krankenversicherungsdaten im Zeitraum von März 2020 bis Februar 2021.

Die Analyse zeigte zudem, dass ein Herpes zoster infolge einer Coronainfektion entweder innerhalb der ersten 30 Tage auftritt, oder drei bis sechs Monate nach der Erkrankung. Mehr als die Hälfte der Fälle trat jedoch bereits innerhalb der ersten Woche nach Diagnosestellung auf. Nach einem halben Jahr glich sich das Risiko dem der nicht mit SARS-CoV-2 Infizierten an. Die Autoren schließen aus den Ergebnissen, dass Covid-19 als Risikofaktor für Herpes zoster betrachtet werden könne.

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