Übertragung übers Auge ist unwahrscheinlich |
Brigitte M. Gensthaler |
12.10.2020 11:28 Uhr |
Auch wenn das Risiko, sich über die Augen mit dem Coronavirus zu infizieren, gering scheint, sollten Ärzte und Klinikpersonal bei sehr nahem Kontakt mit Covid-19-Patienten unbedingt auch eine Schutzbrille tragen. / Foto: Imago/ITAR-TASS
Fachleute diskutieren intensiv, ob SARS-CoV-2 die Augenoberfläche infizieren, sich dort vermehren und damit den Menschen infizieren kann. Es gebe vereinzelt Studien, die auf eine solche Übertragungskette hinweisen, berichtete Professor Dr. Clemens Lange, Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg, bei einer Pressekonferenz der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG).
Klinische Studien beschreiben bei etwa 7 Prozent aller Covid-19-Patienten Augenbeschwerden und bei etwa 1 Prozent eine Bindehautentzündung (Konjunktivitis). Neben der insgesamt geringen Prävalenz sei unklar, ob die Augenreizung mit dem Virus kausal zusammenhängt. »Es könnte sich auch um ein SARS-CoV-2-unabhängiges Phänomen handeln, das zum Beispiel bei einer intensivmedizinischen Behandlung oder der generalisierten Entzündungsreaktion im Körper der Patienten auftritt«, erklärte Lange.
Eine eigene Untersuchung an der Augenklinik Freiburg habe gezeigt, dass der Rezeptor ACE2, der eine Haupteintrittspforte für SARS-CoV-2 darstellt, in Zellen der Bindehaut nur sehr gering gebildet wird, informierte Lange. Kollegen der Universitäts-Augenkliniken in Bonn und Tübingen hätten bei histologischen Untersuchungen von Covid-19-Toten zudem keine relevante Bindehautentzündung oder SARS-CoV-2-RNA in deren Bindehaut nachweisen können. Anhand dieser Befunde halte er die Augenbindehaut im Vergleich zu anderen Schleimhäuten »für eine wenig relevante Eintrittsstelle für SARS-CoV-2«.
Auch wenn eine Infektion der Konjunktiva unwahrscheinlich ist, könnten im Tränenfilm befindliche Viren grundsätzlich über die ableitenden Tränenwege die Nasenschleimhaut und Atemwege erreichen und dort eine Infektion auslösen, sagte der Ophthalmologe. Eventuell könnte eine Ansteckung auch über Tränenflüssigkeit, die an den Händen haftet, erfolgen. »Diese Infektionswege dürften aber eine untergeordnete Rolle spielen.«
Ist der Tränenfilm von Covid-19-Patienten für gesunde Menschen infektiös? In bisherigen Studien mit 414 Tränenfilmproben wurde nur in elf Proben Virus-RNA nachgewiesen. Selbst bei Patienten mit florider Erkrankung enthalte der Tränenfilm nur selten Virus-RNA.
Der Experte zog ein vorsichtiges Fazit: »Das Auge ist wahrscheinlich keine bedeutsame Eintrittspforte für SARS-CoV-2. Aktuelle Studien weisen darauf hin, dass SARS-CoV-2 nur sporadisch in der Tränenflüssigkeit nachzuweisen ist. Der Patienten-Tränenfilm scheint nur selten infektiös zu sein.« Endgültige Aussage seien aber noch nicht möglich.
Bis zur abschließenden wissenschaftlichen Klärung sollten Personen mit engem Kontakt zu Covid-19-Patienten neben Mund und Nase auch die Augen wirksam schützen. Ärzte und Klinikpersonal sollten zum Beispiel bei der In- und Extubation von Patienten unbedingt auch eine Schutzbrille tragen, die möglichst wenig Aerosol an die Augen heranlässt. Bei augenärztlichen Untersuchungen sei das Infektionsrisiko, das von Aerosolen aus den Atemwegen ausgeht, deutlich höher als das von Tränenfilm und Augenoberfläche der Patienten. DOG-Experte Lange: »Für die Allgemeinbevölkerung gibt es derzeit keine Evidenz für das Tragen von Augenschutzbrillen.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.