Überraschende Entscheidung in Großbritannien |
Theo Dingermann |
30.12.2020 17:30 Uhr |
Großbritannien hat den Coronavirus-Impfstoff AZD1222 der Universität Oxford und des Pharmakonzerns Astra-Zeneca zugelassen. / Foto: Astra-Zeneca
Eine Phase II/III-Studie musste am 6. September kurzfristig angehalten werden, da eine Probandin Symptome einer transversen Myelitis, einer seltenen neurologischen Erkrankung, gezeigt hatte. Schon im Juli war die Testung einmal ausgesetzt worden, ebenfalls aufgrund neurologischer Symptome eines Teilnehmers. Solche Unterbrechungen sind bei klinischen Studien nicht ungewöhnlich.
Am 23. November vermeldet Astra-Zeneca klinische Studiendaten, wonach eine Zwischenanalyse von zwei Studien in Großbritannien und Brasilien eine »durchschnittliche Wirksamkeit« von 70 Prozent ergeben hatte. Diese 70 Prozent resultierten aus dem Mittel einer 90-prozentigen Wirksamkeit in der britischen Studie und einer 62-prozentigen Wirksamkeit einer brasilianischen Studie. Die Diskrepanz ergab sich aus unterschiedlichen Dosierungsschemata bei der Prime-Boost-Impfung, wie man mit Verzögerung erfuhr. Eine erste halbe Dosis des Impfstoffs erwies sich als wirksamer als eine volle erste Dosis. Man musste einen Fehler zugeben, denn die Halbierung der ersten Dosis war keineswegs geplant. Diese peinliche Nachricht wurde dann auch nicht von Astra-Zeneca, sondern von der Universität Oxford eingeräumt.
Schließlich gab das Konsortium am 11. Dezember bekannt, dass man eine Zusammenarbeit mit dem russischen Gamaleya-Institut vereinbart habe, das den »Sputnik V«-Impfstoff entwickelt hatte. Man wolle bis Ende des Jahres eine Kombination ihrer jeweiligen Impfstoffe ausprobieren in der Hoffnung, die Wirksamkeit beider zu stärken. Diese Entscheidung könnte als Konsequenz aus der Erkenntnis getroffen worden sein, dass eine Prime-Boost-Impfung mit der gleichen Vakzine bei Vektorimpfstoffen problematisch sein könnte.
Dazu könnte auch die merkwürdige Empfehlung des britischen »Joint Committee on Vaccination and Immunisation (JCVI)« passen, dass die Impfpriorität darin liegen sollte, so viele Menschen in Risikogruppen mit der ersten Dosis zu versorgen wie möglich und mit der zweiten Dosis zuzuwarten. Man versichert, dass jeder noch seine zweite Dosis erhalten werde, und zwar innerhalb von zwölf Wochen (statt der vorgesehen vier Wochen) nach der ersten Dosis.
All das liefert alles andere als ein klares Bild. Da ist es erstaunlich, dass auf Basis dieser Gemengelage eine staatliche Aufsichtsbehörde einem solchen Impfstoff eine Zulassung erteilt. Und sollten nicht mehr Details bekannt werden, ist dies auch bedenklich.
Transparenz war eine der ganz großen positiven Begleiterscheinungen dieser schrecklichen Pandemie. Und Transparenz bei der Impfstoffentwicklung mit »Lichtgeschwindigkeit« war das dominierende Argument, um zum Impfen zu ermutigen. Davon kann in diesem Fall nicht die Rede sein. Da kann man nur hoffen, dass die Verantwortlichen die vielen Zweifel an dieser Impfstoffentwicklung durch die Kommunikation der Entscheidungsbasis zügig ausräumen.
Abzuwarten bleibt, wie die europäische Arzneimittelbehörde EMA den Impfstoff einschätzt und auf welcher Datenbasis sie eine Zulassung erteilt. Sorgfalt geht hier eindeutig vor Hektik. Denn die Situation ist nicht nur ernst, sondern auch einzigartig. Mit der Zulassung eines Vektorimpfstoffs werden zwei völlig verschiedene Impfstofftypen im Markt verfügbar sein. Da sollte der Bürger schon davon ausgehen können, dass die verschiedenen Impfstoffe wenigstens nachweislich ähnlich wirksam sind. Dies gilt umso mehr als offen ist, ob man den Impfstoff auswählen kann, mit dem man geimpft werden möchte. Das gilt noch nicht als abgemacht, zumal schon heftig damit geworben wird, dass der Astra-Zeneca-Impfstoff ganz besonders preisgünstig und unkompliziert zu lagern und zu transportieren ist.