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Chronischer Pruritus

Teufelskreis aus Jucken und Kratzen

Chronischer Juckreiz ist ein quälendes Symptom bei vielen Erkrankungen. Neben Allgemeinmaßnahmen werden diverse Arzneistoffe eingesetzt. Allerdings sind wir noch weit entfernt von einer optimalen Versorgung der Patienten. Einsichten in neurobiologische Mechanismen haben zu ersten neuen Therapeutika geführt.
Andreas E. Kremer
06.06.2019  11:00 Uhr

Pruritus (Juckreiz) ist ein häufiges ­Symptom, das bei zahlreichen dermatologischen sowie systemischen, neurolo­gischen und psychiatrischen Erkrankungen vorkommt (1). Persistiert dieses Symptom über mehr als sechs Wochen, spricht man von chronischem Pruritus (2). Diesen zählt die Global Burden of Diseases-Study zu den 50 zentralen und stark belastenden ­Erkrankungen (3). Rund 15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind ­betroffen.

Chronischer Pruritus kann mild und tolerabel sein, aber auch moderate bis schwere Formen annehmen. Für viele Patienten ist es ein stark belastendes Symptom, das ihre Lebensqualität deutlich vermindern kann. Viele leiden an Schlafstörungen, die zu Abgeschlagenheit und Tagesmüdigkeit mit deutlich verminderter Leistungsfähigkeit führen. Neben diesen physischen Folgen stellen der Drang zum ständigen Kratzen und dadurch bedingte Kratz­läsionen eine Stigmatisierung mit psychischer Belastung dar. Mitunter kann dies schwere Depressionen bis hin zur Suizidalität auslösen.

Sekundärschäden der Haut

Im Gegensatz zum Pruritus bei Haut­erkrankungen liegen bei Patienten mit systemischen, neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen keine primären Hautveränderungen vor. ­Allerdings kann intensives Kratzen zu sekundären Veränderungen wie Hautabschürfungen und kleinen Wunden (Exkoriationen), Blutungen und Krusten sowie bei lang dauerndem Kratzen zu Juckreizknötchen (Prurigo nodu­laris) und flächigen oder papulösen Lichen­ifikationen führen. Diese Se­kundärschäden heilen oft mit Hyper- oder Depigmentierung oder teils Narbenbildung ab (Abbildung 1). Dies kann die Unterscheidung der ­verschiedenen Entitäten deutlich erschweren (4, 5).

Fortwährendes oder starkes Kratzen schädigt die Haut, wodurch Entzündungen aufrechterhalten oder verstärkt werden, die wiederum Pruritus fördern. Somit entsteht ein Circulus vitiosus (Juck-Kratz-Zirkel), der nicht selten in einem täglichen Ritual mit automatischem oder unbewusstem Kratzverhalten mündet (6). Daneben kann ständiges Jucken und Kratzen ­zusätzlich zu peripherer und zentraler neuronaler Sensibilisierung und Chronifizierung des Pruritus beitragen.

Einteilung in sechs Hauptkategorien

Erkrankungen, die mit Pruritus assoziiert sind, können in sechs Hauptkategorien eingeteilt werden (6):

  • dermatologische Ursachen wie atopische Dermatitis, Kontaktdermatitis, Psoriasis vulgaris, Urtikaria, Lichen ­ruber, Candidiasis und Skabies;
  • systemische Ursachen wie chronische Niereninsuffizienz, hepatobiliäre und lymphoproliferative Krankheitsbilder, Diabetes mellitus, Hypo- und Hyperthyreose;
  • neuropathische Ursachen wie Not­algia paraethetica (sensorische Neuropathie mit segmentalen Juckreiz meist zwischen den Schulterblättern lokalisiert), brachioradialer Pruritus (zervikale Nervenkompression, betroffen ist der sensible Endast des N. radialis), post-herpetische Neural­gien, Small-fiber-Neuropathie und Schlaganfälle;
  • psychiatrische Ursachen wie Depression, Zoenästhesie (juckende Wahrnehmungen bei psychischen Störungen) und schizophrene Psychosen;
  • multifaktorielle Ursachen und
  • Pruritus unbekannter Ursache (PUO).

Zusätzlich können zahlreiche Medikamente und freiverkäufliche Präparate chronischen Pruritus auslösen. Als klassische Beispiele seien Antibiotika wie Penicilline, Analgetika wie Opioide oder Morphine, Anabolika oder das Malariamittel Chloroquin genannt.

Erfahrungsgemäß stellen sich Pa­tienten, die an chronischem Pruritus leiden, in allen Fachdisziplinen vor, insbesondere in der Dermatologie, Allgemeinmedizin, Inneren Medizin und Psychosomatischen Medizin. Da ihr Leiden vielfältige Ursachen hat, sollten sie interdisziplinär behandelt werden. Die Identifizierung der Ursache kann vor allem bei multimorbiden Patienten oder Polypharmazie eine klinische ­Herausforderung sein.

Epidemiologie

Es gibt nur wenige Untersuchungen zur Epidemiologie des chronischen Pruritus. Studien zur Inzidenz und Prävalenz in Deutschland ergaben eine Punktprävalenz in der Allgemeinbevölkerung von 13,5 Prozent, wobei 22 Prozent aller Personen angaben, bereits mindestens einmal in ihrem Leben an chronischem Pruritus gelitten zu haben (7). In einer großen Kohorte von 11 730 Personen der arbeitenden Bevölkerung wurde mit 16,8 Prozent vergleichbar häufig darüber berichtet (8). Dabei nimmt die Häufigkeit mit steigendem Alter deutlich zu. Eine Folgestudie ermittelte die Inzidenz in einer repräsentativen Kohorte mit 7 Prozent (9).

Diese Daten zeigen, dass chronischer Pruritus ein häufiges Symptom in der Allgemeinbevölkerung ist, unabhängig von dermatologischen, allgemeinmedizinischen oder internistischen Patientenkohorten. Die Prävalenz bei dermatologischen Patienten ist aber noch häufiger, wie die Unter­suchung in einer dermatologischen Facharztpraxis ergab. Hier klagte etwa jeder dritte Patient über chronischen Pruritus (10).

Interaktion von Schmerz- und Juckreizen

Bis vor etwa 20 Jahren wurde Pruritus als kleiner Bruder des Schmerzes angesehen. Man vermutete, dass eine schwache Aktivierung sensorischer Nervenfasern zu Pruritus, eine stärkere Aktivierung zu Schmerz führt. Erst mit der Identifizierung Histamin-spezifischer sensorischer Neurone beim Menschen im Jahr 1997 fand ein Umdenken statt (11). Seither konnten zahlreiche molekulare Mechanismen im Tier­modell und im Menschen identifiziert werden.

Wenngleich es wahrscheinlich für Juckreizsignale spezialisierte Neurone gibt, existiert eine enge Interaktion zwischen Schmerz- und Juckfasern (Abbildung 2). Zudem findet eine enge Kommunikation zwischen den Nervenendigungen in der Haut und den dort lokalisierten Zellen wie Keratinozyten, Mastzellen oder anderen Immunzellen statt. Die Epidermis spielt dabei eine zentrale Rolle, wobei die innervierenden Neuriten, die von der Dermis aus die Basalmembran zur Epidermis durchdringen, sehr bedeutend sind (12).

Diese Neuriten interagieren sehr eng mit epidermalen Keratinozyten sowie Entzündungszellen in der Haut, zum Beispiel Mastzellen. Dabei werden von den freien Nervenendigungen in der Epidermis Neuropeptide wie Sub­stanz P (SP) und Calcitonin-gene related peptide (CGRP) sezerniert. Diese Fak­toren lassen Keratinozyten wachsen und differenzieren (13) und bewirken bei diesen unter anderem die Ausschüttung neurotropher Faktoren, etwa des neuronalen Wachstums­faktors (NGF)  (14). Die neurotrophen Faktoren wiederum tragen maßgeblich zur Anatomie und Empfindlichkeit der kutanen Neuriten bei. Ist das Gleichgewicht gestört, kann es zu einer deutlich erhöhten Ausschüttung von Mediatoren kommen, wobei auch Mastzellen eine wichtige Rolle spielen. Dieses kann in den afferenten C-Fasern nicht nur zu einer verstärkten Neuropeptid-Ausschüttung, sondern auch zu einer ­erhöhten Empfindlichkeit, Spontan­aktivität und damit schließlich zu Pru­ritus führen (15, 16).

Fokus auf Zytokine und Chemokine

Bei der Interaktion kutaner Nerven­endigungen und umliegender Zellen müssen auch Zytokine und Chemo­kine sowie deren Rezeptoren mit ­einbezogen werden. In jüngster Zeit haben ­diese Mediatoren an Bedeutung gewonnen – nicht nur bei der Auslösung von Pruritus, sondern auch bei Entzündungsreaktionen. Sie sind für mögliche neue Therapien von ­großem Interesse.

Zielgerichtete antiinflammatorische Therapieansätze ermöglichen es, gezielt Zytokine oder deren Rezeptoren zu hemmen. Klinisch besonders relevant sind die Interleukine (IL) 4, 13 und 31, die bei entzündlichen pruritischen Erkrankungen eine zentrale Rolle spielen. Dupilumab, ein monoklonaler Antikörper gegen IL-4/13, ist bereits für die atopische Dermatitis zugelassen.

Andere monoklonale Antikörper wie Tralokinumab (Anti-IL-13) und Nemolizumab (Anti-IL-31) werden aktuell für die Indikationen atopische Dermatitis sowie chronische Prurigo (Dermatose mit stark juckenden Hautknötchen) getestet (16). Auch Antikörper gegen NGF, die ursprünglich gegen chronische Schmerzen, zum Beispiel bei Osteo­arthritis, entwickelt wurden (17), sind für entzündliche pruritische Erkrankungen in Erprobung (18).

Umfangreiche Diagnostik

Chronischer Pruritus kann viele Patientengruppen betreffen und in jedem ­Lebensalter auftreten. In einer großen Kollektivanalyse mit knapp 3000 Teilnehmern zeigte sich, dass Patienten mit chronischem Pruritus durchschnittlich 60 Jahre alt sind und oft Komorbiditäten aufweisen (19). Die Arbeits­gemeinschaft Pruritusforschung (AGP) hat für eine strukturierte Anamnese­erhebung einen Pruritus-Fragebogen entwickelt, der seit 2011 zur Verfügung steht (20).

Entgegen der früheren Lehrmeinung besteht keine Korrelation zwischen der Generalisierung von Pruritus und einer systemischen Erkrankung als zugrundeliegender Ursache. Patienten mit generalisiertem Pruritus leiden etwa gleich häufig an systemischen ­Erkrankungen wie an Dermatosen (21) (Tabelle 1). Die individuelle, sorgfältige Anamnese, klinische Untersuchung und interdisziplinäre, laborchemische sowie radiologische Diagnostik hat ­daher einen hohen Stellenwert in der Abklärung (6).

Ursache, Kategorie Beispiele für Diagnosen und Erkrankungen (alphabetisch)
Dermatosen
entzündliche Dermatosen allergisches Kontaktekzem, atopisches Ekzem, Arzneimittelexanthem, dyshidrotisches Ekzem, Exsikkationsekzem, irritatives Kontaktekzem, Lichen planus, Lichen sclerosus et atrophicans, M. Grover, Mastozytose, polymorphe Lichtdermatose, Psoriasis vulgaris, seborrhoische Dermatitis, Urtikaria
infektiöse Dermatosen bakterielle Infektionen (Beispiel: Follikulitis), Mykosen, Pediculosis, Skabies, virale Infektionen (Beispiel: Varizellen)
Autoimmundermatosen bullöse Dermatosen, insbesondere bullöses Pemphigoid, Dermatitis herpetiformis
Duhring
Genodermatosen Ichthyosen (Beispiel: Netherton Syndrom, Peeling Skin Disease, epidermolytische Ichthyose, autosomal rezessive kongenitale Ichthyose), Neurofibromatose
Schwangerschaftsdermatosen atopische Eruption der Schwangerschaft, Pemphigoid gestationis, polymorphe Exantheme der Schwangerschaft (PEP)
Neoplasien kutanes T-Zell-Lymphom, insbesondere erythrodermatische Verläufe
Systemische Erkrankungen
Nierenerkrankungen chronische Niereninsuffizienz jeglicher Genese
hepatobiliäre Erkrankungen Gallengangsteine, Gallengangadenome, Gallengangkarzinom, IgG4-relatierte Cholangitis, Medikamenten-/Toxin-induzierte Cholestase, Leberzirrhose, Pankreaskopfkarzinom, primar biliäre Cholangitis, primär/sekundär sklerosierende Cholangitis
hämatopoetische Erkrankungen essenzielle Thrombozythämie, Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphome, hypereosinophiles Syndrom, Mastozytose, Polycythaemia vera,
endokrine Krankheitsbilder Diabetes mellitus, Hyperthyreoidismus, Hyperparathyreoidismus, Karzinoid-Syndrome
Malassimilationssyndrome Anorexia nervosa, Eisenmangel, Laktoseintoleranz, Vitamin-B-/D-Mangel, Zöliakie
Infektionskrankheiten chronische Infektionen mit HBV, HCV, HIV, HSV, Helicobacter-pylori-Gastritis, Parasitosen, VZV-Reaktivierung
solide Tumoren Karzinome der Schilddrüse, im HNO-Bereich, von ZNS, Mamma, Lunge, Magen, Pankreas, Dickdarm, Prostata, Uterus und Sarkome
Tabelle 1: Wichtige Beispiele für Ursachen des chronischen Pruritus bei Dermatosen und Systemerkrankungen; adaptiert von (6)

Bei Pruritus auf primär veränderter Haut sollen dermatologische Erkrankungen als Ursache erwogen werden (Abbildung 1). Neben der klinischen ­Beurteilung der Haut werden zur dif­ferenzialdiagnostischen Abgrenzung bakteriologische, mykologische, allergologische und autoimmun-serologische Verfahren eingesetzt. Häufig ist auch die Entnahme einer Hautbiopsie nötig (6).

Tritt chronischer Pruritus auf primär unveränderter Haut auf, ist an internistische, neurologische und psychische/psychosomatische Erkrankungen sowie eine Medikamenteneinnahme als Auslöser zu denken (Tabelle 1) (2, 16). Ergeben Anamnese und klinische ­Untersuchung keine Hinweise auf eine entsprechende Erkrankung, wird eine Stufendiagnostik empfohlen (6).

Nicht diagnostisch erfolgreich sind diese Untersuchungen gelegentlich, wenn sich chronischer Pruritus lange Zeit vor der Grundkrankheit manifestiert. Der sogenannte prämonitorische Pruritus kann zum Beispiel bei der Polycythämia vera bereits Jahre vor der ­Diagnosestellung auftreten (22).

In sehr seltenen Fällen sind Malignome für chronischen Pruritus verantwortlich. Zwei große Kohortenstudien mit 8744 sowie 12 813 Patienten mit chronischem Pruritus ohne primäre Hautveränderungen haben erhöhte Malignomraten lediglich bei hämatologischen und Gallengangtumoren nachgewiesen (23, 24). Bei chronischem Pruritus unklarer Ursache (PUO) sollte sich die Suche nach einer möglichen Tumorerkrankung daher auf diese Tu­moren konzentrieren.

Unter den nicht-malignen Erkrankungen kamen Diabetes mellitus, chronische Nieren-, Leber- und Schild­drüsen­krankheiten sowie Angst und Depres­sion signifikant häufiger bei Patienten mit chronischem Pruritus vor (23).

Vier Bausteine der Therapie

Die Komplexität des chronischen ­Pruritus mit seinen unterschiedlichen Ursachen, Patientenkollektiven und Komorbiditäten ermöglicht keine einheitliche Therapieempfehlung. Die therapeutischen Optionen sollten individuell auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden. Da bisher kaum Medikamente speziell für die Behandlung des chronischen Pruritus zugelassen sind, handelt es sich meistens um einen Off-label-Einsatz. Je nach Grunderkrankung können die therapeutischen Empfehlungen stark variieren.

Unabhängig von der medikamen­tösen Therapie sollten alle Patienten über allgemeine Pruritus-lindernde Maßnahmen informiert werden. Dabei gilt es vor allem, trockene Haut zu ­vermeiden und die Hautbarriere zu stärken. Das therapeutische Vorgehen basiert auf vier wesentlichen Bau­steinen (6, 25):

  • allgemeine therapeutische Maßnahmen,
  • ursächlich angepasste Therapie,
  • symptomatische topische Therapie und
  • symptomatische systemische Therapie.

Allgemeine Maßnahmen

Es gibt zahlreiche allgemeine Empfehlungen zur Linderung des quälenden Pruritus. Patienten sollten alles meiden, was zur Hauttrockenheit führt. Hierzu zählen häufiges Waschen oder Baden, trockenes Klima oder Hitze, zum Beispiel Saunagänge, und alkoholische Umschläge. Daneben sind Reizstoffe wie Tierwolle, Umschläge mit Rivanol, Kamille oder Teebaumöl, Anspannung, negativer Stress, größere Mengen ­heißer Getränke oder Alkohol, stark ­gewürztes oder scharfes Essen oder andere Juckreiz-auslösende Nahrungsmittel zu meiden (Tabelle 2).

Maßnahmen Beispiele
Allgemein Fingernägel kürzen
lockere Baumwollkleidung
kühle nächtliche Umgebung
kalte Dusche
Reizstoffe vermeiden
Juckreiz-verstärkende Nahrungsmittel meiden
topische Therapie hydratisierende rückfettende Basiscreme
Topika mit Zusatz von Harnstoff, Menthol, Campher, Chloralhydrat, Polidocanol
Capsaicin
Glucocorticoide (temporär)
systemische Therapie medikamentöse Therapie
UV-Bestrahlung
neue Arzneistoffe in klinischen Studien
Tabelle 2: Individueller Therapieplan zur Behandlung des persistierenden chronischen Pruritus trotz adäquater Behandlung der Grunderkrankung sowie bei Pruritus unbekannten Ursprungs

Die Patienten sollten sich mit milden nicht-alkalischen Seifen, rückfettenden Waschsyndets oder Dusch- und Badeölen pflegen. Das Badewasser sollte nur lauwarm sein, die Badezeit maximal 20 Minuten betragen und die Haut im Anschluss eventuell kalt abgebraust werden. Nach Wasserkontakt möglichst nur abtupfen und nicht ­reiben, um eine vorgeschädigte Haut nicht weiter zu verletzen. Patienten sollten weiche lockere Kleidung tragen, am besten aus reiner Baumwolle. Die Fingernägel sollten regelmäßig gekürzt werden, um Kratzläsionen zu mini­mieren.

Eine rückfettende topische Basistherapie entsprechend dem Hauttyp ist mindestens einmal täglich empfehlenswert, insbesondere nach jedem Duschen oder Baden. Neben kühlen oder feuchten Umschlägen können Harnstoff-, Campher-, Menthol-, Chloralhydrat- oder Polidocanol-enthaltene Cremes, Lotionen oder Sprays empfohlen werden (6, 26).

Ursächlich angepasste Therapie

Gelingt es, die zugrundeliegende Erkrankung oder Co-Faktoren zu identifizieren, die den Pruritus aufrechterhalten, sollte eine spezifische Behandlung der Grunderkrankung erfolgen. Deren effektive Therapie lindert den chronischen Juckreiz häufig, aber nicht ­immer. Bei anhaltenden Beschwerden ist zusätzlich eine symptomatische Therapie erforderlich.

Symptomatische topische Therapie

Die topische Behandlung der juckenden Haut stellt einen wesentlichen ­Bestandteil der Therapie dar. Da insbesondere trockene Haut einen Pruritus verstärken kann, sollte die Haut täglich mit rückfettenden und rehydratisierenden Basiscremes oder Salben gepflegt werden. Der Fettgehalt sollte an den Hauttyp angepasst sein.

Bei steroidresponsiven Dermatosen oder bei sekundären entzündlichen Kratzläsionen werden topische Glucocorticoide empfohlen. Alternativ kann erwogen werden, in diesen Situationen auch Calcineurin-Inhibitoren wie Tacrolimus oder Pimecrolimus topisch zu applizieren (Tabelle 3) (27, 28). Der topische Phosphodiesterase-(PDE)-4-Inhibitor Crisaborol wurde von der FDA ­bereits zur Behandlung des atopischen Ekzems zugelassen; weitere PDE4­-Inhibitoren befinden sich in klinischen Studien.

Medikamentenklasse Substanz Applikation Indikation
Anästhetika Lidocain intravenös urämischer Pruritus
Antibiotika Rifampicin oral cholestatischer Pruritus
Antidepressiva Amitriptylin oral neuropathischer Pruritus
Fluoxetin oral hämatologische Erkrankungen
Mirtazapin oral kutane Lymphome, hämatologische Erkrankungen, neuropathischer Pruritus, PUO
Paroxetin oral "Pruritus: aquagen, neuropathisch, paraneoplastisch hämatologische Malignitäten, solide Tumoren, PUO"
Sertralin oral cholestatischer Pruritus
Antihistaminika Cetirizin, Levocetirizin, Desloratadin, Loratadin oral chronische spontane Urtikaria, induzierbare Urtikaria, aquagener Pruritus
Austauscherharze Cholestyramin, Colestipol Colesevelam oral cholestatischer Pruritus
Capsaicin Capsaicin topisch "Pruritus: aquagen, neuropathisch, urämisch Prurigo nodularis"
Gabapentinoide Gabapentin, Pregabalin oral "Pruritus: aquagen, cholestatisch, neuropathisch, urämisch kutanes Lymphom, Prurigo nodularis, PUO"
Immunmodulatoren Pimecrolimus, Tacrolimus topisch atopische Dermatitis, Prurigo nodularis, urämischer Pruritus
Immunsuppressiva Ciclosporin A, Methotrexat oral atopische Dermatitis, Prurigo nodularis
?-Opioid-Rezeptor-Antagonisten Naloxon/Naltrexon intravenös, oral "atopische Dermatitis, Pruritus: aquagen, cholestatisch, urämisch kutanes Lymphom, hämatologische Malignitäten, Prurigo nodularis, PUO, solide Tumoren"
Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten Aprepitant intravenös, oral atopische Dermatitis, kutanes Lymphom, Prurigo nodularis
Tabelle 3: Antipruritische Medikamente und deren Indikation. Nur Antihistaminika und Cholestyramin sind In-Label-­Anwendungen, alle anderen Off-Label-Anwendungen

Daneben können topische Behandlungen mit Zusatzstoffen wie kühlendem Menthol, Harnstoff, Campher, Chloralhydrat, Polidocanol sowie klassische Lokalanästhetika wie Lidocain, Benzocain oder Prilocain den Juckreiz lindern (6) – leider meist nur kurzfristig. Bei lokalisiertem chronischen Pruritus, zum Beispiel beim brachioradialen Pruritus, kann der topische Einsatz von Capsaicin in hoher Konzentration von 8 Prozent erwogen werden.

Symptomatische systemische Therapie

Die Basistherapie und die topische ­Behandlung mit wirkstoffhaltigen ­Externa reichen oft nicht aus, um den teils sehr quälenden Juckreiz adäquat zu lindern. Diese ­Patienten benötigen zusätzlich eine systemische antipruriginöse Therapie (Tabelle 3). Nicht-­sedierende Antihistaminika werden häufig als erste Wahl eingesetzt, wenngleich die Datenlage extrem dürftig und der Nutzen oftmals nicht gesichert oder nur sehr gering ist (29).

Lediglich bei der Urtikaria stellen Antihistaminika den Goldstandard dar. Spricht der Pruritus bei Patienten mit Urtikaria nicht auf die Standarddosis an, sollte off-label eine Höherdosierung bis zur vierfachen Tagesdosis erfolgen (30).

Auf sedierende Antihistaminika sollte generell verzichtet werden, da diese ein schlechteres Sicherheitsprofil haben, die oftmals bestehende Fatigue-Symptomatik mit Tagesmüdigkeit noch verstärken können und der antipruritische Effekt nicht größer ist als bei nicht-sedierenden Antihistaminika (6). Ebenfalls sollten systemische Glucocorticoide nicht oder lediglich als Kurzzeitbehandlung bei schwerem chronischen Pruritus, starkem Leidensdruck und entzündlichen Hautveränderungen eingesetzt werden.

Zu den empfohlenen Medikamenten für die systemische Therapie zählen Antikonvulsiva (Gabapentinoide), Antidepressiva, Opioidrezeptor-Antagonisten und die UV-Therapie (2, 6). Dabei können die Antikonvulsiva und Calciumkanalblocker Gabapentin und Pregabalin für die Behandlung des nephrogenen und neuropathischen Pruritus am stärksten empfohlen werden (Tabelle 3). Aber auch bei zahlreichen anderen Ursachen sind sie hilfreich. Bei den Antidepressiva werden vor allem die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zur Therapie des chronischen Pruritus, zum Beispiel bei hämatologischen oder hepatobiliären Erkrankungen, mit mildem Erfolg eingesetzt. Dagegen werden Mirtazapin und Doxepin nur eingeschränkt empfohlen.

Der μ-Opioidrezeptor-Antagonist Nal­trexon wird als Drittlinientherapie zur Behandlung des cholestatischen Pruritus empfohlen (31). Bei stationären ­Patienten mit therapierefraktärem Pruritus jeglicher Genese kann eine Naloxon-Infusionstherapie erwogen werden.

Die UV-Phototherapie ist insbesondere bei inflammatorischen Haut­erkrankungen wie dem atopischen ­Ekzem oder der Psoriasis vulgaris wirksam. Allerdings bestehen für fast alle Entitäten des chronischen Pruritus Fallserien oder Fallberichte von deutlichen positiven Effekten der UV-Phototherapie (2, 6). Bei Patienten, deren Grund­erkrankung potenziell durch eine Transplantation behandelt werden kann, wie bei chronischer Niereninsuffizienz oder hepatobiliären Erkrankungen, soll die UV-Phototherapie aufgrund des nach der Transplantation unter immunsuppressiver Therapie deutlich erhöhten Risikos für Malignome der Haut zurückhaltend eingesetzt werden.

Neuartige antipruritische Therapien

Das bessere pathophysiologische Verständnis hat in den letzten Jahren zur Entwicklung zahlreicher neuer ziel­gerichteter Therapieoptionen geführt. Viele dieser neuen Substanzen und Substanzklassen werden aktuell in klinischen Studien untersucht. Dazu gehören Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten, κ-Opioid-Rezeptor-Agonisten, Interleukin-Antagonisten, IBAT-Inhibitoren und Januskinase-Inhibitoren. Die Tabelle 4 fasst die vielversprechendsten Substanzen sowie deren Indikationsgebiet zusammen.

Bei den Biologika wurde kürzlich der monoklonale Antikörper gegen IL-4/13, Dupilumab, für die Behandlung der moderaten bis schweren atopischen Dermatitis zugelassen (32). In randomisierten placebokontrollierten Studien reduzierte Dupilumab die Juckreizintensität in vier Wochen um 41 Prozent als Monotherapie und um rund 70 Prozent in Kombination mit einem topischen Glucocorticoid.

Medikamentenklasse Substanz Applikation Indikation
Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten Serlopitant oral atopische Dermatitis, Prurigo nodularis, chronischer Pruritus, Epidermolysis bullosa
Tradipitant oral atopische Dermatitis
Orvepitant oral EGFR-induzierter Pruritus
?-Opioid-Rezeptor-Agonisten Nalfurafin intravenös, oral urämischer Pruritus
Difelikefalin intravenös urämischer Pruritus
Asimadolin oral atopische Dermatitis
Gemischter ?-Opioid-Rezeptor-Antagonist/?-Opioid-Rezeptor-Agonist Nalbuphin oral Prurigo nodularis, urämischer Pruritus
Interleukin-Antagonisten Nemolizumab, Dupilumab, Tralokinumab subkutan atopische Dermatitis
Secukinumab, Ixekizumab, Guselkumab subkutan Psoriasis vulgaris
Januskinase-Inhibitoren Tofacitinib oral Psoriasis vulgaris
Upadacitinib oral atopische Dermatitis
Histaminrezeptor- 4-Antagonisten JNJ-39758979, ZPL-389 oral atopische Dermatitis
Leukotrien-Rezeptor-Antagonisten Montekulast oral atopische Dermatitis
IBAT-Inhibitoren Linerixibat, Maralixibat, A4250 oral cholestatischer Pruritus
TRPV1-Antagonisten PAC-14028 topisch Ekzem
TrkA-Inhibitoren Pegcantratinib topisch Psoriasis vulgaris
Phosphodiesterase-4-Inhibitoren Crisaborole, OPA-15406 topisch atopische Dermatitis
Cannabinoide N-Acetylethanolamin topisch urämischer Pruritus, chronischer Pruritus
N-Palmitoylethanolamin topisch atopische Dermatitis
Tabelle 4: Neue, in Entwicklung befindliche oder in randomisierten klinischen Studien untersuchte antipruritische Medikamente. IBAT: ileal bile acid transporter; TrkA: tropomyosin-receptor-kinase A; TRPV1: transient receptor potential vanilloid 1

Vielversprechend ist auch Nemolizumab, ein monoklonaler IL-31-Anti­körper, der die Juckreizintensität bei atopischer Dermatitis in einer randomisierten kontrollierten Studie nach vier Wochen halbierte (33).

Die für Psoriasis vulgaris zugelassenen TNF-Antikörper Infliximab und ­Etanercept wirken deutlich antipruritisch. Auch der monoklonale Anti­körper gegen IL-17A, Secukinumab, konnte die Juckreizintensität auf einer NRS um deutliche 4,9 Punkte nach zwölf ­Wochen reduzieren (34). Ähnlich stark wirksam war Ixekizumab; der IL-17A ­Antikörper konnte die maximale Juckreizintensität in zwölf Wochen um 4,7 Punkte auf einer NRS absenken (35).

Daneben scheint die IL-23-Blockade bei Psoriasis vulgaris ebenfalls einen möglichen Mechanismus zur Behandlung des Pruritus darzustellen. Guselkumab linderte in einer Phase-II-Studie nach 16-wöchiger Behandlung die Juckreizintensität bei drei Viertel aller ­Patienten um mehr als 4 Punkte.

Einen anderen antiinflammatorischen Ansatz bieten small molecule-Inhibitoren der Januskinase (JAK-Hemmer). Tofacitinib linderte chronischen Pruritus bei atopischer Dermatitis wie bei Psoriasis vulgaris deutlich. Schon innerhalb eines Tages sank die Juckreiz­intensität um gut einen Punkt auf der NRS. Daneben besserten JAK-Inhibitoren die Symptome bei aquagenem Pruritus verschiedener myeloproliferativer Erkrankungen ebenfalls deutlich. So führte Ruxolitinib in einer randomisierten, kontrollierten Phase-II-Studie nach vier Wochen bei mehr als 90 Prozent der Patienten zu einer 50-prozentigen Pruritusreduktion (36).

Der Neurokinin-1 (NK1)-Rezeptor ist der Rezeptor für das Neuropeptid Sub­stanz P im peripheren und zentralen Nervensystem. Bei atopischer Derma­titis korrelieren die Spiegel von Sub­stanz P mit der Krankheitsaktivität. Zahlreiche Fallserien haben die anti­pruritische Wirkung des NK1R-Antagonisten Aprepitant bestätigt. Aktuell werden weitere NK1R-Antagonisten wie Serlopitant, Tradipitant und Orvepitant in zahlreichen klinischen Studien für Pruritus bei verschiedenen dermatologischen und systemischen Erkrankungen untersucht (25).

Opioidrezeptoren haben eine wichtige Funktion bei der Entstehung von Schmerz und Pruritus. Dabei steht der Pruritus-Signalweg unter einer inhibitorischen Kontrolle der nozizeptiven Neurone (Abbildung 2). Durch Kratzen oder andere Schmerzreize werden ­Interneurone aktiviert, die über die ­Aktivierung von κ-Opioidrezeptoren den Pruritus inhibieren. Im Gegensatz zu μ-Opioidrezeptoren, die Schmerzen lindern, aber Pruritus auslösen, wirken κ-Opioidrezeptoren analgetisch und antipruritisch. Daher stellen κ-Opioid­rezeptor-Agonisten eine vielversprechende Therapieoption dar. Bei Patienten mit nephrogenem und cholestatischem Pruritus bewirkte Nalfurafin eine leichtgradige Verbesserung; es ist in Japan zur Behandlung der beiden ­Entitäten zugelassen (37). Weitere Agonisten wie Difelikefalin (CR845) oder Asimadoline werden aktuell in Phase II/III-Studien bei nephrogenem Pruritus und atopischer Dermatitis untersucht.

Bei cholestatischem Pruritus akkumulieren zahlreiche gallepflichtige Sub­stanzen wie Gallensäuren und Bilirubin. Das Austauscherharz Colestyramin stellt die Erstlinien- und das Antibiotikum Rifampicin die Zweitlinientherapie dar (31). Selektive Inhibitoren des Gallensäuretransporters IBAT (ileal bile acid transporter) im terminalen Ileum können die Rückresorption von Gallensäuren verhindern. Der IBAT-Inhibitor Linerixibat konnte in einer Phase-II-­Studie innerhalb von zwei Wochen den Pruritus bei Patienten mit primär biliärer Cholangitis um 57 Prozent auf einer NRS verringern (38). Aktuelle Phase-II/III-Studien müssen diesen vielversprechenden Ansatz aber noch bestätigen.

Fazit

Chronischer Pruritus ist ein häufiges Symptom zahlreicher Erkrankungen, das die Lebensqualität der Patienten oft deutlich reduziert. Zudem weist chronischer Pruritus eine hohe Lebenszeitprävalenz von rund 15 Prozent auf.

Bisherige Medikamente werden zur symptomatischen systemischen Therapie des chronischen Pruritus mit teils nur mäßigem Erfolg eingesetzt. Aufgrund des besseren pathophysiologischen Verständnisses wurden zahlreiche neue therapeutische Zielstrukturen identifiziert. Gut definierte, randomisierte, placebokontrollierte klinische Studien werden zeigen, welches Medikament für welche Indikation am ­besten geeignet ist. Es besteht die Hoffnung, dass in den kommenden Jahren zahlreiche neue kausale Therapien für das quälende Symptom Pruritus zur Verfügung stehen.

  • Literatur beim Verfasser

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