Stigmatisierung sehen und vermeiden |
Möglichst gute Gesundheit ist ein hohes Ziel. Heilberufler können viel dazu beitragen, wenn sie alle Patienten gleichermaßen gut betreuen. / Foto: Adobe Stock/Nelos
Psychische Erkrankungen haben in den letzten Jahren im Versorgungsgeschehen deutlich zugenommen. Entsprechend häufig werden auch Psychopharmaka verordnet und in der Apotheke abgegeben. Der Gang in die Apotheke kann für Patienten unangenehm sein und eine Hürde für die Rezepteinlösung darstellen.
Apotheker können einerseits adhärenzfördernd einwirken, aber auch genau das Gegenteil bewirken, wenn es zu einer Stigmatisierung kommt. Eine fehlende Beratung bei der Abgabe und ein zuweilen »peinliches Schweigen« lassen auf die Haltung des Heilberuflers schließen. Auch aus diesem Grund werden Medikamente, die eher mit einer Furcht vor Stigmatisierung einhergehen, oft über Online-Apotheken bestellt.
Auch Stations- und Krankenhausapotheker sowie klinische Pharmazeuten können in Visitensituationen oder bei Gesprächen stigmatisieren. Selbst Personen, die in der psychiatrischen Versorgung tätig sind, sind trotz Berufserfahrung – in der Regel ohne böse Absicht – dafür anfällig, ausgrenzende Verhaltensweisen gegenüber Betroffenen zu zeigen.
Aufgrund der Folgen der Stigmatisierung von psychisch Erkrankten wird diese auch als »zweite Krankheit« bezeichnet (1). Durch ein sogenanntes »Overshadowing« kommt es zudem zu einer erhöhten Mortalität und Morbidität durch somatische Erkrankungen. Das bedeutet: Die psychische Erkrankung findet Beachtung und wird behandelt, aber körperliche Erkrankungen bleiben dahinter »im Dunkeln«.
Welchen Stigmatisierungstendenzen unterliegen Heiberuflerinnen und Heilberufler, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten, und wie erkennt man das? Was können und müssen sie besser machen, um erkrankten Menschen besser helfen zu können?
Foto: Getty Images/Maria Stavreva
»Stigma« hatte ursprünglich die Bedeutung eines Zeichens oder Brandmals (2). Stigmatisierung bezieht sich darauf, dass Menschen durch Zuschreibungen von Merkmalen und Eigenschaften in Kategorien eingeordnet und diskreditiert werden (3). Dies führt zu diversen negativen Folgen für Betroffene, da ihnen gesellschaftlich negativ bewertete Merkmale zugeschrieben werden, die sie vermeintlich von der Mehrheit unterscheiden. Zu den Folgen zählen Einbußen von Selbstwert und gesellschaftlicher Teilhabe, weniger Chancen für adäquate Behandlung und Recovery (»Erholung, Genesung«), schlechtere Behandlung von somatischen Erkrankungen, zum Beispiel Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen und Zahnproblemen, sowie erhöhte Sterblichkeitsraten (4).
Nach dem Mental Illness Stigma Framework (MISF) (5) funktioniert direkte Stigmatisierung durch Diskriminierung, Stereotype und Vorurteile.