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Häufige Arzneistoffe

Steckbrief Methylphenidat

Unter dem Namen Ritalin® ist das Stimulans Methylphenidat bekannt geworden. Es hilft Millionen Menschen mit ADHS weltweit, im Alltag besser zurechtzukommen, wird aber auch zur Leistungssteigerung missbraucht.
Daniela Hüttemann
05.10.2022  09:00 Uhr

Was sind die Einsatzgebiete von Methylphenidat?

Methylphenidat wird zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern ab sechs Jahren und (abhängig vom Präparat) auch bei Erwachsenen eingesetzt. Die Diagnose muss sehr sorgfältig gestellt sein. Der Einsatz von Methylphenidat bei ADHS muss in ein therapeutisches Gesamtkonzept eingebettet sein und bei Minderjährigen unter Aufsicht eines Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern erfolgen. Zweite zugelassene Indikation ist die Behandlung zwanghafter Schlafanfälle während des Tages (Narkolepsie), auch hier im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie.

Off Label wird Methylphenidat unter anderem bei Depressionen und Alzheimer-bedingter Apathie eingesetzt sowie missbräuchlich für das sogenannte Neuro-Enhancement (Hirndoping) oder aufgrund einer möglichen euphorisierenden Wirkung.

Wie wirkt Methylphenidat?

Methylphenidat ist ein indirekt wirkendes Sympathomimetikum. Es erhöht die Konzentration der Katecholamine Dopamin und Noradrenalin im synaptischen Spalt. Dadurch wirkt es zentral stimulierend, steigert Konzentrations- und Leistungsfähigkeit sowie Entscheidungsbereitschaft und Antrieb. Müdigkeit und körperliche Abgeschlagenheit werden dagegen unterdrückt.

Wie wird Methylphenidat dosiert?

Methylphenidat wird einschleichend und individuell dosiert. Bei unretardierten Präparaten starten Kinder und Jugendliche mit 5 mg ein- bis zweimal pro Tag (morgens und mittags). Die Wirkung setzt nach etwa 20 Minuten ein; die Halbwertszeit beträgt etwa zwei Stunden. Die Dosis kann wöchentlich um 5 bis 10 mg gesteigert werden. Die maximale Tagesdosis sollte 60 mg nicht überschreiten und auf zwei bis drei Gaben aufgeteilt werden.

Bei Erwachsenen beträgt die Tageshöchstdosis 1 mg pro Kilogramm Körpergewicht, jedoch maximal 80 mg. Werden Erwachsene neu eingestellt, bekommen sie initial 10 mg Methylphenidat verteilt auf zwei Einzeldosen morgens und abends oder einmal täglich 20 mg. Es kann wöchentlich in Schritten von 10 bis 20 mg pro Tag gesteigert werden.

Neben den sofort freisetzenden Darreichungsformen stehen (für Minderjährige) auch retardierte und (für Kinder und Erwachsene) solche mit veränderter Wirkstofffreisetzung zur Verfügung. Letztere enthalten einen Teil des Wirkstoffs in schnell freisetzender Form (zum Beispiel im Tablettenüberzug), während der Rest erst nach und nach freigesetzt wird. Die Gesamtwirkdauer dieser Präparate liegt bei etwa acht Stunden. Hier startet man mit 10 bis 20 mg einmal täglich morgens.

Bei Narkolepsie werden sofort freisetzende Darreichungsformen eingesetzt. In dieser Indikation erhalten Erwachsene durchschnittlich 20 bis 30 mg (maximal 80 mg) täglich, verteilt auf zwei bis drei Einzelgaben. Für Kinder liegt auch hier die Startdosis bei 5 mg ein- bis zweimal am Tag und die maximale Tagesdosis bei 60 mg.

Was sind die Gegenanzeigen für Methylphenidat?

Methylphenidat soll nicht bei Menschen ab 60 Jahren zum Einsatz kommen und ist bei Nieren- und Leberinsuffizienz mit Vorsicht anzuwenden. Zu den absoluten Kontraindikationen zählen unter anderem ein Alter des Patienten unter sechs Jahren, die Stillzeit, Glaukom, Schilddrüsenüberfunktion, Phäochromozytom, schwer ausgeprägte psychiatrische Störungen inklusive Depressionen, Magersucht, Schizophrenie und bipolare Störung, außerdem schwere vorbestehende Herz-Kreislauf- und zerebrovaskuläre Erkrankungen. Zu den relativen Gegenanzeigen gehören unter anderem mildere Formen der meisten dieser Erkrankungen sowie eine bekannte Drogen- oder Alkoholabhängigkeit, Epilepsie und Schwangerschaft.

Welche Nebenwirkungen kann Methylphenidat haben?

Sehr häufige Nebenwirkungen von Methylphenidat sind unter anderem Appetitverlust, Schlaflosigkeit, Nervosität, Kopfschmerzen, Übelkeit, Mundtrockenheit und bei Erwachsenen mit Narkolepsie auch Schwitzen, Geräuschempfindlichkeit und paradoxerweise Konzentrationsmangel. Häufig sind unter anderem abnormes Verhalten, Aggression, Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Depression und Schlafstörungen, ebenso gastrointestinale Symptome, aber auch Husten, Rachen- und Kehlkopfschmerzen, Nasopharyngitis und Hautreaktionen.

Bei der Langzeitanwendung bei Kindern kann es zu Wachstumsverzögerung kommen. Möglich sind auch kardiovaskuläre Nebenwirkungen wie Herz-Rhythmus-Störungen, Tachykardie und Hypertonie. Daher gehört ein Monitoring von Puls, Blutdruck und Herzfrequenz für alle Patienten dazu. Ebenso ist auf den psychischen Zustand der Patienten und möglichen Missbrauch zu achten.

Welche Wechselwirkungen sind möglich?

Auch hier ist die Liste lang. Teilweise kontraindiziert ist die gleichzeitige Anwendung anderer noradrenerg wirksamer Substanzen. Dazu zählen andere Stimulanzien, der Blutdrucksenker Clonidin und viele Psychopharmaka, darunter viele Antidepressiva und Antipsychotika, vor allem MAO-Hemmer und Dopamin-Agonisten. Auch die gleichzeitige Gabe des Antibiotikums Linezolid ist kontraindiziert, ebenso die Anwendung von Phenylephrin, Pseudoephedrin, Ephedrin und Ephedrakraut (cave OTC-Kombi-Erkältungsmittel). Auch von der Kombination mit Alkohol sollte man abraten.

Was gibt es zum Status von Methylphenidat zu wissen?

Methylphenidat gehört aufgrund seines Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzials zu den Betäubungsmitteln (BtM) und darf nur auf BtM-Rezept verordnet werden. Es steht zudem auf der Dopingliste verbotener Substanzklassen und ist im Wettkampf verboten.

Seit wann gibt es Methylphenidat?

Methylphenidat wurde erstmals 1944 von der Firma Ciba (heute Novartis) synthetisiert. Sein Schöpfer, der italienische Chemiker Leandro Panizzon, benannte die Substanz nach dem Kurznamen seiner Frau Marguerite: Rita. Heraus kam der bekannte Markenname Ritalin.

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