Steckbrief Melperon |
Kerstin A. Gräfe |
23.11.2022 07:00 Uhr |
Psychosen sind eines der Einsatzgebiete des Arzneistoffs Melperon. / Foto: Photographee.eu
Wie wirkt Melperon?
Melperon ist ein Antipsychotikum mit schwacher bis mittelstarker Wirkung. Es zählt zur Gruppe der Butyrophenone. Diese blockieren vor allem postsynaptisch die D2-Rezeptoren im mesolimbischen Cortex und hemmen dadurch die Wirkung von Dopamin. Diesen Neurotransmitter wird im Zusammenhang mit psychotischen Erkrankungen eine Überaktivität zugeschrieben.
Bis zum vollen Wirkeintritt von Melperon vergehen Tage bis Wochen, da zu Beginn der Therapie die Dopamin-Ausschüttung ansteigt und sich der Rezeptorantagonismus noch nicht voll auswirken kann. Die sedative Wirkung von Melperon ist deutlich ausgeprägter als die antipsychotischen Effekte. Neben diesen für schwach potente Neuroleptika typischen Hauptwirkungen weist Melperon muskelrelaxierende und antiarrhythmische Wirkungen auf. Im Gegensatz zu anderen Neuroleptika hat Melperon in therapeutischen Dosen keinen negativen Einfluss auf die Höhe der zerebralen Krampfschwelle.
Was ist das Einsatzgebiet von Melperon?
Melperon wird zur Behandlung von Schlafstörungen, Verwirrtheitszuständen und zur Dämpfung von psychomotorischer Unruhe und Erregungszuständen eingesetzt, insbesondere bei Patienten in der Geriatrie und Psychiatrie. Weitere Einsatzgebiete sind Psychosen und Alkoholkrankheit.
Wie wird Melperon angewendet und dosiert?
Melperon ist in Form von Filmtabletten (10, 25, 50 und 100 mg) und als Lösung zum Einnehmen (25 mg/5 ml und 25 mg/ml) verfügbar. Dosierung und Darreichungsform müssen an die individuelle Reaktionslage, Alter und Gewicht des Patienten sowie Art und Schwere des Krankheitsbildes angepasst werden. Hierbei gilt der Grundsatz, die Dosis so gering und die Behandlungsdauer so kurz wie möglich zu halten. Bei gleichzeitiger Anwendung von Lithium und Melperon sollten beide Arzneimittel so niedrig wie möglich dosiert werden.
Für eine milde beruhigende und vorwiegend angstlösende Wirkung mit Verbesserung der Stimmungslage reichen in der Regel 25 bis 75 mg Melperon pro Tag aus. Bei unruhigen und verwirrten Patienten beträgt die Tagesdosis zu Beginn der Behandlung 50 bis 100 mg. Sie kann bei Bedarf innerhalb mehrerer Tage auf bis zu 200 mg gesteigert werden. Bei schweren Unruhe- und Verwirrtheitszuständen mit Aggressivität sowie wahnhaften und halluzinatorischen Zuständen kann die Tagesdosis auf bis zu 400 mg heraufgesetzt werden.
Die Tagesdosis sollte auf mehrere Einzelgaben aufgeteilt werden und am besten nach den Mahlzeiten und vor dem Zubettgehen eingenommen werden. Nach wenigen Tagen Therapiedauer kann von parenteralen auf orale Darreichungsformen übergegangen werden. Wichtig: Melperon darf nicht zusammen mit Kaffee, Tee oder Milch eingenommen werden, da sich nicht resorbierbare Komplexe bilden können.
Welche Nebenwirkungen kann Melperon haben?
Therapeutische Dosen haben in der Regel keinen oder nur einen geringen Einfluss auf Atmung, Kreislauf, Verdauung, Harnausscheidung und Leberfunktion. Insbesondere zu Beginn der Behandlung können Müdigkeit sowie Hypotonie beziehungsweise orthostatische Dysregulation und eine reflektorische Beschleunigung der Herzfrequenz auftreten.
Melperon kann das QT-lntervall im EKG verlängern. Bei Patienten mit Erkrankungen des Herzens sollten deshalb regelmäßig EKG-Kontrollen durchgeführt werden.
Typische unerwünschte Wirkungen von Neuroleptika sind extrapyramidal-motorische Störungen, die sich in Form von Frühdyskinesien, einem Parkinson-Syndrom und Bewegungsunruhe manifestieren können. Spätdyskinesien treten eher selten auf.
Wie bei anderen Neuroleptika wurde auch unter Melperon ein sogenanntes malignes neuroleptisches Syndrom beobachtet. Dabei handelt es sich um eine seltene, angeborene Überempfindlichkeitsreaktion, die durch stark erhöhte Temperatur, allgemeine Muskelsteife, Kreislauf und Bewusstseinsstörungen gekennzeichnet ist. Fieber ist oft ein frühes Warnzeichen dieses Krankheitsbildes. In diesem Fall sollte die Behandlung mit Melperon sofort beendet und unverzüglich ein Arzt aufgesucht werden.
In Einzelfällen kann es zu Agranulozytose kommen. Die Patienten sollten angehalten werden, bei Fieber, Zahnfleisch- und Mundschleimhautentzündungen, Halsschmerzen oder eitriger Angina sowie grippeähnlichen Symptomen keine Selbstmedikation mit Analgetika durchzuführen, sondern sofort ihren behandelnden Arzt aufzusuchen.
Melperon-haltige Arzneimittel können auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch das Reaktionsvermögen beeinträchtigen. Das gilt vor allem in Kombination mit Alkohol. Daher sollten die Teilnahme am Straßenverkehr oder das Bedienen von Maschinen (auch im Haushalt) zumindest während der ersten Phase der Behandlung unterbleiben.
Wann darf Melperon nicht angewendet werden?
Kontraindiziert ist Melperon bei Vergiftungen und komatösen Zuständen durch Alkohol, Opiate, Hypnotika oder zentral dämpfende Psychopharmaka. Weitere Ausschlusskriterien sind eine hochgradige Leberinsuffizienz und ein anamnestisch bekanntes malignes Neuroleptika-Syndrom. Kinder unter zwölf Jahren dürfen nicht mit Melperon behandelt werden. Zudem gilt in Bezug auf die flüssigen Präparate, dass eine bekannte Überempfindlichkeit gegen Methyl-4-hydroxybenzoat (Paraben E 218) oder Propyl-4-hydroxybenzoat (Paraben 216) eine Gegenanzeige darstellt.
Darf Melperon in Schwangerschaft und Stillzeit angewendet werden?
Melperon sollte in der Schwangerschaft nicht verordnet werden. Wenn eine Anwendung während der Stillzeit zwingend erforderlich ist, muss abgestillt werden.
Welche Wechselwirkungen sind möglich?
Durch die gleichzeitige Anwendung von zentral dämpfenden Substanzen wie Drogen, Alkohol, Schlaf- und Beruhigungsmittel, Neuroleptika oder Opioiden kann es zur Potenzierung der zentralnervösen Nebenwirkungen und dadurch zu verstärkter Müdigkeit, Benommenheit und Atemstörungen kommen.
Bei gleichzeitiger Anwendung mit trizyklischen Antidepressiva ist eine gegenseitige Wirkungsverstärkung möglich. Insbesondere bei älteren Menschen kann die gleichzeitige Anwendung von klassischen Neuroleptika und Lithium das Risiko für Spätdyskinesien erhöhen. Beide Arzneimittel sollten so niedrig wie möglich dosiert werden.
Die blutdrucksenkende Wirkung von anderen Arzneimitteln kann durch Melperon verstärkt werden.
Dopamin-Agonisten wie Levodopa oder Lisurid können die Melperon-Wirkung abschwächen, Dopamin-Antagonisten wie Metoclopramid hingegen die durch Melperon verursachten extrapyramidal-motorischen Wirkungen verstärken. Unter Umständen können dann Zungen- und Schlundkrämpfe auftreten.
Werden zusätzlich Anticholinergika eingenommen, kann die anticholinerge Wirkung verstärkt werden. Dies äußert sich in Symptomen wie Sehstörungen, Erhöhung des Augeninnendrucks, Mundtrockenheit, beschleunigtem Herzschlag, Verstopfung, Beschwerden beim Wasserlassen, Störungen der Speichelsekretion, Sprechblockade, Gedächtnisstörungen oder vermindertem Schwitzen.
Zu vermeiden ist die gleichzeitige Anwendung von Arzneimitteln, die ebenfalls das QT-Intervall verlängern, zu einer Hypokaliämie führen oder den hepatischen Abbau von Melperon hemmen können.
Ist Melperon für Ältere geeignet?
Die Antwort lautet wie so oft bei Arzneimitteln — es kommt auf die Bedingungen an. Melperon wird nicht umsonst aufgrund seiner vergleichsweise geringen Nebenwirkungen als Sedativum vor allem in der Geriatrie eingesetzt. So nennt die derzeit noch gültige Priscus-Liste Melperon als mögliche Alternative zu Thioridazin, Perphenazin, Haloperidol, Olanzapin und Clozapin. Allerdings hat neuerdings auch Melperon Eingang in die aktualisierte Liste Priscus 2.0 gefunden. Dort wird nun eine längere Anwendungsdauer (>100 mg/Tag > sechs Wochen) als potenziell inadäquate Medikation im Alter (PIM) angeführt.
Strukturformel Melperon / Foto: Wurglics