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Häufige Arzneistoffe

Steckbrief Lorazepam

Lorazepam wird von allen Benzodiazepinen in Deutschland am häufigsten zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet. Wegen seiner mittellangen Halbwertszeit sind Durchschlafstörungen eine der zahlreichen Indikationen.
Kerstin A. Gräfe
09.02.2022  07:00 Uhr

Was sind die Einsatzgebiete von Lorazepam?

Lorazepam ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Benzodiazepine und ist in Form von Tabletten, Schmelztabletten und als Injektionslösung im Handel. Eingesetzt wird er zur symptomatischen Behandlung von Angst-, Spannungs- und Erregungszuständen sowie dadurch bedingten Schlafstörungen. Bei Letzteren ist Lorazepam besonders bei Durchschlafproblemen geeignet, da es mit einer Halbwertszeit von etwa zwölf bis 16 Stunden zu den mittellang wirksamen Benzodiazepinen gehört. Eine weitere Indikation ist die Basissedierung vor und nach operativen oder diagnostischen Eingriffen. Zudem wird es notfallmedizinisch intravenös zur Unterbrechung eines Status epilepticus angewendet.

Wie wirkt Lorazepam?

Benzodiazepine vermitteln ihre Wirkung, indem sie die hemmende Funktion von GABA (γ-Aminobuttersäure)-ergen Neuronen verstärken. Sie reagieren dabei als allosterische Agonisten an verschiedenen α-Untereinheiten von GABAA-Rezeptortypen, wodurch die Affinität von GABA zur Bindungsstelle erhöht wird. Dadurch nimmt die Öffnungswahrscheinlichkeit der mit den GABAA-Rezeptoren verbundenen Chloridkanäle zu und der Einstrom von Chloridionen in die Nervenzelle wird verstärkt. Dies führt zu einer geringeren Erregbarkeit der Neuronenmembran (Hyperpolarisation).

Benzodiazepine haben eine dosisabhängige Wirkung: In niedrigen Dosen wirken sie vor allem beruhigend und angstlösend. Durch Steigerung der Dosis entsteht zusätzlich ein muskelrelaxierender Effekt. Wird die Dosis noch weiter erhöht, wirken sie hypnotisch. In sehr hoher Dosierung werden sie zur Unterdrückung eines Status epilepticus eingesetzt.

Wie wird Lorazepam dosiert?

Die Tagesdosis zur Behandlung von Angst, Spannungs-, Erregungs- und dadurch bedingten Schlafstörungen beträgt in der Regel 0,5 bis 2,5 mg Lorazepam. Sie kann auf zwei bis drei Einzeldosen verteilt oder als einmalige abendliche Dosis gegeben werden. Im Einzelfall kann die Tagesdosis auf maximal 7,5 mg erhöht werden. Prinzipiell sollte die Behandlungsdauer so kurz wie möglich gehalten werden. Da beim Absetzen Entzugssymptome auftreten können, muss die Dosis dabei schrittweise reduziert werden.

Bei Kindern ist die Dosis entsprechend herabzusetzen. Einzeldosen von 0,5 bis 1 mg beziehungsweise 0,05 mg pro kg Körpergewicht sollten nicht überschritten werden. Bei älteren oder geschwächten Patienten sollte die initiale Tagesgesamtdosis um etwa die Hälfte gesenkt werden.

Soll eine Sedierung vor und nach operativen oder diagnostischen Eingriffen erzielt werden, werden entweder am Vorabend 1 bis 2,5 mg Lorazepam und/oder ein bis zwei Stunden vor dem Eingriff 2 bis 4 mg oral gegeben. Alternativ können intravenös 0,044 mg pro kg Körpergewicht 15 bis 20 Minuten vor dem Eingriff appliziert werden. Auch hier gilt eine Höchstdosis von 4 mg. Intramuskulär erfolgt die Gabe mindestens zwei Stunden vor dem Eingriff und wird mit 0,05 mg pro kg Körpergewicht berechnet.

Um einen Status epilepticus zu unterbrechen, beträgt die übliche Dosis für Erwachsene 4 bis 8 mg intravenös, verteilt auf ein bis zwei Einzelgaben. Eine Maximaldosis von 8 mg Lorazepam innerhalb von zwölf Stunden sollte nicht überschritten werden. Kinder ab einem Monat erhalten eine initiale Dosis von 0,1 mg pro kg Körpergewicht. Die maximale Dosis beträgt 4 mg.

Welche Nebenwirkungen sind möglich?

Nebenwirkungen sind besonders zu Beginn der Behandlung und bei (zu) hoher Dosierung zu erwarten. Sehr häufig (≥ 1/10) kommt es zu Sedierung, Müdigkeit und Benommenheit. Häufig (≥  1/100 bis < 1/10) treten zudem Ataxie (Bewegungsstörungen), Verwirrtheit, Depression, Demaskierung einer Depression und Schwindelgefühl auf. Auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch kann Lorazepam die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr und zum Bedienen von Maschinen erheblich beeinträchtigen. Das gilt in verstärktem Maße im Zusammenwirken mit Alkohol. Wie bei allen Benzodiazepinen besteht auch bei Lorazepam die Gefahr einer Abhängigkeit.

Was sind die Kontraindikationen?

Lorazepam darf nur unter besonderer Vorsicht angewendet werden bei Myasthenia gravis, spinalen und zerebellaren Ataxien sowie bei akuter Vergiftung mit Alkohol oder zentral dämpfenden Pharmaka. Gleiches gilt bei Atemfunktionsstörungen wie Schlafapnoe-Syndrom und chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollten nicht mit Lorazepam behandelt werden, außer zur Sedierung vor diagnostischen sowie vor und nach operativen Eingriffen. Für Kinder unter sechs Jahren wird Lorazepam nicht empfohlen, bei Früh- oder Neugeborenen darf es nicht angewendet werden. Intravenös darf Lorazepam nicht gleichzeitig mit Scopolamin angewendet werden, da eine solche Kombination vermehrt zu Sedierung, Halluzinationen und irrationalem Verhalten führt.

Darf Lorazepam in Schwangerschaft und Stillzeit angewendet werden?

Lorazepam sollte während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Gleiches gilt für die Stillzeit, da das Benzodiazepin in die Muttermilch übergeht.

Welche Wechselwirkungen gilt es zu beachten?

Bei gleichzeitiger Anwendung mit anderen zentral dämpfenden Arzneimitteln wie Schlaf- und Beruhigungsmittel, Neuroleptika, Betablocker oder opioiden Analgetika sowie Alkohol kann es zu einer wechselseitigen Verstärkung der zentral dämpfenden Effekte kommen. Weitere Interaktionen sind mit Muskelrelaxanzien, Clozapin, Haloperidol, Valproat, Probenecid, Theophyllin und Scopolamin (Kontraindikation) möglich.

Fördern Benzodiazepine Alzheimer?

Lorazepam wurde 1963 von American Home Products (heute Wyeth) patentiert und ist unter dem Handelsnamen Tavor® (Pfizer) sowie generisch im Handel. Im Jahr 2007 war es das zweitmeistverordnete Psychopharmakon in Deutschland. Gut fünf Jahre später belegte Lorazepam nur noch Platz 15; Antidepressiva und Neuroleptika hatten den Benzodiazepinen den Rang abgelaufen. Auslöser war unter anderem eine Studie im »British Medical Journal«, wonach die Einnahme von Benzodiazepinen das Risiko für eine Demenz um 50 Prozent erhöhen könnte (DOI: 10.1136/bmj.e6231). Dadurch geriet die Wirkstoffgruppe, die aufgrund des Abhängigkeitspotenzials ohnehin ein schlechtes Image hatte, weiter in Verruf. Eine neuere Studie, die ebenfalls im »BMJ« erschien, deutete vorsichtige Entwarnung an, ihre Methodik wurde allerdings scharf kritisiert (DOI: 10.1136/bmj.i90). Ein kausaler Zusammenhang ist bis dato nicht belegt. 

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