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Häufige Arzneistoffe

Steckbrief Fentanyl

Transdermale Pflaster, Sublingual- und Bukkaltabletten, Injektionslösungen und Nasenspray: Das Opioid Fentanyl steht in etlichen Darreichungsformen zur Verfügung. Alle haben ein Ziel, nämlich die zuverlässige Linderung starker Schmerzen.
Brigitte M. Gensthaler
15.07.2022  18:00 Uhr

Welches sind die Einsatzgebiete von Fentanyl?

Das hoch potente Opioid Fentanyl gehört zu den Betäubungsmitteln und fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Es wird als Analgetikum bei starken chronischen Schmerzen eingesetzt, die nicht zwingend tumorbedingt sein müssen. Zur Langzeitbehandlung von Erwachsenen und Kindern ab zwei Jahren sind transdermale Systeme (TTS) zugelassen. Arzneiformen, die den Wirkstoff schnell freisetzen, wie Sublingual-/Bukkaltabletten oder Nasenspray, sollen Durchbruchschmerzen bei Erwachsenen kupieren, die bereits eine Opioidbasistherapie bekommen. Durchbruchschmerzen sind eine akute Verschlimmerung von chronischen Schmerzen, die ansonsten unter Kontrolle sind. Die Fentanyl-Injektionslösung ist zugelassen für Patienten ab zwei Jahren zur Narkoseprämedikation in der Anästhesie und zur Schmerzbehandlung in der Intensivmedizin.

Wie wird Fentanyl dosiert?

Die Dosierung wird individuell angepasst und in regelmäßigen Abständen überprüft. In der Langzeitbehandlung soll die niedrigste wirksame Dosis eingesetzt werden, diese aber kontinuierlich und nach festem Zeitschema. Bei der Ersteinstellung ist zu beachten, ob der Patient mit Opioiden vorbehandelt ist oder nicht. Zur Dosistitration gibt es umfangreiche Tabellen in den Fachinformationen. TTS mit unterschiedlicher Wirkstoffbeladung setzen konstant zum Beispiel circa 12, 25, 50, 75 und 100 µg pro Stunde in den Blutkreislauf frei. Die Pflaster werden alle 72 Stunden gewechselt und sicher entsorgt, da sie dann noch beträchtliche Wirkstoffmengen enthalten.

Zur Behandlung von Durchbruchschmerzen werden ausschließlich kurz wirksame Arzneiformen eingesetzt. Auch hier gilt es, die Dosis zu finden, die die Schmerzspitzen ausreichend kupiert. Zum Beispiel wird eine Anfangsdosis von 100 oder 200 µg oral nach Bedarf schrittweise hochtitriert. Die »erfolgreiche Dosis« kann bis zu 800 µg betragen. Beim Nasenspray wird ausgehend von einer Anfangsdosis von 50 µg, appliziert in ein Nasenloch, nach Bedarf schrittweise auftitriert bis 200 µg. Treten Schmerzspitzen mehrmals täglich auf, muss gegebenenfalls die Basisanalgesie überprüft werden.

Auch die Injektionslösung wird individuell dosiert nach Alter, Körpergewicht, körperlichem Zustand, Erkrankungen, Begleitmedikation sowie Art des Eingriffs und Anästhesieverfahrens.

Wie wirkt Fentanyl?

Fentanyl interagiert als reiner Agonist vorwiegend mit µ-Opioidrezeptoren bei niedriger Affinität zu δ- und κ-Opioidrezeptoren. Die wichtigsten therapeutischen Effekte sind Analgesie und Sedierung. 100 µg Fentanyl gelten als äquianalgetisch zu etwa 10 mg Morphin. Da Fentanyl die Blut-Hirn-Schranke leicht überwinden kann, wirkt es euphorisierend und hat ein hohes Suchtpotenzial.

Welche Nebenwirkungen sind möglich?

Sekundäre pharmakologische Effekte von Fentanyl sind Atemdepression, Bradykardie, Hypothermie, Obstipation, Miosis, physische Abhängigkeit und Euphorie. Damit sind wichtige Nebenwirkungen benannt.

Wie bei allen starken Opioiden kann es zu Benommenheit, Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Obstipation, Mundtrockenheit, Juckreiz und vermehrtem Schwitzen kommen. Nebenwirkungen setzen vor allem zu Therapiebeginn ein und lassen dann teilweise nach. Metoclopramid kann die zu Beginn oft auftretende Übelkeit reduzieren. Zu den persistierenden Nebenwirkungen zählen Obstipation, Fatigue und Hyperhidrose. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin hat ein Zehn-Thesen-Papier zum Management der opioidinduzierten Obstipation veröffentlicht.

Wann ist Fentanyl kontraindiziert?

Bei Patienten mit schwerer Atemdepression oder schwerer obstruktiver Lungenerkrankung darf Fentanyl nicht angewendet werden. Die gleichzeitige Anwendung von Natriumoxybat ist kontraindiziert. Schnell freisetzende Präparate dürfen nur bei Patienten mit einer Opioidbasisanalgesie und nur bei Durchbruchschmerzen verwendet werden.

Welche Wechselwirkungen sind zu beachten?

Bei Kombination mit ZNS-depressiven Stoffen wie Barbituraten, Benzodiazepinen, anderen Opioiden, Antipsychotika, Muskelrelaxanzien, Gabapentinoiden sowie unspezifischen, zentral dämpfenden Substanzen wie Alkohol können Atemdepression, Hypotonie, tiefe Sedierung bis hin zu Koma und Tod auftreten. Die gleichzeitige Verabreichung von serotonerg wirksamen Arzneistoffen, zum Beispiel selektiven Serotonin-(Noradrenalin-)Wiederaufnahme- oder Monoaminoxidase-Hemmern, kann ein möglicherweise lebensbedrohliches Serotonin-Syndrom auslösen.

Da Fentanyl hauptsächlich über das Cytochrom P450-Isoenzym 3A4 metabolisiert wird, sind pharmakokinetische Wechselwirkungen mit CYP3A4-beeinflussenden Arzneistoffen möglich.

Eignet sich Fentanyl für Schwangere und Stillende?

Laut dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Berliner Charité (Embryotox) darf Fentanyl in allen Phasen der Schwangerschaft angewendet werden. Es wird häufig epidural und intravenös in der Geburtshilfe gegeben; je nach der Zeitdauer bis zur Entbindung muss dann beim Neugeborenen mit einer Atemdepression gerechnet werden. In der Stillzeit gehört es zu den Opioidanalgetika der Wahl, sollte aber möglichst kurzzeitig angewendet werden.

Ist Fentanyl für ältere Menschen geeignet?

Im Medikamentenklassifizierungssystem FORTA (Fit for The Aged) ist Fentanyl bei vorsichtiger Eintitrierung in die Kategorie B (vorteilhaft) eingestuft. Bei einer Neuverordnung sollten Apotheker Senioren auf eine eventuell eingeschränkte Reaktionsfähigkeit, Schwindel, Benommenheit und erhöhte Sturzgefahr hinweisen.

Sicherheitshinweise

Da gebrauchte Fentanylpflaster noch viel Wirkstoff enthalten, kann eine versehentliche Exposition oder das Verschlucken potenziell lebensbedrohlich sein. Gebrauchte Pflaster sind zusammenzufalten, sodass die Klebeflächen aufeinander haften, und danach sicher zu entsorgen – um Unfälle, aber auch Missbrauch zu verhindern.

Bei wiederholter Anwendung von Opioiden können sich eine Toleranz (gegenüber der Analgesie), aber auch eine Hyperalgesie sowie physische und psychische Abhängigkeit entwickeln. Plötzliches Absetzen kann bei Patienten, die körperlich von Opioiden abhängig sind, zu schweren Entzugserscheinungen und unkontrollierten Schmerzen führen. Eine Opioidtherapie wird daher in aller Regel schleichend abgesetzt.

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