Selbstzahler-Termine in der Kritik |
Melanie Höhn |
05.08.2025 15:00 Uhr |
Die Grünen-Fraktion kritisiert, dass Betroffene durch ihre Krankheitslast unter Zugzwang stehen, Privatzahlungen für einen früheren Arzttermin in Kauf zu nehmen. / © Jakob Studnar – www.fotostudnar.de
In einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung hat die Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag massive Kritik an der Behandlungsterminvergabe für gesetzlich Versicherte auf Selbstzahlungsbasis und die Hindernisse bei der Terminvergabe auf Online-Portalen geübt. Presseberichte in unterschiedlichen Medien würden nahelegen, dass manche Vertragsärztinnen und -ärzte gesetzlich Versicherten »erst dann zügig einen Arzttermin ermöglichen, wenn diese die Kosten hierfür auf Selbstzahlungsbasis selbst übernehmen«.
Ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf (Aktenzeichen 34 O 10722) besage jedoch, dass dieses Verhalten gegen die ärztliche Berufsordnung verstoße, erklären die Antragsteller Janosch Dahmen, Kirsten Kappert-Gonther, Johannes Wagner, Simone Fischer, Professor Armin Grau und Linda Heitmann in ihrer Anfrage. Abgesehen von der berufsrechtlichen Frage könne dieses Verhalten »auch das Vertrauen in die Handlungs- und Funktionsfähigkeit staatlicher Daseinsvorsorge und speziell der gesetzlichen Krankenversicherung und dem damit verbundenen Leistungskatalog untergraben – zumal in einer Zeit stark steigender Beiträge«. Zudem würden lange Wartezeiten für hausärztliche, fachärztliche und auch psychotherapeutische Termine Menschen mit akutem Behandlungsbedarf unter Druck setzen. »Durch die erlebte Krankheitslast fühlen sich die Betroffenen unter Zugzwang, Privatzahlungen für einen früheren Termin in Kauf zu nehmen«, heißt es weiter. Es sei kein gerechter Zugang zur Gesundheitsversorgung, wenn Personen ohne diese finanzielle Leistung sich mit verlängerten Wartezeiten abfinden müssten.
»Derzeit liegen der Bundesregierung keine validen Erkenntnisse vor, die ein flächendeckendes Fehlverhalten von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten aufzeigen«, heißt es in der Antwort des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Die Regierung werde daher mit der KBV und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung sowie den für die KVen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder in den Austausch gehen. »Auf Grundlage der Ergebnisse aus den Überprüfungen können dann erforderlichenfalls gesetzgeberische Maßnahmen eingeleitet werden«, heißt es weiter.
»Grundsätzlich ist es Ärztinnen und Ärzten nach § 32 Absatz 1 Satz 1 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä), an der sich die Ärztekammern der Länder bei der Ausgestaltung ihrer jeweiligen Berufsordnungen in der Regel orientieren, nicht gestattet, von Patientinnen und Patienten oder Anderen Vorteile für sich oder Dritte zu fordern oder sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird«, erklärte das BMG.
Die Beeinflussung von Versicherten mit dem Ziel, diese zum Verzicht auf die ihnen zustehende Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Leistung zu bewegen, stelle einen Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten dar, heißt es weiter. Vor diesem Hintergrund liege auch dann eine unzulässige Beeinflussung vor, wenn die Vergabe eines zeitnahen Termins von der Inanspruchnahme einer sogenannten Wahlleistungssprechstunde, deren Kosten die Patientin oder der Patient selbst trage, abhängig gemacht werde.
Laut BMG kann die bevorzugte Vergabe früherer Selbstzahlertermine an gesetzlich Versicherte einen Verstoß gegen § 32 MBO-Ä darstellen. Die Überwachung der Einhaltung der berufsrechtlichen und berufsethischen Pflichten von Ärztinnen und Ärzten obliege den Ländern beziehungsweise der jeweiligen Ärztekammer. »Bei Verstößen gegen berufsrechtliche oder berufsethische Pflichten sehen die Heilberufekammergesetze der Länder in der Regel vor, dass die jeweilige Kammer ein förmliches berufsrechtliches Verfahren einleiten und den Verstoß durch Rüge oder berufsgerichtliche Maßnahme ahnden kann«, so das Ministerium. Die Ärztekammern unterlägen in der Regel der Rechtsaufsicht der Länder. Patientinnen und Patienten hätten daher die Möglichkeit, sich an die jeweils zuständige Ärztekammer oder auch an die zuständige Aufsichtsbehörde zu wenden.
Und weiter heißt es: »Soweit das Verhalten einer einzelnen Vertragsärztin oder eines einzelnen Vertragsarztes Grund zur Beanstandung gibt, kann dies bei Verstößen gegen das Vertragsarztrecht ebenfalls von der zuständigen KV überprüft werden. Diese haben die Aufgabe, Vorwürfen gegenüber ihren Mitgliedern nachzugehen und Einzelfälle zu prüfen. Sie können bei einem festgestellten Fehlverhalten Disziplinarmaßnahmen verhängen.« In gravierenden Fällen komme sogar die Entziehung der Zulassung durch den Zulassungsausschuss in Betracht. Die KVen als Körperschaften des öffentlichen Rechts unterstehen der Aufsicht der jeweils obersten Landesbehörde: »Sollte diese ihren oben beschriebenen gesetzlichen Aufgaben nicht sachgerecht nachkommen, können sich Betroffene daher auch direkt an das zuständige Landesministerium wenden«, so das BMG.
In Hinblick auf die Terminvermittlung durch private Anbieter beobachtet die Bundesregierung die aktuellen Entwicklungen aufmerksam und führe Gespräche mit relevanten Akteurinnen und Akteuren, zuletzt im Juni 2025 mit einem gemeinnützigen Bundesverband. In dem Zusammenhang sei die Bundesregierung auch darüber informiert worden, dass auf privaten Terminbuchungsplattformen gesetzlich versicherten Personen im Buchungsvorgang teilweise Termine für selbstzahlende oder für privat versicherte Personen angeboten werden, obwohl diese Option im Vorfeld mittels einer Filtermaske ausgeschlossen worden sei.
»Die in diesem Zusammenhang gestellte Frage der Auslegung zu § 18 Absatz 8 Satz 3 Nummer 2 BMV-Ä im Einzelfall ist nicht Aufgabe der Bundesregierung«, heißt es weiter. »Bei der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Reform der ambulanten Versorgung wird die Regulierung von Terminvermittlungsplattformen angesichts der Gewährleistung einer qualifizierten und bedarfsgerechten Patientensteuerung geprüft werden.«