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Keine Angst vor Ritalin

»Seelenkratzer beim Kind vermeiden«

Psychologisches Feingefühl brauchen Apotheker bei der Beratung von Familien mit ADHS-Patienten. »Die Eltern haben häufig Schuldgefühle, wenn das Kind ständig Probleme macht, schlechte Noten mit nach Hause bringt und sozial aneckt«, berichtete Referentin Margit Schlenk beim Fortbildungstag für Apotheker der Kammer Schleswig-Holstein in Bad Segeberg.
Daniela Hüttemann
21.11.2018  15:20 Uhr

»Dabei ist das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom bis zu 80 Prozent genetisch bedingt – da kann keiner etwas dafür und die Eltern sind oft selbst betroffen«, erklärte Schlenk, der zwei Apotheken in Nürnberg und Neumarkt gehören. »Statt Verurteilung brauchen sie jede Unterstützung, die sie bekommen können. Und das Kind braucht die dreifache Dosis Vitamin Z: Zeit, Zärtlichkeit und Zuwendung«, zählte die Referentin auf.

Krankheitsbedingt herrscht im Nervensystem der Betroffenen ein Dopamin-Defizit, das es aufzufüllen gilt. »Einem Kind mit Typ-1-Diabetes hilft es ja auch nicht zu sagen: Reiß dich zusammen und produzier mal mehr Insulin«, zog Schlenk den Vergleich. Neben verhaltenstherapeutischen und psychoedukativen Maßnahmen sollen nach der aktualisierten Leitlinie bei mittelschwerer Symptomatik schon zu Therapiebeginn auch Medikamente zum Einsatz kommen.

Dem Kind helfen, sein Potenzial zu entfalten

Mittel der Wahl für Kinder sind dabei Stimulanzien, insbesondere Methylphenidat. »Es hat einige pharmakokinetische Vorteile«, erklärte die Referentin: Im Gegensatz zu Atomoxetin tritt die Wirkung schneller ein und klingt auch schneller wieder ab. Dadurch sind Therapiepausen möglich, um zu sehen, ob die Therapie anschlägt (kein nächtliches Einnässen mehr, besseres Schriftbild) oder ob überhaupt noch Bedarf besteht. Da es unter der Behandlung jedoch zu Wachstumsverzögerungen kommen kann, sind Auslassversuche während der Schulferien unter ärztlicher Aufsicht anzuraten.

»Viele Eltern haben Angst vor Nebenwirkungen oder Schuldgefühle, weil sie ihr Kind angeblich unter Drogen setzen«, berichtete Schlenk. »Erklären Sie ihnen, dass es sich um ein notwendiges Medikament handelt, das dem Kind hilft, sein Potenzial voll zu entfalten – insbesondere, wenn die multimodale Therapie frühzeitig begonnen wird!« Studien zeigen, dass medikamentös gut eingestellte Kinder mit ADHS ein geringeres Risiko für eine Suchterkrankung und risikobehaftetes Verhalten haben. Unbehandelt holen sie sich dagegen ihren Dopamin-Kick woanders: anfangs vielleicht durch Nägelkauen oder Süßigkeiten, später über Risikosportarten oder echte Suchtstoffe. »Klären Sie die Eltern auf und helfen Sie, Seelenkratzer beim Kind zu vermeiden«, forderte Schlenk die Teilnehmer auf.

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