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Schilddrüsenhormone

Schwere Schäden durch lokalen Mangel

Ein Schilddrüsenhormon-Mangel wird in der Regel durch eine Blutanalyse ermittelt. Doch was ist, wenn die Hormone zwar im Blut nachweisbar sind, aber nicht in den Zielgeweben ankommen? Fragen dieser Art sollen in einem neuen Sonderforschungsbereich bearbeitet werden.
Brigitte M. Gensthaler
03.07.2020  12:00 Uhr

Die Konzentration von Schilddrüsenhormonen im Blutserum ist nur eine Seite endokriner Mechanismen. »Was wir im Blut finden, entspricht nicht immer der Konzentration und den Effekten in den Endorganen«, berichtete Professor Dr. Dagmar Führer-Sakel, Sprecherin der Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Ende Juni bei einer Online-Pressekonferenz der DGE und der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). In den Fokus rücke die Hormonwirkung in Organen und Zielzellen. Im neuen Sonderforschungsbereich »Local Control of Thyroid Hormone Action« (LocoTact) untersucht ein interdisziplinäres Wissenschaftlerteam den Einfluss der lokalen Schilddrüsenhormon-Wirkung auf physiologische und pathophysiologische Prozesse. Dabei stehen Zielorgane wie Herz, Leber und Gehirn im Vordergrund.

Seltene Erkrankungen hätten die Forscher angeregt, nach zellulären Mechanismen der Schilddrüsenhormon-Wirkung zu suchen, berichtete Führer-Sakel vom Universitätsklinikum Essen. Ein Beispiel ist die seltene, X-chromosomal vererbte Erkrankung Allan-Herndon-Dudley-Syndrom (AHDS). Die Betroffenen leiden an schwersten geistigen Entwicklungsverzögerungen und Störungen der Motorik und des Muskelaufbaus. Als Ursache wurden Mutationen in einem Gen identifiziert, das für den Monocarboxylat-Transporter 8 (MCT8) kodiert. Dieser ist ein spezifischer Transporter für das Hormon Triiodthyronin (T3). »Bei AHDS fehlt im Gehirn das aktive Hormon T3«, erklärte die Endokrinologin. Dieses werde zwar ausreichend gebildet und sei auch im Blut nachweisbar. Doch aufgrund der Genmutation sei der Transportweg über die Blut-Hirn-Schranke in das Zentralnervensystem beeinträchtigt. Andere Organe wie die Leber seien dagegen überversorgt.

Es gebe auch seltene Erkrankungen, bei denen manche Organe wie Gehirn oder Herz resistent gegen Schilddrüsenhormone werden. Trotz normaler Blutkonzentration trete in diesen Geweben keine Hormonwirkung ein. Aber auch bei sehr verbreiteten Erkrankungen wie Fettleber, Schlaganfall oder Herzinfarkt spielten Schilddrüsenhormone eine Rolle, so Führer-Sakel.

Am Sonderforschungsbereich LocoTact arbeiten Kliniker und Grundlagenwissenschaftler der Universitäten Duisburg-Essen, Lübeck und Leipzig, der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie Forscher von Helmholtz- und Leibnitz-Instituten mit. Das Projekt läuft insgesamt über zwölf Jahre. »Dann wollen wir soweit sein, dass wir den Betroffenen, zum Beispiel AHDS-Patienten, eine Perspektive geben können«, fasste die Ärztin zusammen. 

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