Schutzschild in der Nase |
Die Erkenntnisse zum Schleimhaut-assoziierten Immunsystem führten schon bald zur Idee, Impfstoffe oral oder per Nasenspray zu verabreichen. Während eine intramuskuläre Impfung zur Immunität in Blut und Gewebe führt, kann mit der Applikation über die Schleimhäute an den Grenzschichten selbst ein Schutz erreicht werden (1, 16).
Trotz einiger Vorteile einer spritzenfreien Impfung, zum Beispiel bessere Transportfähigkeit und höhere Akzeptanz in der Bevölkerung, sind noch etliche Herausforderungen zu bewältigen. So gilt es zum einen, ein ausreichend stabiles immunologisches Gedächtnis für das Impfantigen zu erreichen; zum anderen sind Sicherheitsfragen zu bedenken, wie die Ausscheidung von Impfviren über den Darm, der problematische Einsatz von Lebendimpfstoffen bei Immunsupprimierten und die Nähe von Gehirn und Applikationsort bei nasalen Impfstoffen. So enthält die Nasenschleimhaut neben respiratorischen Epithelzellen auch olfaktorische Zellen; dies sind Neurone mit olfaktorischen Rezeptoren, deren Information direkt ins Cerebrum des Gehirns geleitet wird. Die Nähe und Verbindung von Gehirn und Nasenschleimhaut über den Riechnerv birgt die Gefahr, dass virales Impfantigen ins Gehirn gelangt (1, 16).
Weltweit sind bereits Impfstoffe zur oralen oder nasalen Applikation zugelassen, in Deutschland zum Beispiel gegen Influenzaviren, Rotaviren oder Salmonella typhimurium. / Foto: Adobe Stock/Kirill Gorlov
Weltweit wurde bereits eine Reihe von Impfstoffen zur oralen oder nasalen Applikation zugelassen, in Deutschland zum Beispiel gegen Influenza (nasaler Lebendimpfstoff), Vibrio cholerae (oral, inaktiviert/Choleratoxin), Rotavirus (oral, Lebendimpfstoff) und Salmonella typhimurium (oral, Tot-/Lebendimpfstoff) (17).
Der weltweit erste orale Impfstoff, die Sabin-Tschumakow-Schluckimpfung gegen Poliomyelitis, wurde in den 1960er-Jahren eingeführt. Problematisch war die Ansteckungsgefahr aufgrund der Ausscheidung der Lebendimpfviren über einige Wochen nach der Impfung. Daher wird in Deutschland seit 1998 nur noch ein intramuskulär applizierter Totimpfstoff (inaktivierter Impfstoff) gegen Polio verabreicht (18).
Für Kinder unter sechs Monaten wird in Deutschland seit 2013 der orale Rotavirus-Impfstoff Rotarix® empfohlen, ebenfalls eine Schluckimpfung mit attenuiertem Lebendvirus. Rotaviren sind die häufigste Ursache viraler Darminfektionen bei Kindern. In den westlichen Industrieländern treten diese insbesondere bei Kindern zwischen sechs Monaten und zwei Jahren auf, solange das Immunsystem noch in Entwicklung ist. Erwachsene mit intaktem Immunsystem sind weniger gefährdet, sodass die Ausscheidung von Impfviren hier weniger gefährlich ist (18).
Ein quadrivalenter Influenza-Lebendimpfstoff steht in Deutschland für 2- bis 17-Jährige als nasaler Impfstoff in Form eines Nasensprays zur Verfügung; er kann alternativ zum gängigen injizierten Totimpfstoff eingesetzt werden. Der breiten Anwendung steht allerdings die Kontraindikation von Lebendimpfstoffen bei Immungeschwächten entgegen (18).
Auch mukosale SARS-CoV-2-Impfstoffe sind in Entwicklung, müssen sich aber noch in der Praxis beweisen (19). Laut einer Studie führte eine sogenannte Hybridimmunisierung, das heißt eine Kombination aus Infektion plus Impfung, zumindest im untersuchten Setting zu einer verbesserten humoralen und mukosalen Immunität (20).
Neben Präventionsimpfstoffen gegen Infektionskrankheiten wird auch im Bereich des therapeutischen Impfens zunehmend an mukosalen Systemen geforscht. Ziel ist es, das Immunsystem gegen einen bestehenden Tumor zu aktivieren. Auch hier ist noch eine ganze Reihe von Herausforderungen zu bewältigen (21).
Eva Gottfried ist Diplom-Biologin und Übersetzerin. Sie studierte an der Universität Heidelberg und schloss 1994 ihre Diplomarbeit am DKFZ Heidelberg ab. Ihre Promotionsarbeit fertigte sie am Institut für Immunologie der LMU München an. Dr. Gottfried arbeitete viele Jahre als wissenschaftliche Assistentin am Uniklinikum Regensburg im Bereich Hämatologie/Onkologie und habilitierte sich dort in Experimenteller Medizin mit einer Arbeit zur Modulation der Immunantwort im Tumormilieu. Seit 2014 arbeitet sie als Selbstständige in der Wissenschaftskommunikation und im Medical Writing.