Schutzschild in der Nase |
Zum »Wunderwerk Nase« gehört ein lokales Immunsystem, das nasal assoziierte lymphatische Gewebe. / Foto: Adobe Stock/Amir Kaljikovic
Die inneren Hohlorgane wie Nase, Mund oder Darm sind durch Schleimhäute (Mukosa) ausgekleidet, die nicht nur an Stoffaufnahme und Exkretion beteiligt sind, sondern auch ständig zwischen Nährstoffen und Schadstoffen, körpereigenem Mikrobiom und Krankheitserregern unterscheiden müssen. Damit bilden sie ein erstes Bollwerk gegen Erreger verschiedenster Art und verhindern, dass diese in den Körper eindringen. Das Besondere ist, dass Schleimhäute als mechanische Barriere wirken und zugleich Teil eines Immunorgans sind.
Die Mukosa besteht aus unverhorntem ein- oder mehrschichtigen Epithel, das von einer Schicht aus viskosem Schleim (Mucus) überzogen ist. Dieser wird von Becherzellen in der Epithelschicht freigesetzt und arbeitet eng mit den darunterliegenden Strukturen des Mukosa-assoziierten lymphatischen Gewebes (MALT) zusammen. Das MALT-System ergänzt die systemische Immunabwehr, die wiederum primäre Immunorgane (Knochenmark, Thymus) zur Induktion und Prägung von Immunzellen sowie sekundäre Immunorgane (Lymphknoten, Milz) zur Bildung von IgG- und IgM-Antikörpern und spezifischen Lymphozyten umfasst. Während die Effektoren des systemischen Immunsystems in Blut und Gewebe verteilt werden, sind die Effektoren des MALT-Systems wie sIgA-Antikörper (sekretorische Immunglobulin-A-Antikörper) und angeborene lymphoide Zellen (ILC) direkt vor Ort an den Grenzflächen des Körpers aktiv.
Unterstützt werden sie durch Lysozym und antimikrobielle Peptide (AMP), die unter anderem von den Epithelzellen der Schleimhaut produziert werden. Lysozym gehört zu einer Gruppe von Hydrolasen und greift die Zellwand von grampositiven Bakterien an. Zu den antimikrobiellen Peptiden (AMP) zählen verschiedene ß-Defensine und Cathelicidine, die aus kurzen Aminosäureketten bestehen. Sie wirken zum einen direkt antimikrobiell, zum anderen beeinflussen sie die Zytokinproduktion im Gewebe und wirken damit immunmodulatorisch. Welche Rolle sie im Rahmen der Rhinitis spielen, wird derzeit noch untersucht (1).
Je nach Körperregion ist das Mukosa-assoziierte lymphatische Gewebe unterschiedlich ausgeprägt und wird entsprechend benannt. Am besten untersucht ist das mit dem Gastrointestinaltrakt assoziierte GALT (gut-associated lymphoid tissue), das Ansammlungen von Lymphfollikeln in Form von Peyer’s Plaques im Dünndarm, den Appendix vermiformis (Wurmfortsatz) und zahlreiche isolierte lymphatische Follikel im gesamten Darm umfasst.
Das vaginal assoziierte lymphatische Gewebe (VALT) liegt im Urogenitaltrakt. Das Bronchien-assoziierte lymphatische Gewebe (BALT) ist in den oberen Atemwegen und den Bronchien lokalisiert, während das NALT-System mit Lymphgewebe in Mund, Nasenhöhle und Pharynx einschließlich der Tonsillen für die Immunabwehr im Nasen-Rachen-Raum bereitsteht (1,5). Dieses System trägt unter anderem zur Kontrolle von Atemwegsinfekten bei.
Auch wenn die Prinzipien der Immunantwort der MALT-Systeme ähnlich dem systemischen Immunsystem sind, zeigen sie doch einige Besonderheiten (Tabelle). Zum einen ist das enge Zusammenspiel von Epithelschicht und Immunzellen in der darunterliegenden Bindegewebsschicht (Lamina propria) für die Erregerabwehr an der Körperoberfläche wichtig. Außerdem scheint das ansässige Mikrobiom eine wichtige Rolle für die Toleranzentwicklung zu spielen, wo zwischen schädlichen und unschädlichen Stoffen unterschieden werden muss.
| Parameter | Charakterisierung |
|---|---|
| Aufbau | enge Verzahnung von Schleimhautepithel und lymphatischem Gewebe mit Transportsystemen für Antikörper und Antigen |
| spezialisierte Zellen im Epithel | Becherzellen (Gobletzellen) zur SchleimproduktionM-Zellen zur Antigenaufnahme über EpithelZellen zur Sekretion von Lysozym, Peptidasen, Laktoferrin und DefensinenFlimmerhärchenbesatz |
| lokale Immunantwort | sIgA im Schleimangeborene lymphoide Zellen (ILC) in Lamina propria |
| ständige Aktivität | Vorliegen von Effektoren wie sIgA auch ohne akute Infektion |
| Toleranzbildung | Toleranzbildung gegen Nahrungsantigene und Mikrobiom durch aktives Abschalten der Immunantwort |
Kennzeichnend für das MALT sind auch Lymphfollikel. Diese eiförmigen Strukturen aus lymphatischem Gewebe liegen – anders als die Lymphknoten des systemischen Immunapparats – ohne umgebende Kapsel frei in der Lamina propria und enthalten IgA-Antikörper-produzierende Plasmazellen (1, 5).

Foto: Adobe Stock/Markus Wegmann
Erwachsene erleiden im Durchschnitt jährlich zwei bis vier, Kinder sechs bis acht Atemwegsinfekte, meist in Form einer akuten viralen Rhinitis. Dass es nicht wesentlich häufiger dazu kommt, liegt an der Aktivität des NALT-Systems (nasal assoziiertes lymphatisches Gewebe), das viele Erreger schon an der Eintrittspforte abwehrt.
Die infektiöse Entzündung der Nasenschleimhaut (Rhinitis) wird meist durch Tröpfcheninfektion mit Rhinoviren, Respiratorischem Synzytial-Virus, Parainfluenza-, Corona- oder humanem Bocavirus verursacht. Bei etwa 2 Prozent der Patienten kommt es zusätzlich zur akuten bakteriellen Besiedelung. Bei dieser Rhinosinusitis sind die Nasen- und Nasennebenhöhlen betroffen; neben verstopfter Nase, vermehrtem Nasensekret und Riechstörungen können auch Fieber und Kopfschmerzen auftreten. Mehr als drei Viertel aller Erkrankungen bessern sich innerhalb von zwei Wochen auch ohne Therapie. Erst bei einer Dauer von mehr als zwölf Wochen wird von einer chronischen Form gesprochen (2).
Für die Anamnese wichtig ist auch die Abgrenzung der viralen/bakteriellen Entzündung von der allergischen Rhinitis, an der jeder Zweite bis Dritte in Europa leidet (2, 3).
Eine akute Rhinosinusitis wird recht unterschiedlich behandelt. Der Nutzen von Antibiotika und sogenannten Erkältungsmitteln ist umstritten, die Evidenz unterschiedlich gut beschrieben (3). Es wurde gezeigt, dass bei Kindern Ibuprofen stärker antipyretisch wirkt als Paracetamol. Außerdem gibt es Hinweise auf eine therapeutische Wirksamkeit von Zink, Probiotika mit milchsäurebildenden Bakterien sowie Honig.
Allemal wichtig ist es, die Nasenschleimhaut vor Rauch und Giftstoffen zu schützen und nicht austrocknen zu lassen. Eine Rhinitis sicca (trockene Nase) entwickelt sich besonders leicht bei trockener kalter Luft und bei Übergebrauch von Nasentropfen oder -sprays mit Vasokonstringenzien. Das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten ist groß, die Bandbreite der Evidenz ebenso (3, 4).
Die Entwicklung und der IgA-Klassenwechsel der Plasmazellen der Lymphfollikel des NALT-Systems erfolgen bereits bei der Bildung des Immunsystems im Kind bis etwa vier Jahren. Danach bedürfen die lokal in den Schleimhäuten liegenden Plasmazellen keiner speziellen Aktivierung mehr; sie bilden kontinuierlich IgA-Antikörper, die sie in den Schleim abgeben (1, 6).
IgA-Antikörper unterscheiden sich auch mit Blick auf ihre Funktion von anderen Antikörperklassen. So zeigen systemisch produziertes IgM eine akute Infektion und IgG-Antikörper eine durchgemachte Infektion an. Auch viele Allergien hängen primär nicht mit IgA-Antikörpern zusammen; hier spielen IgE-Antikörper bei Kontakt mit Allergenen wie Pollen und Hausstaubmilben eine treibende Rolle. Ein möglicher Zusammenhang von IgA-Antikörpern mit einer Gluten-Unverträglichkeit (Zöliakie) wird diskutiert, ist aber noch nicht geklärt (1, 6).
Weil die unter dem Epithel gebildeten dimeren IgA-Antikörper nicht einfach zwischen den dicht mit Tight Junctions verbundenen Epithelzellen hindurchschlüpfen können, werden sie mit einem Transportprotein verbunden (Poly-Ig-Rezeptor), das den Weg durch die Epithelzellen (Transzytose) in Richtung Schleim ermöglicht. Auf der Außenseite der Epithelschicht angelangt, wird das Transportprotein wieder abgespalten. Ein kleines verbleibendes Fragment wird als sekretorische Komponente bezeichnet und gibt den sekretorischen IgA-Antikörpern (sIgA) ihren Namen. Mithilfe dieses Kohlenhydratrests haften die Antikörper im Schleim auf der Epitheloberfläche fest und warten darauf, Erreger zu binden. Schlussendlich werden sie gemeinsam mit diesen mit dem Schleim ausgeschieden und verhindern so, dass diese überhaupt in den Körper eindringen können (Grafik) (7).
Funktionsweise des mukosalen Immunsystems: links die Produktion, Transzytose und Freisetzung von sekretorischem ImmunglobulinA (sIgA), das an Erreger bindet und mit diesen ausgeschieden wird; rechts die Antigen-Aufnahme über M-Zellen; adaptiert nach Murphy, K., DOI: 10.1007/978-3-662-56004-4_12 / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Eines der Charakteristika der Schleimhaut ist der Mucus. Dieser wird von einzelligen Drüsenzellen, sogenannten Becher- oder Gobletzellen, sezerniert, die zwischen den einfachen Epithelzellen der Schleimhaut (Tunica mucosa) eingestreut liegen. Mucus besteht aus einem Netzwerk von Glykoproteinen (Mucine), deren 20 verschiedene Formen zum Teil in der Becherzellmembran verankert sind und zum Teil sezerniert werden. Ihre langen Polysaccharidketten (Glykane) sind für die Wasserbindungskapazität verantwortlich und bestimmen so die Viskosität des Schleims (Grafik, links).
Schleimhäute weisen eine typische Besiedelung mit Mikroorganismen, das sogenannte Mikrobiom, auf. Dieses variiert bei Entzündungen.
Normaler Nasenschleim ist zähflüssig und klar, sehr dünnflüssiger Schleim tritt bei allergischer Rhinitis auf. Dicklicher gelblicher Schleim bildet sich bei einer bakteriellen Infektion. Mucolytica wie Thiol-basiertes N-Acetylcystein oder Brom-basiertes Ambroxol wirken auf die Struktur des Schleims. Sie reduzieren Disulfidbrücken zwischen den Mucinen, was die Viskosität des Schleims reduziert und dessen Elastizität verbessert. Darüber hinaus wird den Arzneistoffen eine antioxidative Wirkung zugeschrieben, die auf die Beeinflussung des zellulären Glutathionspiegels (GSH) zurückgeführt wird (8, 9).
Neben Bakterien und Viren kann der Schleim auch pathogene Pilze unschädlich machen. So wird Candida albicans in den Schleimhäuten in Schach gehalten, indem die Filamentierung, das heißt die Transformation der Pilzzellen in Hyphen, durch Mucin-O-Glykane wie Core 1, Core 1+fucose, Core 2+Galactose unterdrückt wird. Nur wenn die Schleimstruktur defekt ist, können Pilze in ihre infektiöse Filamentform wechseln, was Mundsoor, vaginale Hefepilzinfektionen und lebensbedrohliche systemische Infektionen zur Folge haben kann. Ob und wie sich die Erkenntnisse zu Mucinen therapeutisch nutzen lassen, bleibt zu untersuchen (10).
Doch auch die Erreger selbst beeinflussen den Schleim, um in den Körper einzudringen. So konnten Forscher nachweisen, dass das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) sowohl die Bildung von schleimbildenden Becherzellen als auch die Expression von Mucinen und damit die Mucus-Produktion beeinflusst (11).

Foto: Adobe Stock/Dr_Microbe
Eine chronische Schleimhautentzündung betrifft nicht nur den Magen-Darm-Trakt, sondern kann auch bei Rhinosinusitis zum Problem werden. Für beide Lokalisationen gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang mit dem Mikrobiom. So ergaben Untersuchungen im Atemtrakt Unterschiede im Mikrobiom von Gesunden und Patienten mit nasopharyngealen, tracheobronchialen und pulmonalen Erkrankungen. Gesunde hatten eine hohe Vielfalt an Bakterienkolonien, die jeweils in geringer Dichte auftraten. Bei Infektionen, Asthma, chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) oder Mukoviszidose nahm die Vielfalt ab und Kolonien einzelner Arten überwogen (12).
Dabei wurde in den oberen Atemwegen bei Gesunden häufig Lactobacillus nachgewiesen, insbesondere der an die Umgebung der oberen Atemwege gut adaptierte Typ Lactobacillus casei AMBR2. Bei Patienten mit chronischer Rhinosinusitis fanden die Forscher dagegen verschiedene Lactobacillus-Stämme (Lactobacillus genus complex, LGC) jeweils nur in geringeren Mengen (13). Darüber hinaus konnten sie zeigen, dass die Zytokinantwort des Immunsystems bei Infektion mit gängigen Atemwegserregern wie Staphylococcus aureus, Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis besser war, wenn das Mikrobiom auch Lactobacillus casei AMNR8 enthielt.
Folglich wird diskutiert, ob der Einsatz von Lactobazillen in»probiotischen Nasensprays« das Überwachsen der Nasenschleimhaut mit pathogenen Erregern eindämmen könnte (13).
Lassen sich Erreger mit dem Schleim nicht abwehren und dringen zur Epithelschicht vor, muss das systemische Immunsystem angestoßen werden. Hierfür wird das Antigen des Erregers unter die Epithelzellen transportiert, wo es von dendritischen Zellen aufgenommen und zur Stimulation von T-Zellen in die Lymphknoten transportiert wird (1).
Dabei zeigt sich wieder, wie wichtig ein intaktes Schleimhautepithel ist. Das Antigen wird von spezialisierten Transportzellen durch das Epithel transportiert. Diese M-Zellen umschlingen das Antigen mit ihren Taschen (Mikrovilli) auf der apikalen Seite und stülpen es auf der Innenseite der Epithelschicht wieder aus. Dort wird es dann von dendritischen (Antigen-präsentierenden) Zellen aufgenommen und in die Lymphknoten getragen, um die systemische Immunantwort anzustoßen (Grafik, rechts) (1).
Nach Aktivierung spezifischer Immunzellen im Lymphknoten wandern diese zurück in die Schleimhaut zur Abwehr von Erregern. Dieser »Homing«-Effekt führt dazu, dass die lokale mukosale Immunantwort durch spezifisch aktivierte Immunzellen unterstützt wird, um die Erreger direkt an der Eintrittspforte unschädlich zu machen (1).
Darüber hinaus wurden im mukosalen lymphatischen Gewebe sogenannte angeborene lymphoide Zellen (ILC) gefunden. Diese setzen eine ganze Reihe von Zytokinen frei und fördern die Aktivität von Makrophagen und dendritischen Zellen des systemischen Immunsystems. Inwieweit sie während der Entwicklung des Immunsystems geprägt werden und direkt an der Immunabwehr an den Grenzflächen beteiligt sind, wird noch untersucht (14).
Angesichts der Komplexität von Mukosa-assoziiertem und systemischem Immunsystem, die nicht nur im Atemwegssystem, sondern auch im gastrointestinalen und urogenitalen Bereich eng verzahnt arbeiten, stellt sich die Frage, wie die Systeme zwischen gut und schädlich, zwischen Luft, Nahrungsmitteln und Kommensalen versus Krankheitserregern und Schadstoffen unterscheiden können.
Im systemischen Immunsystem basiert die Toleranzentwicklung auf negativer und positiver Selektion bei der Entwicklung von Immunzellen; im gastrointestinalen System (GALT) sind insbesondere Zytokine als Botenstoffe und regulatorische T-Zellen beteiligt. Die Mechanismen der Toleranzentwicklung in anderen mukosalen Systemen wie der Nasenschleimhaut sind bisher nur in Ansätzen verstanden und werden noch intensiv erforscht (15).
Die Erkenntnisse zum Schleimhaut-assoziierten Immunsystem führten schon bald zur Idee, Impfstoffe oral oder per Nasenspray zu verabreichen. Während eine intramuskuläre Impfung zur Immunität in Blut und Gewebe führt, kann mit der Applikation über die Schleimhäute an den Grenzschichten selbst ein Schutz erreicht werden (1, 16).
Trotz einiger Vorteile einer spritzenfreien Impfung, zum Beispiel bessere Transportfähigkeit und höhere Akzeptanz in der Bevölkerung, sind noch etliche Herausforderungen zu bewältigen. So gilt es zum einen, ein ausreichend stabiles immunologisches Gedächtnis für das Impfantigen zu erreichen; zum anderen sind Sicherheitsfragen zu bedenken, wie die Ausscheidung von Impfviren über den Darm, der problematische Einsatz von Lebendimpfstoffen bei Immunsupprimierten und die Nähe von Gehirn und Applikationsort bei nasalen Impfstoffen. So enthält die Nasenschleimhaut neben respiratorischen Epithelzellen auch olfaktorische Zellen; dies sind Neurone mit olfaktorischen Rezeptoren, deren Information direkt ins Cerebrum des Gehirns geleitet wird. Die Nähe und Verbindung von Gehirn und Nasenschleimhaut über den Riechnerv birgt die Gefahr, dass virales Impfantigen ins Gehirn gelangt (1, 16).
Weltweit sind bereits Impfstoffe zur oralen oder nasalen Applikation zugelassen, in Deutschland zum Beispiel gegen Influenzaviren, Rotaviren oder Salmonella typhimurium. / Foto: Adobe Stock/Kirill Gorlov
Weltweit wurde bereits eine Reihe von Impfstoffen zur oralen oder nasalen Applikation zugelassen, in Deutschland zum Beispiel gegen Influenza (nasaler Lebendimpfstoff), Vibrio cholerae (oral, inaktiviert/Choleratoxin), Rotavirus (oral, Lebendimpfstoff) und Salmonella typhimurium (oral, Tot-/Lebendimpfstoff) (17).
Der weltweit erste orale Impfstoff, die Sabin-Tschumakow-Schluckimpfung gegen Poliomyelitis, wurde in den 1960er-Jahren eingeführt. Problematisch war die Ansteckungsgefahr aufgrund der Ausscheidung der Lebendimpfviren über einige Wochen nach der Impfung. Daher wird in Deutschland seit 1998 nur noch ein intramuskulär applizierter Totimpfstoff (inaktivierter Impfstoff) gegen Polio verabreicht (18).
Für Kinder unter sechs Monaten wird in Deutschland seit 2013 der orale Rotavirus-Impfstoff Rotarix® empfohlen, ebenfalls eine Schluckimpfung mit attenuiertem Lebendvirus. Rotaviren sind die häufigste Ursache viraler Darminfektionen bei Kindern. In den westlichen Industrieländern treten diese insbesondere bei Kindern zwischen sechs Monaten und zwei Jahren auf, solange das Immunsystem noch in Entwicklung ist. Erwachsene mit intaktem Immunsystem sind weniger gefährdet, sodass die Ausscheidung von Impfviren hier weniger gefährlich ist (18).
Ein quadrivalenter Influenza-Lebendimpfstoff steht in Deutschland für 2- bis 17-Jährige als nasaler Impfstoff in Form eines Nasensprays zur Verfügung; er kann alternativ zum gängigen injizierten Totimpfstoff eingesetzt werden. Der breiten Anwendung steht allerdings die Kontraindikation von Lebendimpfstoffen bei Immungeschwächten entgegen (18).
Auch mukosale SARS-CoV-2-Impfstoffe sind in Entwicklung, müssen sich aber noch in der Praxis beweisen (19). Laut einer Studie führte eine sogenannte Hybridimmunisierung, das heißt eine Kombination aus Infektion plus Impfung, zumindest im untersuchten Setting zu einer verbesserten humoralen und mukosalen Immunität (20).
Neben Präventionsimpfstoffen gegen Infektionskrankheiten wird auch im Bereich des therapeutischen Impfens zunehmend an mukosalen Systemen geforscht. Ziel ist es, das Immunsystem gegen einen bestehenden Tumor zu aktivieren. Auch hier ist noch eine ganze Reihe von Herausforderungen zu bewältigen (21).
Eva Gottfried ist Diplom-Biologin und Übersetzerin. Sie studierte an der Universität Heidelberg und schloss 1994 ihre Diplomarbeit am DKFZ Heidelberg ab. Ihre Promotionsarbeit fertigte sie am Institut für Immunologie der LMU München an. Dr. Gottfried arbeitete viele Jahre als wissenschaftliche Assistentin am Uniklinikum Regensburg im Bereich Hämatologie/Onkologie und habilitierte sich dort in Experimenteller Medizin mit einer Arbeit zur Modulation der Immunantwort im Tumormilieu. Seit 2014 arbeitet sie als Selbstständige in der Wissenschaftskommunikation und im Medical Writing.