Schmerztherapie mit Hindernissen |
Christina Hohmann-Jeddi |
25.10.2019 08:00 Uhr |
Viele ältere Menschen haben chronische Schmerzen. Da eine komplette Schmerzfreiheit oft nicht erreicht werden kann, geht es darum, die Schmerzen bestmöglich zu reduzieren, um die Lebensqualität zu verbessern. / Foto: Getty Images/SDI Productions
»Chronische Schmerzen im Alter bereiten viele Probleme«, sagte Dr. Anette Vasel-Biergans, Apothekerin am Diakonie-Klinikum Stuttgart, beim Deutschen Schmerzkongress in Mannheim. Die Beschwerden führten unter anderem zu Schlafstörungen, Aufmerksamkeitsproblemen, Bewegungseinschränkungen und in der Folge zu sozialer Isolation und Depression, Multimorbidität und Polypharmazie. Letztlich könnten chronische Schmerzen im Alter das Sturzrisiko erhöhen und damit zum Verlust der Selbstständigkeit führen.
In der Behandlung sei, wie immer in der Schmerztherapie, ein multimodaler Ansatz wichtig, bei dem neben der Medikation auch physikalische und physiotherapeutische Maßnahmen wie Krafttraining sowie Psychotherapie und Entspannungstechniken zum Einsatz kommen. »Auch Analgetika spielen eine wichtige Rolle, sind aber problematisch, weil viele das Sturzrisiko erhöhen«, sagte Vasel-Biergans. Sie gehören somit zu den Sturzrisiko-erhöhenden Substanzen (Fall Risk Increasing Drugs, FRID). Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) können zudem die Niere schädigen. In Kombination mit einem Diuretikum und einem ACE-Hemmer beziehungsweise AT1-Antagonisten erhöhen sie das Risiko für ein akutes Nierenversagen um etwa 30 Prozent, was als »triple whammy« (Dreifachschlag) gegen die Niere bekannt ist.
Das Ziel einer Schmerztherapie sei es, die Lebensqualität der Patienten durch Verbessern der Funktionalität zu fördern, erklärte die Pharmazeutin. »Schmerzfreiheit ist selten zu erreichen.« Die Schmerzen sollten aber bestmöglich reduziert werden, bei möglichst hoher Verträglichkeit der Therapie. Für ältere Patienten sind nicht alle Schmerzmittel geeignet. Eine Bewertung der Arzneimittel in dieser Hinsicht nimmt die FORTA-Liste (Fit for The Aged) vor, die im vergangenen Jahr aktualisiert wurde. In der Liste werden Arzneimittel aufgrund ihrer Eignung für Ältere in die vier Kategorien unterteilt: A (unverzichtbar), B (vorteilhaft), C (fragwürdig) und D (vermeiden).
Medikamente sind nur eine Komponente der Schmerztherapie. Physiotherapie gehört oft auch dazu. / Foto: Getty Images/gilaxia
Ein A in der Therapie von chronischen Schmerzen erhält in der FORTA-Liste nur der Wirkstoff Paracetamol, der allerdings nur eine geringe klinische Wirksamkeit besitzt und hepatotoxisch wirkt, wie es einschränkend heißt. Mit B werden Metamizol und Opioide wie Buprenorphin, Oxycodon und Hydromorphon bei vorsichtiger Eintitrierung bewertet. Die festen Kombinationen aus Tilidin und Naloxon beziehungsweise Oxycodon und Naloxon sind mit C bewertet, haben also eine ungünstige Nutzen-Risiko-Relation für ältere Patienten. Dies gilt auch für Morphin, Tramadol, Tapentadol, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) sowie die Antiepileptika Pregabalin und Gabapentin. Letztere werden nur bei neuropathischen Schmerzen eingesetzt. Mit einem D bewertet wurden Carbamazepin, das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin und NSAR in der Langzeitanwendung über mehr als zwei Wochen sowie COX-2-Hemmer. Ein Einsatz dieser Wirkstoffe ist bei älteren Patienten demnach zu vermeiden.
Eine weitere Liste, die ungeeignete Arzneimittel für Ältere aufführt, ist die Beers-Liste. Auch diese wurde kürzlich aktualisiert, berichtete Vasel-Biergans (DOI: 10.1111/jgs.15767). »Die Bewertung der Arzneimittel in der Therapie chronischer Schmerzen fällt nicht viel anders aus als die der FORTA-Liste, sie präzisiert das Bild aber«, sagte die Apothekerin. Laut Beers-Liste sind Opioide bei Patienten mit Stürzen in der Vorgeschichte problematisch, da die Substanzen zu Gangunsicherheiten führen können. Die Kombination der Wirkstoffe mit Gabapentin oder Pregabalin sollte vermieden werden, da sie das Risiko für Sedierung, Atemdepression und Tod erhöht. Für die Antikonvulsiva allein gilt ebenfalls, dass sie bei Patienten mit hohem Sturzrisiko mit Vorsicht eingesetzt werden sollten, da sie Gangunsicherheiten bedingen. Eventuell sind hier Maßnahmen zur Sturzprophylaxe zu ergreifen und die Dosis von anderen FRIDs in der Medikation ist zu reduzieren.
Auch die NSAR finden sich auf der Beers-Liste. Sie sind generell in der Langzeitanwendung zu meiden, außerdem bei Patienten mit Herzinsuffizienz, mit Magen-Darm-Ulzera in der Vorgeschichte oder mit Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance unter 30 ml/min). Gleiches gilt für Coxibe.
»Grundsätzlich sollten in der Arzneimitteltherapie von Älteren wenige, gut bekannte Substanzen gezielt eingesetzt werden«, sagte die Pharmazeutin. Dabei sollte nach dem Motto »start low, go slow« mit niedriger Dosis begonnen und abhängig vom Effekt individuell titriert werden. Dabei sollte mit der niedrigsten effektiven Dosis der nicht retardierten Arzneiform begonnen werden Bei Opiaten sei die halbe Startdosis zu verwenden, die bei jüngeren Patienten eingesetzt wird, sagte die Pharmazeutin. Ist eine gute Schmerzkontrolle erreicht, sollte auf retardierte oder transdermale Formulierungen umgestellt werden. Die Wirksamkeit und das Ausmaß der Nebenwirkungen sollten engmaschig neu bewertet und eventuell die Dosis korrigiert werden.
Dabei sei immer auch die Nierenfunktion zu beachten. Diese wird in der Regel anhand der Kreatinin-Clearance ermittelt, für die es verschiedene Schätzformeln gibt. Grundlage ist dabei der Kreatininwert im Serum. Kreatinin ist ein Abbauprodukt der Säure Kreatin, das aus Muskeln gleichmäßig freigesetzt und fast ausschließlich über die Niere eliminiert wird. Von den verschiedenen Schätzformeln berücksichtige nur die Cockcroft-Gault-Formel das Körpergewicht, sagte die Apothekerin. Es sei aber wichtig, sich seine geriatrischen Patienten genau anzuschauen, denn bei starkem Untergewicht und Muskelatrophie entstehe wenig Kreatinin. Ein niedriger Kreatinin-Serumwert sei dann nicht ein Zeichen einer guten Filtrationsleistung der Niere, sondern einer geringen Freisetzung des Abbauprodukts aus den Muskeln.