Schmerzattacken im Griff |
Christina Hohmann-Jeddi |
13.11.2024 18:00 Uhr |
Migränekopfschmerz ist ohne Schmerzmittel kaum auszuhalten. Eine gute Akuttherapie ist besonders wichtig, da es sonst zu einer chronischen Migräne kommen kann. / © Getty Images/wildpixel
»Die Behandlung der neurologischen Erkrankung Migräne basiert auf den drei Säulen Akuttherapie, Prophylaxe von Attacken und Führen eines Kopfschmerztagebuchs«, berichtete Privatdozent Dr. Torsten Kraya, Chefarzt der Klinik für Neurologie im Klinikum St. Georg in Leipzig, auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Anfang November in Berlin stattfindet. Ziel der Akuttherapie bei Migräne sei es, die Attacke rasch zu beenden und die Schmerzen sowie vegetative Symptome wie Übelkeit und Erbrechen innerhalb von maximal zwei Stunden zu beseitigen. Eine gute Akuttherapie sei wichtig, da bei einer ineffizienten Behandlung das Risiko für eine chronische Migräne steige, berichtete der Mediziner.
Bei leichten bis moderaten Kopfschmerzattacken sollte mit Analgetika wie Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen oder Kombinationsanalgetika (ASS, Paracetamol und Koffein) therapiert werden. Bei Kontraindikation zu den nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) könnten auch Paracetamol, Metamizol oder Phenazon eingesetzt werden. »Für alle Substanzen ist wichtig, dass sie früh und in ausreichend hoher Dosis eingenommen werden«, sagte Kraya. Die Einnahme könne bereits in der Auraphase erfolgen. Sein Rat: Die Patienten sollten eine Substanz mindestens für zwei bis drei Attacken einsetzen, um deren Wirksamkeit beurteilen zu können. Für die Kombinationspräparate gebe es gute Daten, dass sie besser wirksam seien als Monopräparate; ob sie das Risiko für einen Übergebrauchskopfschmerz erhöhen, sei noch unklar.
»Die am besten untersuchte und am besten wirksame Wirkstoffklasse in der Akuttherapie von Migräneattacken sind die Triptane«, so der Neurologe. Die Wirkstoffe aktivieren die Serotoninrezeptoren 5-HT1B und 5-HT1D, was wahrscheinlich unter anderem die Ausschüttung des Botenstoffs CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) reduziert, der bei der Entstehung von Migräneattacken eine wichtige Rolle spielt. Triptane werden bei Patienten eingesetzt, die mit Analgetika nicht ausreichend behandelt sind.
Akutmedikation zur Behandlung von Migräneattacken gemäß der Migräneleitlinie von 2023 / © © PZ/Stephan Spitzer
Dabei gebe es drei Gruppen von Substanzen: die mit langsamem Wirkeintritt (Naratriptan, Frovatriptan), mit mittelschnellem Wirkeintritt (orales Sumatriptan, Zolmitriptan und Almotriptan) und mit schnellem Wirkeintritt (Sumatriptan subkutan, Eletriptan und Rizatriptan oral oder Zolmitriptan nasal). Bei schnell einsetzenden, starken Attacken solle ein subkutanes Triptan verwendet werden. Die höchsten Responderraten von mehr als 40 Prozent hätten einer eigenen Untersuchung zufolge Zolmitriptan nasal, Eletriptan und Sumatriptan subkutan. Dabei sei zu beachten, dass Triptane erst nach Abklingen der Aura eingesetzt werden dürfen.
Kraya sprach ein häufiges Problem bei der Akuttherapie an: den Wiederkehrkopfschmerz. Bei einem Teil der Migränepatienten verschwinde der Kopfschmerz nach Einnahme von Medikamenten zwar, setze aber nach Abklingen der Wirkung wieder ein. Gerade bei schnell wirksamen Triptanen sei dies häufig der Fall. Um den Wiederkehrkopfschmerz zu vermeiden, sollten Patienten gleichzeitig mit dem Triptan ein Analgetikum einnehmen, riet Kraya. Geeignet für die Kombination sei etwa Naproxen 500 mg, da die Substanz lang anhaltend wirke. Seine Erfahrung sei, dass eine Kombination einen stärkeren analgetischen Effekt habe als ein Triptan allein.
Was tun, wenn ein Triptan nicht wirkt? Kraya zufolge solle zunächst darauf hingewiesen werden, dass das Medikament möglichst früh (nach der Aura) und in ausreichend hoher Dosierung einzunehmen ist. Viele Patienten berichteten, zu Beginn der Beschwerden noch abzuwarten, ob sie sich tatsächlich zu einer Migräneattacke entwickelten, was die Wirksamkeit der Medikation herabsetze. Zum Teil kann auch ein Wechsel auf eine andere Substanz oder eine andere Applikationsweise sinnvoll sein. Aber auch hier sollte wieder jeweils zwei bis drei Attacken mit einer Substanz behandelt werden, um deren Wirksamkeit abschätzen zu können.
Ein relevantes Problem seien auch Erbrechen und Übelkeit, die bei einer Migräneattacke auftreten können und zum Teil auch die Wirkung der Akuttherapie reduzieren – wenn nämlich die Medikation erbrochen wird. Hier könne ein nasales oder subkutanes Triptan eine Option sein. Wichtig sei, dass die Akutmedikation nicht länger als drei Tage am Stück eingenommen werden sollte, da sonst das Risiko für einen Übergebrauchskopfschmerz steigt. Nach drei Tagen sollte die Therapie den Anfall beendet haben, sonst liegt ein Status migraenosus vor, der mit intravenöser Gabe von Metoclopramid, Lysin-Acetylsalicylat oder Prednison durchbrochen werden kann.
Aber auch Triptane wirkten nicht bei allen Patienten mit Migräne, betonte Kraya. Für diese Gruppe von etwa 13 Prozent der Patienten kämen neue Wirkstoffe wie die Ditane infrage. Mit Lasmiditan, ist seit vergangenem Jahr ein erster Vertreter verfügbar. Bei Ditanen handelt es sich um Agonisten am 5-HT1F-Rezeptor, wobei der genaue Wirkmechanismus unbekannt ist. Man vermutet neben der agonistischen Wirkung am genannten Rezeptor eine Verringerung der Freisetzung von Neuropeptiden und eine Hemmung von Schmerzwegen, einschließlich des Trigeminusnervs. Ein vasokonstriktorischer Effekt wie bei den Triptanen besteht nicht. Lasmiditan kann daher auch bei Patienten mit Schlaganfall oder Herzinfarkt in der Vorgeschichte eingesetzt werden. Studien zufolge wirkt die Substanz auch bei einer verzögerten Einnahme (nach etwa vier Stunden) noch gut. Eine Einschränkung sollten Anwender kennen: »Für acht Stunden nach der Einnahme dürfen sie keinen Pkw führen oder Maschinen bedienen«, betonte Kraya.
Eine Besonderheit sei die menstruelle Migräne, wobei hier die rein menstruelle Migräne, die nur im Zusammenhang mit der Monatsblutung auftritt, von der menstruationsassoziierten Migräne zu unterscheiden ist. Bei Letzterer treten Attacken häufig ein bis zwei Tage vor oder an den ersten drei Tagen der Regelblutung auf, zusätzlich aber auch zu anderen Zeiten des Zyklus. Die Akuttherapie der Attacken unterscheidet sich nicht von anderen Migräneformen. Allerdings sei die Symptomatik bei der menstruellen und menstruationsassoziierten Migräne zum Teil schwerer und schlechter medikamentös zu beherrschen. Bei der menstruellen Migräne könne über eine Kurzzeitprophylaxe nachgedacht werden, bei der für wenige Tage vor Einsetzen der Regelblutung Naproxen eingenommen werde, so Kraya.
Auf die medikamentöse Prophylaxe von Migräneattacken ging Dr. Robert Fleischmann von der Universitätsmedizin Greifswald näher ein. Kopfschmerzattacken senkten nicht nur die Effektivität bei der Arbeit, sondern könnten auch das Familienleben beeinträchtigen, wenn geplante Aktivitäten nicht stattfinden können. Durch eine Prophylaxe lasse sich die Lebensqualität verbessern und auch das Risiko für eine Chronifizierung der Erkrankung senken.
Etwa ein Drittel der Migränepatienten hat mehr als vier Kopfschmerztagen pro Monat. Sie sollten eine medikamentöse Prophylaxe erhalten. / © Adobe Stock/Syda Productions
Eine Prophylaxe ist angezeigt, wenn Patienten vier oder mehr Kopfschmerztage pro Monat haben. Dies treffe auf ungefähr ein Drittel der Migränepatienten zu, sagte Fleischmann. Aber nur etwa 20 Prozent von ihnen erhielten schließlich auch eine Prophylaxe. Primäres Ziel der Prophylaxe sei, die Zahl der Migränetage zu senken. Dies erreichten nahezu alle modernen Substanzen. Zudem solle eine Prophylaxe auch die Krankheit modifizieren, indem sie die Krankheitsaktivität nachhaltig verringert, berichtete der Mediziner. Daher sei in der Leitlinie vorgeschrieben, dass bei niedrigfrequenter Migräne nach einer Behandlungszeit von sechs bis zwölf Monaten ein Auslassversuch unternommen werden sollte und bei hochfrequenter Migräne nach zwölf bis 24 Monaten.
Wie sieht eine Prophylaxe aus? »Wir sind im Zeitalter der CGRP-basierten Therapien«, sagte Fleischmann. In einer Vergleichsstudie sei der CGRP-Antikörper Anti-Erenumab (Aimovig®) wirksamer und besser verträglich gewesen als das Antiepileptikum Topiramat. Trotz der Vorteile der Substanz bildeten die oralen Therapien mit dem Antidepressivum Amitriptylin, den Betablockern Metoprolol und Propranolol, dem Calciumantagonisten Flunarizin oder Topiramat immer noch die Basis der Prophylaxe, so der Experte. Mit diesen Substanzen ließen sich die meisten Patienten gut behandeln. Erst wenn alle Vortherapien unwirksam waren oder durch Kontraindikationen ausgeschlossen sind, ließen sich die Antikörper zulasten der GKV verschreiben.
Zwei Einschränkungen gebe es aber zu beachten: Topiramat dürfen Frauen in gebärfähigem Alter, die keine hochwirksame Verhütungsmethode verwenden, nicht einnehmen. Der Grund ist, dass die Anwendung der Substanz während der Schwangerschaft schwere angeborene Fehlbildungen und Wachstumsbeeinträchtigungen verursachen kann. Auch Valproinsäure solle bei Frauen im gebärfähigen Alter nicht eingesetzt werden; sie habe zur Migräneprophylaxe in Deutschland aber ohnehin keine Zulassung.
Ein Phänomen bei der Prophylaxe mit CGRP-Antikörpern sei, dass ein Teil der Patienten mit einer zeitlichen Verzögerung auf die Therapie anspreche. Untersuchungen zufolge sprächen zwei Drittel innerhalb von zwölf Wochen auf die Therapie an. Aber immerhin die Hälfte der Non-Responder zeige noch innerhalb der folgenden zwölf Wochen eine Verbesserung; es seien also Late-Responder. Zu beachten bei der Langzeittherapie sei die blutdruckerhöhende Wirkung der Antikörper.
Neu hinzu kämen in Zukunft die rasch wirksamen Gepante wie Atogepant und Rimegepant, die die Trennung zwischen Akuttherapie und Prophylaxe verschwimmen ließen. »Hier kommt eine neue Klasse von Wirkstoffen, die etwas flexibler zu handhaben ist«, sagte Fleischmann. Mit diesen lasse sich auch eine situative Prophylaxe realisieren, wie sie etwa bei der menstruellen Migräne sinnvoll sein könnte. Das sei mit den anderen Substanzen nicht möglich. »Da kommen noch interessante Konzepte auf uns zu«, sagte der Mediziner.