Schlamperei bei Comirnaty-Zulassungsstudie |
Annette Rößler |
03.11.2021 14:00 Uhr |
Eine Whistleblowerin hat gegenüber dem »British Medical Journal« über Unregelmäßigkeiten in einem Studienzentrum berichtet, das an der Zulassungsstudie des Biontech/Pfizer-Covid-19-Impfstoffs Comirnaty beteiligt war. / Foto: Adobe Stock/freshidea
Im »British Medical Journal« gibt der Investigativjournalist Paul Thacker aktuell den Bericht der Whistleblowerin Brook Jackson wieder, die an der Phase-III-Zulassungsstudie für Comirnaty in den USA als Auditorin beteiligt war. Auditoren kontrollieren, dass bei klinischen Prüfungen alle Regularien eingehalten werden.
Jackson war im September 2020 bei der Firma Ventavia beschäftigt, einem Auftragsunternehmen, das für Pfizer an drei Standorten in den USA die Comirnaty-Studie durchführte. Allerdings wurde Jackson laut eigener Aussage bereits nach zwei Wochen von Ventavia wieder gefeuert, nachdem sie zuerst ihren Arbeitgeber mehrmals vergeblich auf Verfehlungen an deren Studienzentrum in Texas hingewiesen hatte und sich daraufhin mit einer Beschwerde direkt an die Aufsichtsbehörde FDA gewandt hatte.
Folgende Punkte legte Jackson Ventavia zur Last:
Nach ihrer offiziellen Beschwerde bei der FDA (und ihrem Rauswurf bei Ventavia) sei Jackson von einem Mitarbeiter der Behörde telefonisch kontaktiert und befragt worden, heißt es im »BMJ« weiter. Der Mitarbeiter habe ihr jedoch keine weitere Auskunft zu der Sache geben können. Danach habe sie nichts mehr von der FDA oder von ihrem ehemaligen Arbeitgeber gehört.
In den Dokumenten, die Pfizer bei der FDA einreichte und die schließlich zur Notfallzulassung des Impfstoffs in den USA führten, seien die Probleme an Jacksons Studienzentrum mit keinem Wort erwähnt worden. Überprüfungen von neun der 153 beteiligten Studienzentren hätten laut einem späteren Bericht der FDA zwar stattgefunden, doch sei keines darunter gewesen, das von Ventavia betreut worden sei.
Andere Mitarbeiter von Ventavia, die anonym bleiben wollen, bestätigten dem »BMJ«, dass die Arbeit in dem Zentrum nicht immer geordnet ablief, sondern »ein verrücktes Durcheinander« war. So seien beispielsweise in einigen Fällen nicht genügend Mitarbeiter da gewesen, um von Studienteilnehmern mit Covid-19-ähnlichen Symptomen Abstriche zu nehmen, was angesichts des primären Endpunkts der Studie, laborbestätigtes, symptomatisches Covid-19, natürlich verheerend ist. Folgerichtig gibt einer der anonymen Ventavia-Mitarbeiter zu Protokoll, er glaube nicht, dass sein Arbeitgeber bei der Studie gute, saubere Daten geliefert habe.
Dem »BMJ« liegen offenbar zahlreiche Dokumente wie Fotos, Tonaufzeichnungen und E-Mails vor, die die Aussagen von Jackson und den anderen Whistleblowern in dem Bericht beweisen. Daher ist davon auszugehen, dass er wahrheitsgetreu ist. Es erscheint auch plausibel, dass bei dem extrem hohen Tempo, mit dem die Zulassungsstudie von Comirnaty durchgezogen wurde, teilweise die Genauigkeit gelitten haben könnte – eine Annahme, die im Übrigen nicht nur für diesen Coronaimpfstoff gelten muss.
Die von den Whistleblowern im »BMJ« bemängelten Punkte mögen vor dem Hintergrund, dass Comirnaty und die anderen zugelassenen Covid-19-Impfstoffe mittlerweile millionenfach verimpft wurden und ihre Wirksamkeit und Sicherheit durch Real-World-Daten extrem gut belegt sind, wie bloße Formalia erscheinen. Da Teile der Bevölkerung gegenüber den neuen Plattformen der mRNA- und Vektorimpfstoffe aber ohnehin sehr skeptisch waren und sind, ist das Signal, das von diesem Bericht ausgeht, sehr ungut. Denn es untergräbt das notwendige Vertrauen in diesen eigentlich hervorragenden Impfstoff.
Zwar richten sich die Vorwürfe nicht gegen Pfizer oder Biontech direkt, sondern gegen den Subunternehmer Ventavia. Doch muss die Art und Weise, wie mit der immerhin offiziell an die FDA gerichteten Beschwerde Jacksons (nicht) umgegangen wurde, nachdenklich stimmen. Laut »BMJ« hat Pfizer Ventavia ungeachtet der Anschuldigungen mit der Betreuung von vier weiteren Impfstoffstudien beauftragt, nämlich der Comirnaty-Studien mit Kindern, Schwangeren und als Booster sowie mit einem RSV-Impfstoff. Es wäre besser gewesen, die im Raum stehenden Vorwürfe zunächst auszuräumen. Denn verlorenes Vertrauen lässt sich nicht so einfach zurückgewinnen, schon gar nicht in der jetzigen Zeit, in der ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung ohnehin schon Verschwörungstheorien gegen das Impfen anhängt. Es ist bedauerlich, dass durch diese Sache, die aus wissenschaftlicher Sicht zwar keine Lappalie ist, aber die Studienergebnisse auch nicht grundsätzlich infrage stellt, Wasser auf die Mühlen der Impfskeptiker gegossen wird.
Annette Rößler, Redakteurin Pharmazie
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.