Schlafmangel als Dickmacher |
Eine Studie mit 124 jungen und 94 älteren Erwachsenen zeigt: Schlafmangel erhöht das subjektive Stressempfinden (3). Essen wirkt dann wie ein kleiner Stressdämpfer und hilft, innere Anspannung abzubauen (4). Es liegt daher nahe, dass vermehrtes Essen nach kurzen Nächten als eine Form emotionaler Selbstfürsorge verstanden werden kann. Doch Vorsicht: Wird diese »Selbstpflege« zur Gewohnheit und führt dauerhaft zu einer erhöhten Kalorienaufnahme, kann daraus eine ungewollte Gewichtszunahme entstehen.
Lakritz, Gummibärchen, Saures und Süßes: Geschmackvolle Leckereien aktivieren unser Belohnungssystem – ein Netzwerk im Gehirn, das für Motivation, Lustempfinden und Lernen zuständig ist (5). Wird es etwa durch Zucker stimuliert, schüttet es Dopamin aus. Eingeübte Verhaltensmuster – wie unbändiges Verlangen nach Junkfood – werden dann wie von selbst in Gang gesetzt. Der Gegenspieler, die Vernunft, sitzt im präfrontalen Cortex, dem Bereich direkt hinter der Stirn (5). Hier wird geplant, abgewogen und kontrolliert.
Wer übermüdet einkaufen geht, greift häufig zu mehr ungesunden Lebensmitteln. / © Adobe Stock/Robert Kneschke
Ist der Mensch übermüdet, leidet die Selbstkontrolle. Studien zeigen: Schlafmangel macht impulsiver (6). Nahrungsreize, insbesondere Süßes und Herzhaftes, aktivieren nach Schlafentzug verstärkt das Belohnungssystem – ein Grund, warum wir gerade dann häufiger und ungehemmter zugreifen (7). Emotionale Impulse übernehmen dann die Hauptrolle – und ehe man sich versieht, liegt die dritte Tafel Schokolade im Einkaufswagen.
Eine kleine Studie einer Forschungsgruppe der Universität Uppsala in Schweden mit jungen erwachsenen Männern konnte zeigen: Nach einer durchwachten Nacht füllten sie ihren virtuellen Einkaufswagen in einem Supermarktspiel mit deutlich mehr – und weniger gesundem – Essen als nach einer Nacht mit ausreichend Schlaf (8).
Als Konsequenz drängt sich auf, dass es sich nicht empfiehlt, übermüdet einzukaufen. Leben Kinder im gleichen Haushalt, könnten sie indirekt unter dem Schlafmangel und infolgedessen unter dem Einkaufsverhalten ihrer Eltern leiden, etwa durch eine ungesündere Lebensmittelauswahl. Ob sich ähnliche Effekte auf das Einkaufsverhalten auch nach Nächten mit verkürztem oder qualitativ schlechtem Schlaf beobachten lassen, ist denkbar, jedoch bislang nicht ausreichend erforscht.
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Der präfrontale Cortex hat beim Essen ein gewichtiges Wort mitzureden – er wägt ab, plant und kontrolliert –, doch auch das Verdauungssystem spielt eine wichtige Rolle (9). Bereits das Dehnen von Magen und Darm durch den Nahrungsbrei sendet mechanische Signale ans Gehirn und kündigt etwa eine baldige Sättigung an. Zusätzlich kommuniziert der Körper über chemische Botenstoffe. So hemmt die Nahrungsaufnahme die Ausschüttung von Ghrelin, einem appetitanregenden Hormon aus dem Magen. Ghrelin gelangt über das Blut ins Gehirn und aktiviert orexigene Pfade – neuronale Netzwerke, die Hunger und Appetit ankurbeln.
Sobald der Nahrungsbrei den Dünndarm erreicht, setzt die Freisetzung von Inkretinen ein, vor allem die des Glucagonähnlichen Peptid-1 (GLP-1). Es sorgt nicht nur für ein Sättigungsgefühl, sondern reguliert auch den Blutzucker und verlangsamt die Magenentleerung. GLP-1-Rezeptor-Agonisten bekommen aktuell große Aufmerksamkeit und gelten als Hoffnungsträger in der Adipositas-Therapie.
Ein weiteres wichtiges Hormon mit Blick auf Hunger und Sättigung ist Leptin – benannt nach dem griechischen Wort leptos, das »schlank« bedeutet. Wichtig: Leptin ist kein Hormon des Darms, sondern wird hauptsächlich im Unterhautfettgewebe gebildet. Steigen die Fettreserven, nimmt auch die Leptinkonzentration im Blut zu. Im Gehirn angekommen, aktiviert Leptin anorexigene Signalwege, die den Appetit dämpfen und den Energieverbrauch ankurbeln (10).