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Antibakterielle Wirksamkeit

Psychopharmaka auf Abwegen

Zwischen Infektionen und psychischen Erkrankungen kann ein direkter Zusammenhang bestehen. Behandelt man die Infektion mit einem Antibiotikum, kann sich daher auch der psychische Zustand des Patienten verändern. Wenig beachtet ist bisher, dass auch Psychopharmaka antibiotisch wirken können.
Annette Mende
24.01.2020  14:56 Uhr

Infektionen mit bakteriellen oder viralen Krankheitserregern können den Menschen nicht nur körperlich in Mitleidenschaft ziehen, sondern auch zu Wesensveränderungen und kognitiven Einbußen führen. Professor Dr. Hans Förstl von der Technischen Universität München nannte beim Fortbildungskongress Pharmacon in Schladming die Syphilis als klassisches Beispiel. Bleibe die Infektion mit dem Erreger Treponema pallidum unbehandelt, breite sich dieser bei etwa einem Fünftel der Patienten ins zentrale Nervensystem (ZNS) aus und könne nach Jahren eine sogenannte Neurosyphilis auslösen.

»Durch die Neurosyphilis haben wir wesentliche Erkenntnisse über die Funktion des Gehirns gewonnen«, sagte Förstl. Denn erst im 19. Jahrhundert, als die psychiatrischen Asyle zu einem erheblichen Teil mit Neurosyphilis-Patienten gefüllt waren, habe man realisiert, dass die Verhaltensveränderungen und auch die bei manchen Patienten auftretende progressive Paralyse Spätmanifestationen der Syphilis waren. Vorher habe man – aus heutiger Sicht unbegreiflicherweise – das Gehirn nicht mit dem Verhalten von Menschen in Zusammenhang gebracht.

Auch Viren können im ZNS großen Schaden anrichten. »Die HIV-Enzephalopathie gehört zu den Aids-definierenden Erkrankungen«, informierte Förstl. Eine ZNS-Beteiligung der HIV-Infektion kann unter anderem zu kognitivem Abbau bis hin zu Demenz, Polyneuropathien und Myelopathien führen. Beim Ebolavirus hätten Studien gezeigt, dass Überlebende einer Infektion mit kognitiven Einbußen sowie vermehrt mit Depressionen und Angsterkrankungen zu kämpfen hätten (»Clinical Infectious Diseases« 2019 DOI: 10.1093/cid/ciy677; »Travel Medicine and Infectious Disease« 2017, DOI: 10.1016/j.tmaid.2017.05.001). Und beim Zikavirus könne eine Infektion während der Schwangerschaft zu erheblichen Schäden am ZNS des ungeborenen Kindes führen.

Antibiotika mit Wirkung auf die Psyche...

In diesen Fällen sind die Zusammenhänge zwischen Infektion und Gehirn klar belegt. Weniger eindeutig ist die Frage zu beantworten, ob auch zwischen der Besiedelung mit nicht pathogenen Keimen – Stichwort Mikrobiom – und der psychischen Verfassung eines Menschen eine Wechselwirkung besteht. Wenn dies der Fall wäre, läge es nahe, dass Antibiotika auch eine Wirkung auf die Psyche haben können. »Tatsächlich können Antibiotika sowohl Depressionen als auch Psychosen auslösen«, sagte Förstl. Das erkläre man zurzeit allerdings weniger mit ihren Auswirkungen auf das Mikrobiom als vielmehr mit allgemeinen anticholinergen Effekten.

Das Oxazolidinon Linezolid wirke über eine Hemmung der Monoaminoxidase (MAO) serotonerg, weshalb in Kombination mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) ein Serotonin-Syndrom auftreten könne. Für das Tetracyclin Minocyclin hätten kleinere Studien eine antidepressive Wirkung gezeigt, die jedoch in einer größeren Studie im Jahr 2018 nicht bestätigt werden konnte (»Translational Psychiatry«, DOI: 10.1038/s41398-017-0073-7).

...und Psychopharmaka mit antibiotischer Wirkung

Unerwartet sind sicher die Ergebnisse neuerer Studien, wonach verschiedene Antipsychotika antibiotisch wirken. »Aripiprazol und Risperidon verändern das Mikrobiom, Chlorpromazin wirkt synergistisch mit Antibiotika und scheint sogar antimycobakteriell wirksam zu sein, Olanzapin hemmt das Wachstum von Escherichia coli und Thioridazin hemmt Vancomycin-resistente Enterokokken«, fasste Förstl eine Übersichtsarbeit aus dem vergangenen Jahr zusammen (»Psychopharmacology«, DOI: 10.1007/s00213-019-5185-8). Auch für das Antidepressivum Sertralin sei eine antibiotische Wirkung gezeigt worden. »Sertralin ist einer der SSRI, die nur wenig aus dem Darm resorbiert werden«, sagte Förstl. Womöglich sei der antidepressive Erffekt des Wirkstoffs zumindest teilweise über eine Veränderung des Mikrobioms infolge der antibiotischen Wirkung zu erklären.

Die Bakterien im menschlichen Darm produzierten ein Vielfaches der Neurotransmitter, die der Mensch selbst synthetisiere. Zu den im Darm freigesetzten Botenstoffen gehören laut Förstl Serotonin-Vorstufen, γ-Aminobuttersäure (GABA), das aus der Alzheimer-Pathologie bekannte β-Amyloid (Aβ), kurzkettige Fettsäuren und Zytokine. Es sei unklar, ob beziehungsweise in welchem Ausmaß diese Substanzen aus dem Darm aufgenommen, den First-Pass-Effekt der Leber überstehen, schließlich die Blut-Hirn-Schranke überwinden und eine zentrale Wirkung entfalten können. Bekannt sei jedoch, dass sowohl die Leistung der Leber als auch die Dichtheit der Blut-Hirn-Schranke im Alter abnähmen. Ein kognitiver Abbau sowie neuropsychiatrische Erkrankungen bei älteren Menschen hätten daher womöglich ihren Ursprung bei der Bakteriengemeinschaft im Darm.

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