Psilocybin wirkt langfristig |
Pilze der Gattung Psilocybe (Kahlköpfe) enthalten häufig den Inhaltsstoff Psilocybin. Sie gelten als magic Mushrooms, weil sie psychedelische Erfahrungen auslösen können. / Foto: Adobe Stock/Martina
Psychedelika oder auch Halluzinogene sind momentan ein heißes Eisen in der psychiatrischen Forschung. Nachdem die Substanzen jahrelang als Hippie-Drogen belächelt und von seriösen Wissenschaftlern nicht ernstgenommen wurden, mehren sich nun die Hinweise aus gut gemachten Studien auf eine antidepressive Wirkung insbesondere des Pilz-Wirkstoffs Psilocybin. Entscheidend ist dabei allerdings die Art der Anwendung: Sie sollte in einem kontrollierten Setting und im Rahmen einer Psychotherapie stattfinden, damit der Patient die psychedelische Erfahrung bestmöglich für sich nutzen kann, betonten Experten kürzlich bei einem Fachkongress in Berlin.
Eine wichtige Studie, die zur Renaissance der Psychedelika-Forschung beigetragen hat, war eine Untersuchung aus dem Jahr 2016, die bei Patienten mit einer lebensbedrohlichen Krebserkrankung eine rasche und deutliche Besserung von Depression und Ängsten infolge einer einmaligen Psilocybin-Anwendung gezeigt hatte (»Journal of Psychopharmacology«, DOI: 10.1177/0269881116675512). In einem Crossover-Design erhielten alle Teilnehmer einmal Psilocybin und zum Vergleich einmal Niacin. Eingebettet war die Therapie in insgesamt neun Psychotherapie-Sitzungen. Die Ansprechrate auf das Psychedelikum war mit 60 bis 80 Prozent sehr hoch, die Nachbeobachtungszeit mit 6,5 Monaten aber relativ kurz. Jetzt hat dasselbe Forscherteam um Professor Dr. Stephen Ross von der New York University erneut im »Journal of Psychopharmacology« eine Langzeit-Auswertung vorgelegt.
Die Wissenschaftler kontaktierten alle 16 Patienten, die von den ursprünglich 29 Teilnehmern der ersten Studie noch am Leben waren. 15 von ihnen stimmten erneuten Befragungen nach 3,2 und 4,5 Jahren zu. Es zeigte sich, dass auch 4,5 Jahre nach der Psilocybin-Anwendung weiterhin bei 60 bis 80 Prozent der Patienten eine klinisch signifikante Besserung der Depressions- und Angstsymptomatik vorhanden war. 71 bis 100 Prozent der Teilnehmer schrieben dem Psilocybin-Trip positive Veränderungen in ihrem Leben zu und stuften ihn als eine der bedeutendsten Erfahrungen ihres Lebens ein.
Die Autoren halten Psilocybin für ein möglicherweise gut geeignetes Mittel, um die Wirksamkeit einer Psychotherapie bei Krebspatienten zur Linderung von psychischen Symptomen zu verbessern. Die Aussagekraft des Ergebnisses werde aber durch das Crossover-Design der ursprünglichen Untersuchung geschmälert, schränken sie ein. Auch die Mechanismen der Wirkung sind noch unklar: Wie kann eine einmalige Gabe eines psychoaktiven Stoffs so nachhaltige Veränderungen der Stimmung erzeugen?
Hierzu haben sie eine Theorie. Psilocybin erhöhe möglicherweise die Flexibilität des Gehirns und mache es empfänglicher für neue Ideen und Gedankenmuster. Frühere Studien deuteten darauf hin, dass der Wirkstoff das Ruhezustandsnetzwerk (Default Mode Network) adressiere, heißt es in einer Pressemitteilung der Universität. Dieses Netzwerk werde aktiviert, wenn sich Menschen der Selbstreflexion hingeben und ihre Gedanken schweifen lassen, und es sei wichtig für das Ich-Empfinden. Bei Patienten mit Angsterkrankungen und Depressionen sei dieses Netzwerk überaktiv, was mit Grübeln, Sorgen und unflexiblem Denken einhergehe. Psilocybin scheine die Aktivität des Ruhezustandsnetzwerks akut zu verändern. Das könne die Perspektive von Patienten auf ihr Verhalten und ihr Leben erweitern.