Plastik allerorten |
Kunststoffpartikel gibt es mittlerweile überall auf der Welt, auch am Strand. Als Mikroplastik gelten Teilchen mit einem Durchmesser unter 5 mm. / Foto: Fraunhofer UMSICHT/Leandra Hamann
Als der US-Amerikaner Victor Vescovo kürzlich im Mariannengraben mit einem Spezial-U-Boot knapp 11 km tief tauchte und damit einen neuen Rekord aufstellte, machte er eine bemerkenswerte Entdeckung: Am tiefsten Punkt der Erde, den je ein Mensch gesehen hat, schwamm eine Plastiktüte im Wasser. Viele Kommentatoren sahen darin ein Symbol für das mittlerweile beträchtliche Ausmaß der Verschmutzung der Umwelt im Allgemeinen beziehungsweise speziell der Meere.
Aus gesundheitlicher Sicht steht allerdings weniger Makroplastik wie diese Plastiktüte im Fokus als vielmehr Mikroplastik. Hierunter versteht man laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) kleine Kunststoffpartikel unterschiedlicher Herkunft, Größe, Form und chemischer Zusammensetzung. Die Größenangaben sind in der Literatur nicht einheitlich definiert, sie schwanken meist zwischen 1 µm bis kleiner 5 mm.
Grundsätzlich unterscheidet man primäres und sekundäres Mikroplastik, wobei es auch hier keine verbindliche Definition gibt. Meist wird unter primärem Mikroplastik solches verstanden, das gezielt industriell hergestellt wird, während sekundäres Mikroplastik durch chemische und physikalische Alterungs- und Zerfallsprozesse aus Makroplastik entsteht. Das Mikroplastik in der Umwelt stammt wahrscheinlich überwiegend aus sekundären Quellen.
Beispiele für primäres Mikroplastik sind etwa Granulate oder Pellets in Sandstrahlern, Reinigungs- und Poliermitteln, aber auch in Medizinprodukten und Kosmetika. Sekundäres Mikroplastik kann etwa durch Reifenabrieb oder aus verwitternden Plastiktüten und Verpackungen entstehen. Auch beim Tragen und Waschen von kunststoffhaltigen Textilien wie Fleecejacken wird Mikroplastik in die Luft beziehungsweise das Wasser freigesetzt.
»Dazu, in welchen Mengen Mikroplastik in die Umwelt gelangt, gibt es nur sehr wenig experimentelle Daten«, sagte Leandra Hamann vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) in Oberhausen bei einer Veranstaltung des BfR in Berlin. Sie stellte die Ergebnisse einer Konsortialstudie vor, in der sie zusammen mit Kollegen am Fraunhofer-Institut im Auftrag von Partnern aus der Kunststoffindustrie, Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Forschung genau diese Fragestellung untersuchte (DOI: 10.24406/uMsiCht-n-497117).
In Ermangelung experimenteller Daten nahmen die Autoren in einem sogenannten Top-Down-Ansatz eine Abschätzung der freigesetzten Mengen an Mikroplastik pro Kopf und Jahr vor. Sie berücksichtigten 51 Quellen, darunter Reifenabrieb, Freisetzung bei der Abfallentsorgung, Abrieb von Bitumen in Asphalt, Pelletverluste sowie Verwehungen von Sport- und Spielplätzen. Insgesamt errechneten sie, dass in Deutschland jeder Bewohner jährlich 4 kg Mikroplastik in die Umwelt freisetzt. »Zum Vergleich: Die Emissionen an Makroplastik liegen nur bei etwa 1,4 kg pro Kopf und Jahr«, sagte Hamann. Mit Abstand der größte Posten war der Reifenabrieb (1129 g). Die Freisetzung aus Kosmetika, über die in den Medien teilweise ausführlich berichtet wurde, betrug nur etwa ein Sechzigstel dieses Werts (19 g).
Reifenabrieb ist die größte Quelle von Mikroplastik – deutlich vor Kosmetika oder Freisetzungen bei der Abfallentsorgung. / Foto: Fotolia/digitalstock
»Kläranlagen können etwa 95 Prozent des Mikroplastiks abscheiden«, informierte Hamann. Allerdings werde ein gutes Drittel des anfallenden Klärschlamms als Dünger auf Feldern ausgebracht, wodurch auch das darin angereicherte Mikroplastik wieder in die Umwelt gelangt. »Darüber, wie sich Mikroplastik in der Umwelt verhält, gibt es momentan nur Abschätzungen«, sagte Hamann. Eines sei jedoch sicher: Die Belastung mit Mikroplastik steigt. »Es gäbe ein Steady State, wenn jeder Mensch pro Jahr etwa 200 g emittieren würde. Das ist aber nur ein Bruchteil der heutigen Menge.«
Bei der offenbar vorhandenen Menge an Mikroplastik in der Umwelt erstaunt es nicht, dass in diversen Untersuchungen auch schon Mikroplastik in Nahrungsmitteln gefunden wurde. So wurden etwa in Honig, Muscheln, Fischen, Tafelsalz, Bier und Mineralwasser Kontaminationen nachgewiesen. Das BfR betont jedoch, dass die entsprechenden Untersuchungsergebnisse keine Rückschlüsse auf Menge und Zusammensetzung der nachgewiesenen Mikropartikel zulassen. Eine Quantifizierung und damit eine Bestimmung der tatsächlichen Expositionsmengen stelle eine große wissenschaftliche Herausforderung dar – ganz zu schweigen von der Differenzierung in verschiedene Kunststoffe, denn Plastik ist bekanntlich nicht gleich Plastik.
Dass Menschen Mikroplastik über die Nahrung aufnehmen, wiesen Mitarbeiter des österreichischen Umweltbundesamts und der Universität Wien im vergangenen Jahr indirekt nach: Sie fanden in Stuhlproben von Probanden aus unterschiedlichen Ländern in allen acht untersuchten Proben Mikroplastik. »Die entsprechenden Ergebnisse werden demnächst publiziert«, informierte Dr. Bettina Liebmann vom Umweltbundesamt, die an der Studie beteiligt war und sie in Berlin präsentierte. Wie sie betonte, erlaube die Untersuchung aufgrund der sehr geringen Teilnehmerzahl keine validen Aussagen zu Quantität und Qualität der Belastung – doch habe allein der Nachweis von Mikroplastik im Stuhl bereits für ein großes Medienecho gesorgt.
Ähnlich interessiert reagierte die Öffentlichkeit, als kürzlich eine kanadische Arbeitsgruppe um Dr. Kieran D. Cox von der University of Victoria, British Columbia, im Fachjournal »Environmental Science & Technology« eine Abschätzung der jährlichen Mikroplastik-Exposition eines durchschnittlichen Amerikaners vornahm (DOI: 10.1021/acs.est.9b01517). Diese beträgt demnach 39.000 bis 52.000 Partikel, wenn lediglich die Aufnahme über die Nahrung berücksichtigt wird, und 74.000 bis 121.000 Partikel bei zusätzlicher Berücksichtigung der Aufnahme über die Atemluft. Bei Menschen, die ausschließlich Wasser aus (Plastik-) Flaschen trinken, kommen noch 9000 Partikel hinzu, bei eingefleischten Leitungswasser-Konsumenten immerhin noch 4000. Einschränkend muss jedoch gesagt sein, dass die berücksichtigten Nahrungsmittel lediglich 15 Prozent der verzehrten Kalorienmenge ausmachen, weshalb es sich um eine sehr grobe Schätzung handelt und die Autoren selbst davon ausgehen, dass die tatsächliche Aufnahme deutlich höher liegt.
Menschen scheinen also über die Nahrung und die Atemluft Mikroplastik in nennenswertem Umfang aufzunehmen. Doch das stellt per se noch kein gesundheitliches Risiko dar, wie Professor Dr. Alfonso Lampen vom BfR darlegte: »Das Risiko für Verbraucher durch einen Stoff setzt sich zusammen aus dem Gefährdungspotenzial und der Exposition dieses Stoffes.« So sei bei einem extrem toxischen Stoff nur eine äußerst geringe Exposition tolerabel, wohingegen bei einem wenig gefährlichen Stoff auch eine stärkere Exposition hinnehmbar sei. Steige die Exposition, sei jedoch auch bei an sich wenig gefährlichen Stoffen mit einem Risiko zu rechnen.
»Bei Mikroplastik können wir davon ausgehen, dass das Gefährdungspotenzial gering ist, da die handelsüblichen Materialien weitgehend inert sind«, so Lampen. Im Körper gebe es physikalische, chemische und immunologische Barrieren, die ein Eindringen von Fremdstoffen wirkungsvoll verhindern. Partikel bis 4 µm würden zwar in relativ großer Zahl in Darmepithelzellen aufgenommen, verblieben jedoch darin und würden mit den Zellen nach und nach abgeschilfert und ausgeschieden. In-vitro-Untersuchungen des BfR hätten zudem ergeben, dass die Bedingungen des menschlichen Verdauungstraktes nicht ausreichen, um Mikroplastik abzubauen. Eine zusammenfassende Bewertung der Wirkung von Mikroplastik auf die Darmbarriere sowie eine abschließende Risikobewertung könne aufgrund mangelnder Daten derzeit jedoch noch nicht erfolgen.
Es gibt die Befürchtung, dass Mikropartikel auch als Vehikel für andere unerwünschte Stoffe dienen können. So können sich etwa polychlorierte Biphenyle oder polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe an Mikroplastik-Partikel anlagern. Ob dies jedoch zu einer erhöhten Belastung durch die genannten chemischen Verbindungen führt, ist unklar, denn dazu müssten sie in den Zellen von den Partikeln wieder freigesetzt werden. Ob das geschieht, wird derzeit erforscht.
»Bei aktuellem Kenntnisstand ist eine akute Gefährdung für Verbraucher durch Mikroplastik unwahrscheinlich«, sagte Lampen. Die unklare Datenlage zur Exposition beurteilte er jedoch als problematisch, zumal die Umweltbelastung aufgrund der zunehmenden Plastikproduktion und der Langlebigkeit von Kunststoffen künftig steigen werde.