Pharmazeutische Zeitung online
Reizdarmsyndrom

Phytotherapie nicht zu kurz anwenden

Die neue Leitlinie zum Reizdarmsyndrom empfiehlt unter anderem Phytopharmaka. Aber was sollte das Apothekenpersonal den Patienten raten, wie lange sie die Präparate anwenden sollen? Das kommt darauf an, sagt Leitlinienautor Professor Dr. Ahmed Madisch.
Daniela Hüttemann
04.08.2021  18:00 Uhr

Im Juni wurde die umfassend aktualisierte S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom veröffentlicht. »Diese funktionellen Magen-Darm-Störungen sind in Deutschland überaus häufig – wir gehen von bis zu 10 Prozent der Bevölkerung aus«, sagte einer der Leitlinienautoren, der Gastroenterologe Professor Dr. Ahmed Madisch vom Klinikum Region Hannover, bei einer Pressekonferenz von Sanofi. »Die Patienten haben zwar keine verkürzte Lebenserwartung, sind durch die Symptome aber mitunter stark in ihrer Lebensqualität eingeschränkt.«

Madisch sprach zudem von einer großen Unterversorgung: 75 Prozent der Betroffenen bekämen keine Behandlung und die korrekte Diagnose werde noch zu selten oder zu spät gestellt. Dabei gebe es evidenzbasierte Behandlungsmöglichkeiten, wenn die Diagnose erst einmal stehe. Diese erfolgt über eine gezielte Ausschlussdiagnose anderer, teils schwerer Erkrankungen wie Darmkrebs oder Morbus Crohn. »Dazu gehört auch immer eine Endoskopie«, so Madisch. Die Diagnostik dürfe aber auch nicht übertrieben werden. Zum Beispiel rät die Leitlinie von IgG-Tests zur Diagnose von Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten oder Stuhltests zur Analyse des Darmmikrobioms ab.

Das Reizdarmsyndrom sei durchaus eine organische Erkrankung und nicht psychosomatisch bedingt. »Reizdarm entsteht nicht im Kopf, wenngleich Stress und eine Störung der Darm-Hirn-Achse eine Rolle spielen«, betonte der Gastroenterologe. Für die Patienten sei dies wichtig zu wissen. Grundsätzlich müsse die Erkrankung mit ihren vielschichtigen Symptomen erklärt und die Therapieoptionen müssten erläutert werden.

»Wir können Symptome lindern, aber bei vielen Patienten werden nicht alle verschwinden oder immer wieder auftauchen. Ein Reizdarmsyndrom ist nicht heilbar und das sollten die Patienten auch wissen«, meinte Madisch. Er frage seine Patienten, welche Symptome wie Durchfall, Blähungen oder Bauchschmerzen sie am meisten belasten und lege darauf bei der Präparateauswahl den Fokus. Arzt und Patient sollten gemeinsam realistische Therapieziele vereinbaren.

Effiziente Therapieoptionen sind vorhanden

»Wir haben gute Therapiemöglichkeiten, sie wirken aber nur, wenn der Patient sie konsequent anwendet«, so Madisch. Oft kämen Patienten zu ihm, die schon viele Präparate ausprobiert hätten – »aber oft nur ein bis zwei Wochen und das ist zu kurz bei Phytopharmaka und Probiotika, um einen Effekt zu erzielen«, betonte der Arzt. Die Anwendung der symptomatischen Therapie soll aber auch nicht dauerhaft erfolgen. »In der Regel sollte die Einnahme über acht bis zwölf Wochen erfolgen, bei gutem Ansprechen auch länger«, erläuterte Madisch. Irgendwann solle jedoch immer ein Auslassversuch erfolgen.

Kombinationen von Medikamenten sind möglich, damit sollte jedoch nicht begonnen werden. »Hier sollte man systematisch vorgehen, denn nur so können wir herausfinden, worauf der Patient anspricht – und das kann durchaus unterschiedlich sein«, erklärte der Gastroenterologe. 

Apothekerinnen und Apotheker sollten die Patienten bei vorliegender ärztlicher Diagnose eines Reizdarmsyndroms auf die mehrwöchige Therapiedauer hinweisen. »Kommt jedoch ein Patient mit Symptomen, aber ohne gestellte Diagnose, sollten Sie eine Selbstmedikation nur über ein bis zwei Wochen empfehlen. Halten die Symptome dann noch an, sollte der Betroffene zum Arzt – auch um eine bösartige Erkrankung auszuschließen.«

Die Leitlinie führt vier Kardinalsymptome auf und nennt die jeweiligen Behandlungsmöglichkeiten. Zum Teil werden sie aber nur in Einzelfällen oder bei Nicht-Ansprechen oder Unverträglichkeit bevorzugter Alternativen empfohlen oder bei bestimmter Symptomkombination. Hier die Empfehlungen für die symptomspezifische Therapie erwachsener Patienten mit Reizdarmsyndrom:

Durchfall

  • Empfehlungsgrad B (sollte eingesetzt werden): Loperamid, Colestyramin, Eluxadolin, 5-HT 3 -Antagonisten
  • Empfehlungsgrad 0 (kann eingesetzt werden): lösliche Ballaststoffe, Colesevelam
  • keine Empfehlung für Racecadotril

Verstopfung

  • Empfehlungsgrad A (sollen eingesetzt werden): Laxanzien vom Macrogol-Typ
  • Empfehlungsgrad B (sollte eingesetzt werden): (lösliche) Ballaststoffe, osmotische oder stimulierende Laxanzien, Prucaloprid, Linaclotid, Lubiproston
  • Empfehlungsgrad 0 (kann eingesetzt werden): Plecanatid

Bauchschmerzen und Bauchkrämpfe

  • Empfehlungsgrad A (sollen eingesetzt werden): Spasmolytika, Pfefferminzöl
  • Empfehlungsgrad B (sollte eingesetzt werden): Amitriptylin, Linaclotid, 5-HT 3 -Antagonisten
  • Empfehlungsgrad 0 (kann eingesetzt werden): SSRI, Duloxetin
  • keine Empfehlung für periphere Analgetika (ASS, Paracetamol, NSAR, Metamizol), µ-Opioid-Agonisten, Pregabalin

Blähungen, abdominelle Distension, Flatulenz

  • Empfehlungsgrad A (soll eingesetzt werden): Pfefferminzöl
  • Empfehlungsgrad B (sollte eingesetzt werden): Linaclotid
  • keine Empfehlung für Entschäumer (Simethicon, Dimethicon)

Die beste Evidenz liege bei den Phytopharmaka für Pfefferminzöl vor, so Madisch (zum Beispiel Buscomint®).  Aber auch die Kombipräparate Iberogast® (mit dem offiziellen Kürzel STW-5) sowie Iberogast® Advance (STW-5-II) seien empfehlenswert. Sie zeigten positive Effekte bei Reizdarm generell und abdominellen Schmerzen im Speziellen. Iberogast enthält Iberis amara, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Mariendistelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter, Schöllkraut und Süßholzwurzel; bei Iberogast Advance wurde auf Angelikawurzel und Schöllkraut verzichtet.

Generell können auch ausgewählte Probiotika empfohlen werden. Hier unterscheide sich der Effekt jedoch individuell von Patient zu Patient sowie je nach Bakterienstamm und Leitsymptom. Die Studienlage zu den einzelnen Stämmen werden auf Seite 94 und 95 der Leitlinie einzeln bewertet. Die verfügbare Evidenz bildet laut Leitlinie »keine belastbare Grundlage für differenzierte Graduierungen der Empfehlung im Hinblick

auf einzelne Stämme beziehungsweise Kombinationspräparate und/oder Applikationsmodalitäten.« Präbiotika werden nicht empfohlen.

Ernährung nicht vergessen

Neben der medikamentösen Therapie dürfen aber auch andere Maßnahmen nicht vergessen werden. Den wohl größten Einfluss hat die Ernährung. Eine sogenannte Low-FODMAP-Diät sei hier die wichtigste Maßnahme, erklärte Madisch. Dabei werden kurzkettige Kohlenhydrate, die vergären wie Fructose, Lactose und Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit, weggelassen. »Die Evidenz ist gut, allerdings ist die Liste zu vermeidender Lebensmittel lang. Daher ist diese Diät dauerhaft kaum durchzuhalten und wir empfehlen sie nur für vier bis acht Wochen konsequent durchzuziehen und dann die FODMAP-haltige Lebensmittel langsam versuchsweise wieder einzuführen.«

Gute Evidenz gebe es zudem für Maßnahmen wie kognitive Verhaltenstherapie, Bauch-gerichtete Hypnose, Yoga oder Stressreduktion.

Mehr von Avoxa