Notfälle in der Apotheke |
Selten, aber nicht unmöglich ist ein epileptischer Anfall (Tabelle 4). Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des Nervensystems; verschiedene Formen erfordern eine individuelle Therapie. Ein Epilepsiepatient sollte einen Notfallpass und gegebenenfalls seine Notfallmedikation bei sich führen.
Notfallsituation | Ursachen und Symptome | Erste-Hilfe-Maßnahmen |
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Angina-pectoris-Anfall | verengte Koronararterien mit brennenden Schmerzen, Engegefühl im Brustkorb, Atemproblemen | Nitrolingual akut Spray |
Asthmaanfall | chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege mit Atemnot, Giemen, Husten | Inhalation von Bronchodilatatoren, Atemtechnik (Lippenbremse), entlastende Körperhaltung (Kutschersitz) |
epileptischer Anfall | plötzliche Entladung von Nervenzellen im Gehirn, Krämpfe, Zuckungen, Bewusstseinsverlust | Ruhe bewahren, stabile Seitenlage, Notfallmedikation (Midazolam buccal, Diazepam rektal) ab einer Anfalldauer von 2 bis 3 Minuten |
Bei einem epileptischen Anfall kommt es zu einer zerebralen Störung durch eine kurz andauernde vermehrte Entladung von Nervenzellen. Man unterscheidet fokale von generalisierten Anfällen. Die Symptome reichen von kurzen Zuckungen bis zu schweren Verkrampfungen des Körpers mit Bewusstseinsstörungen. Der Anfall ist an sich kein Notfall, denn das Gehirn wird nicht geschädigt. Ein Ersthelfer hat die Aufgabe, Ruhe zu bewahren und die Person vor weiteren Verletzungen, zum Beispiel durch Gegenstände im Umfeld, zu schützen, bis diese wieder voll orientiert und der Anfall beendet ist.
Bei Bewusstseinstrübung sollte die Person in die stabile Seitenlage gebracht werden; dies erleichtert die Atmung und den Abfluss von Speichel oder Erbrochenem. Dauert der Anfall länger als zwei bis drei Minuten, ist der Notarzt zu verständigen und die Notfallmedikation zu verabreichen. Es besteht der Verdacht auf einen Status epilepticus, der medikamentös unterbrochen werden muss, da bleibende Schäden oder Tod möglich sind.
Erste-Hilfe-Lehrgänge müssen regelmäßig wiederholt werden. / Foto: Adobe Stock/benjaminnolte
Betreuungspersonen (Lehrkräfte, Erzieher, nahe Begleitpersonen) sind nach entsprechender Aufklärung verpflichtet, in einem solchen Fall das Notfallmedikament zu applizieren (§ 323c StGB), in der Regel Benzodiazepine wie Diazepam und Midazolam. Diazepam zur rektalen Anwendung ist für das häusliche Umfeld geeignet. Midazolam wird in der Mundhöhle (buccal) zwischen Wange und Unterkiefer mittels einer Applikationsspritze eingeführt. Dazu werden die rote Kappe und die Verschlusskappe abgezogen und der Spritzkolben im Mund langsam bis zum Anschlag heruntergedrückt. Die nasale Anwendung von Midazolam erfolgt off Label. Durch die Bindung an GABA-Rezeptoren im Gehirn kommt es zu einer sedierenden, anxiolytischen, antikonvulsiven und muskelrelaxierenden Wirkung.
Die Vorschrift 1 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) stellt klar: Ein Unternehmer muss Personal, Räumlichkeiten und Material (Inhalt von Verbandkästen nach DIN 13157, DIN 13169) bereitstellen, um optimal auf eine Erste-Hilfe-Situation vorbereitet zu sein. Arbeiten zwischen zwei und 20 Personen zeitgleich in der Apotheke, muss ein ausgebildeter und dem Personal bekannter Ersthelfer während der Öffnungszeiten vor Ort sein. Das kann bei einer 40-Stunden-Woche auch die Bestellung von mehreren Ersthelfern erforderlich machen. Arbeiten mehr als 20 Personen zeitgleich, sollten 10 Prozent der Anwesenden Ersthelfer sein.
Der entsprechende Lehrgang muss alle zwei Jahre wiederholt werden. Hierüber und über die kleinste geleistete Erste-Hilfe-Maßnahme besteht Dokumentationspflicht. Die Unterlagen sind fünf Jahre aufzubewahren.
Unabhängig davon ist nach § 323c StGB jede Person zur Ersten Hilfe verpflichtet. Der Gesetzgeber kann sonst wegen unterlassener Hilfeleistung belangen. Groß ist die Angst, bei einer Erste-Hilfe-Aktion mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Laut Gesetz ist aber jemand, der Erste Hilfe leistet, nicht schadenersatzpflichtig. An erster Stelle steht der Eigenschutz: Kein Helfer muss sich in Gefahr begeben und sollte geeignete Schutzmaßnahmen ergreifen (Atemmaske, Einmalhandschuhe).
In der Apotheke gilt das Arzneimittelgesetz: § 48 erfordert eine ordnungsgemäße Verschreibung vor der Abgabe oder Anwendung verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Was tun, wenn diese nicht vorliegt? Verschlechtert sich der Gesundheitszustand eines Patienten akut massiv, bevor der Rettungsdienst eintrifft, muss dieser rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) unter Umständen bewiesen werden können. Im Fallbeispiel des Mannes mit Wespengiftallergie könnte der Apotheker das Notfallset ohne Verschreibung an den Patienten abgeben und dieser kann es selbst anwenden, sollte sein Zustand es zulassen. Apotheker, die eine Ausbildung zum Impfen mit Corona- oder Grippeimpfstoffen absolviert haben, sind in der Abwendung anaphylaktischer Reaktionen des Patienten geschult. Nach § 323c StGB lässt sich hier auch die Verpflichtung ableiten, bei einem Wespengiftallergiker notfallmäßig zu agieren, sollte dem Patienten das Bewusstsein schwinden.
Auf jeden Fall ist die Entscheidung für den Apotheker, bei einem Notfall verschreibungspflichtige Arzneimittel abzugeben oder zu applizieren, ein schmaler Grat mit hoher Rechtsunsicherheit. Daher sollten nicht auf bloßen Verdacht hin heilkundliche Maßnahmen ergriffen, sondern immer ausreichend geprüft werden, ob Abgabe und Anwendung eines Arzneimittels telefonisch durch einen Arzt autorisiert werden kann (vgl. § 4 Absatz 1 Arzneimittelverschreibungsverordnung).