Notfälle in der Apotheke |
Ein epileptischer Anfall kann schockierend aussehen, endet aber meist von selbst. Wichtig ist, dass sich die Person bei den unkontrollierten Bewegungen nicht verletzt oder in die Zunge beißt. / Foto: Adobe Stock/DC Studio
Akute Notfälle hat wohl jedes Apothekenteam schon erlebt. Es kommen auch Patienten mit der Bitte um Unterstützung, die sich nicht bewusst sind, dass sie notfallmedizinisch versorgt werden müssen. Muss der Notarzt gerufen werden, sind wichtige Informationen anzugeben:
Unerlässlich ist es, auf mögliche Rückfragen der Rettungsstelle zu warten und diese möglichst exakt zu beantworten.
Anhand von Fallbeispielen werden in diesem Titelbeitrag verschiedene Notfallsituationen, mögliche Hintergründe und Erste-Hilfe-Maßnahmen vorgestellt.
Aufgeregt berichtet ein junger Mann von einer Frau, die wenige Schritte vor der Apotheke auf dem Bürgersteig zusammengebrochen liegt. Es ist schwer einzuschätzen, was mit ihr los ist. Der Notarzt wird gerufen. Da die Atmung gewährleistet ist, wird die Frau in die stabile Seitenlage gebracht.
Bei Bewusstlosigkeit muss zunächst geprüft werden, ob Atemgeräusche zu hören und Brustkorbbewegungen zu sehen sind. Anderenfalls besteht die Gefahr eines Herz-Kreislauf-Stillstands, der Reanimationsmaßnahmen erforderlich macht (Kasten).
Ist eine Person bewusstlos und reagiert nicht auf Ansprache oder Berührung, muss umgehend der Notarzt gerufen werden. Dann sollte die Atmung überprüft werden. Atembewegungen sind äußerlich durch Heben und Senken von Bauch und Brustkorb sowie durch Atemgeräusche und einen wahrnehmbaren Luftstrom erkennbar. Funktioniert die Atmung, wird die Person in die stabile Seitenlage gebracht. Dadurch wird der Mund zum tiefsten Punkt des Körpers, Erbrochenes oder Blut kann herausfließen, die Aspiration in die Atemwege wird verhindert. Mit zunehmender Bewusstlosigkeit schwinden wichtige Schutzreflexe (Schluck-, Hustenreflex), die die Atemwege freihalten. Ist die Atmung nicht mehr gewährleistet oder erkennbar, muss sofort mit der Reanimation begonnen werden:
Ist bei bewusstlosen Personen die Atmung nicht mehr erkennbar, muss sofort mit der Reanimation begonnen werden. / Foto: Adobe Stock/benjaminnolte
Die Ursachen einer Bewusstseinsstörung können vielfältig sein. Steigen die Außentemperaturen, können Dehydrierung, Sonnenstich oder Hitzschlag einen Zusammenbruch (Kollaps) bedingen. Bei 1 bis 2 Prozent zu wenig Körperflüssigkeit können sich Kopfschmerzen, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Schwindel zeigen; dies muss zeitnah durch ausreichendes Trinken ausgeglichen werden. Kritische Symptome sind Verwirrtheit, Herzrasen oder Muskelkrämpfe: Der Notarzt ist zu rufen.
Ein Sonnenstich äußert sich durch lokale Überhitzung des Kopfes mit Kopfschmerzen und einem eher kühlen Körper sowie Schwindel, Übelkeit oder Erbrechen. Symptome eines Hitzschlags sind hohe Körpertemperatur über 40 °C, schneller Herzschlag, niedriger Blutdruck, rote trockene Haut ohne Schweiß, Übelkeit, Erbrechen und Krämpfe bis hin zum Koma. Hohe Außentemperaturen erhöhen das Mortalitätsrisiko vor allem bei Älteren, Pflegebedürftigen, Menschen mit Übergewicht und/oder chronischen Erkrankungen sowie Säuglingen und Kleinkindern.
Ist der Patient ansprechbar, sollte er in aufrechter Position Flüssigkeit bekommen. Bei einem Verdacht auf einen Hitzeschaden sind schnellstmöglich Kühlungsmaßnahmen erforderlich (Schatten, Kühlpacks, mit temperiertem Wasser übergießen, Luft zufächeln). Der Notarzt versorgt den Patienten mit parenteraler Rehydrierung, verabreicht bei zerebralen Krämpfen Benzodiazepine und veranlasst die stationäre Einweisung.
Genug Wasser zu trinken, ist an heißen Tagen aktive Kollapsprävention. / Foto: Adobe Stock/izzetugutmen
Hat die Person in unserem Fallbeispiel lange Zeit gestanden, starke Schmerzen, Stress oder seelische Probleme, kann das vegetative Nervensystem mit einem plötzlichen Abfall von Blutdruck und Puls reagieren. Man spricht von einer Synkope: Das Risiko, kurzzeitig bewusstlos zu sein und umzufallen, ist erhöht. Im Liegen verbessert sich die Durchblutung des Kopfes, sodass die Betroffenen meist schnell wieder zu sich kommen. Unterstützend wirkt das Hochlagern der Beine. Bleibt der Patient nicht ansprechbar oder besteht Verdacht auf Herzinfarkt oder Schlaganfall, ist der Notarzt zu rufen und eventuell sind Reanimationsmaßnahmen einzuleiten (Kasten). Kommt die Person wieder zu sich, soll sie viel Flüssigkeit trinken. Eine Synkope sollte man immer differenzialdiagnostisch abklären (lassen).
Nicht zuletzt ist auch an Personen zu denken, die unregelmäßig essen und trinken (Fasten, Essstörungen, Ramadan). Das Risiko für eine Dehydrierung ist hoch und der Stoffwechsel kann entgleisen, besonders bei älteren Menschen mit Grunderkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes. Ist die Person bei Bewusstsein, helfen Traubenzucker und ein Glas Wasser schnell wieder auf die Beine. Blutdruck und Blutzucker sollten kontrolliert werden.
Eine Bewusstseinsstörung kann auch durch Unterzuckerung ausgelöst werden – nicht nur für Menschen mit Diabetes ein Problem (Tabelle 1). Typische Symptome einer Hypoglykämie sind vor allem Herzklopfen, Zittern, Unruhe und kalter Schweiß durch die Sympathikus-Aktivierung. Bei sehr niedrigen Werten kommen Sprachstörungen, Verwirrtheit und Bewusstseinstrübung hinzu.
Laut Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft sind Nüchternblutzuckerwerte von 60 bis 100 mg/dl (3,3 bis 5,6 mmol/l) normal. Unterzucker entsteht, wenn zu wenig Glucose (Nahrung) aufgenommen oder zu viel verbraucht (körperliche Betätigung) wird; die Beschwerden sind individuell unterschiedlich. Gefährdet sind insbesondere Patienten, die Insulin spritzen. Die regelmäßige Blutzuckermessung wirkt vorbeugend. Medikamente (Sulfonylharnstoffe, Glinide) provozieren bei Einnahmefehlern eine Unterzuckerung. Höheres Alter und eingeschränkte Nierenfunktion sind weitere Risikofaktoren. Eine Polyneuropathie oder Arzneimittel wie Betablocker können die Symptome einer Hypoglykämie verschleiern.
Notfallsituation | Ursachen und Symptome | Erste-Hilfe-Maßnahmen |
---|---|---|
akute Störung des Bewusstseins | ansprechbar / gestörtes Bewusstsein und nicht ansprechbar, Atmung funktioniert / gestörtes Bewusstsein, fehlende Atmung | aufrechter Sitz oder Schocklage mit erhöhten Beinen / stabile Seitenlage / Reanimation |
Dehydrierung | Schwindel, Verwirrtheit, Herzrasen oder Muskelkrämpfe | Rehydrierung |
Sonnenstich | Überhitzung des Kopfes, Kopfschmerzen, roter, heißer Kopf, kühler Körper, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen | Kühlungsmaßnahmen, Flüssigkeit |
Hitzschlag | hohe Körpertemperatur >40 °C, schneller Herzschlag, niedriger Blutdruck, rote trockene Haut ohne Schweiß, Übelkeit, Erbrechen, Krämpfe | Kühlungsmaßnahmen, Flüssigkeit |
Hypoglykämie | Sympathikus-Aktivierung: Herzklopfen, Zittern, Unruhe, kalter Schweiß, Sprachstörungen, Verwirrtheit, Bewusstseinstrübung | Blutzuckermessung, Traubenzucker, Glucagen® Hypokit, Baqsimi® |
Synkope | vegetatives Nervensystem: plötzlicher Abfall von Blutdruck und Puls | Schocklage zur verbesserten Durchblutung des Kopfs, Flüssigkeit |
Fasten | Stoffwechselentgleisung | Traubenzucker, Flüssigkeit, Kontrolle von Blutdruck und Blutzucker |
Bei Verdacht auf eine mögliche Unterzuckerung hilft bei leichteren Symptomen Traubenzucker; bei stärkeren Problemen kommt das Peptidhormon Glucagon in Notfallmedikamenten (Glucagen® Hypokit oder Baqsimi®) zum Einsatz. Diese dürfen nur von einem Arzt oder einer ärztlich geschulten Person (Angehörige) verabreicht werden. Das Apothekenpersonal sollte den Blutzucker messen, bei Bewusstseinsstörungen die Atmung prüfen, den Patienten in die stabile Seitenlage legen und den Notarzt rufen.
Glucagen-Hypokit enthält komprimiertes Glucagon-Pulver und Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektionslösung. Ist das Glucagon vollständig aufgelöst, wird es subkutan oder intramuskulär in Oberarm oder -schenkel gespritzt. Deutlich einfacher zu handhaben ist das Glucagon-haltige Nasenspray Baqsimi: Nach der Applikation in ein Nasenloch wird der Wirkstoff über die gut durchblutete Nasenschleimhaut schnell aufgenommen. Tiefes Einatmen durch den Patienten ist nicht notwendig.
Glucagon ist der Gegenspieler von Insulin und fördert die Freisetzung von Glucose aus dem Glykogen der Leber: Der Blutzuckerspiegel steigt. Traubenzucker lässt den Blutzuckerspiegel schnell ansteigen, was die Ausschüttung von Insulin und damit wieder eine Blutzuckersenkung bewirkt. Zur Stabilisierung sollten die Patienten daher nach dem Traubenzucker noch eine kohlenhydrathaltige Mahlzeit essen. Darauf sollte das Apothekenteam hinweisen.
Eine Mutter mit einem Kleinkind an der Hand bittet um Hilfe. Ihrem Kind ist gerade ein Insekt ins Auge geflogen. Das Auge tränt und ist bereits gerötet, das Kind hat Schmerzen.
Ein rotes tränendes Auge kann viele Ursachen haben. Eher harmlos sind kleine Verletzungen durch ein Insekt oder eine Wimper auf dem Augapfel. / Foto: Adobe Stock/lavizzara
Das Auge ist ein wichtiges, hoch empfindliches Sinnesorgan. Verletzungen im oder am Auge sind daher sehr ernst zu nehmen. Harmlose kleine Fremdkörper wie ein Insekt, ein Sandkorn oder eine Wimper, die auf die Bindehaut geraten, können meist problemlos entfernt werden. In der Regel tränt das Auge, um auf diese Weise den Fremdkörper wieder loszuwerden. Wichtig ist, auf keinen Fall zu reiben, sonst werden Horn- und Bindehaut gereizt und Entzündungen provoziert (Tabelle 2).
Befindet sich der Fremdkörper unter dem Unterlid, wird dieses leicht heruntergezogen, während der Patient nach oben schaut. Dann kann mit einem frischen Papiertaschentuch oder einem Wattestäbchen das Unterlid in Richtung Nasenwurzel gereinigt werden. Ist das Oberlid betroffen, schaut der Patient nach unten, das Oberlid wird hochgeklappt und in Richtung Nasenwurzel vorsichtig gereinigt. Anschließend kann das Auge mit Euphrasia- oder Dexpanthenol-haltigen Augentropfen oder Tränenersatzmitteln befeuchtet und Reizungen beruhigt werden.
Halten die Beschwerden länger an, kommen Schmerzen und Sehstörungen hinzu oder kann der Fremdkörper nicht entfernt werden, sollte das Apothekenteam den Patienten umgehend zum Augenarzt schicken.
Bei einem Heimwerkerunfall können eine Glasscherbe oder Metall- oder Holzsplitter auf die Augenoberfläche oder in die nahe Umgebung des Auges geraten. Der Patient ist mit einem Augenverband zu versorgen und in die Augenklinik oder zum Augenarzt zu schicken. In schwierigen Fällen wird der Notdienst gerufen.
Reinigungsmittel oder Pfefferspray können schwere Reizungen oder Verätzungen des Auges zur Folge haben. Eine Erste-Hilfe-Maßnahme ist gutes Spülen des Auges mit Leitungswasser, bevor es in die augenärztliche Ambulanz geht.
Ursachen und Symptome | Erste-Hilfe-Maßnahmen |
---|---|
Fremdkörper im Auge | |
Insekt, Staub, Wimper, tränende Augen | Unterlid: leicht herunterziehen, die betroffene Person schaut nach oben, Unterlid in Richtung Nasenwurzel mit sauberem Tuch reinigen / Oberlid: Oberlid hochklappen, Patient schaut nach unten, vorsichtig in Richtung Nasenwurzel reinigen / Befeuchtung mit Euphrasia- oder Dexpanthenol-haltigen Augentropfen oder Tränenersatzmitteln |
Glas-, Holz-, Metallsplitter, Schmerzen | Auge abdecken, Augenarzt oder augenärztliche Ambulanz |
Reinigungsmittel, Pfefferspray, tränende Augen, Schmerzen | Augen spülen, Augenarzt |
Keratokonjunktivitis photoelectrica | |
starke UV-Strahlung ohne Schutz beim Schweißen, Skifahren, am Meer, Schmerzen, tränende Augen | Euphrasia- oder Dexpanthenol-haltige Augentropfen, Schmerzmittel, Tränenersatzmittel, Augen vor Licht schützen, Augenarzt |
Von einer Keratokonjunktivitis photoelectrica (»verblitztes Auge«; Tabelle 2) spricht man, wenn das ungeschützte Auge starker UV-Strahlung beim Schweißen, Skifahren, am Meer oder in Solarien ausgesetzt war. Nach sechs bis acht Stunden sind Schmerzen und Ödeme spürbar und die Augen tränen. Bei starken Schmerzen oder Sehstörungen muss der Patient zum Augenarzt. Analgetika wie Ibuprofen und Diclofenac helfen gegen Schmerzen und Entzündung. Kühlung mittels Kompressen verringert Ödeme; Tränenersatzmittel und Dexpanthenol-haltige Augentropfen oder -salben lindern die Symptome.
Berichtet ein Patient von Sehstörungen und starken Kopfschmerzen, ist immer an den medizinischen Notfall Glaukomanfall zu denken.
Ein Mann eilt in die Apotheke, er ist gerade von einer Wespe gestochen worden. Er hat eine Wespengiftallergie und sein Notfallset daheim vergessen.
Durch einen Insektenstich gelangen Fremdeiweiße in den Körper, der darauf mit einer Abwehrreaktion reagiert. Das sind meist lokale Quaddeln, entzündliche Rötungen und Juckreiz. Ein Teil der Menschen reagiert mit sehr starken Schwellungen und einer nicht infektiösen Lymphangitis oder es kommt bei zunächst harmlosen Stichen nach ein paar Tagen zu einer bakteriellen Superinfektion mit Überwärmung und Rötung: Die Gefahr einer Sepsis ist erhöht. Diese Patienten müssen notfallmedizinisch versorgt werden; gegebenenfalls ist oral ein Corticoid oder ein Antibiotikum indiziert.
Symptome | Erste-Hilfe-Maßnahmen |
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lokale Quaddeln, Schwellung, entzündliche Rötungen begleitet von Juckreiz | topische Antihistaminika (Dimetinden, Bamipin), Corticoid-haltige Topika, Kühlung |
starke Schwellung, nicht infektiöse Lymphangitis oder bakterielle Superinfektion mit Überwärmung und Rötung | Antibiotikum, Corticoid, Arzt |
Bienen- oder Wespengiftallergie: anaphylaktischer Schock, Alarmsymptome: Juckreiz, Erythem, Flush, Atemnot, gastrointestinale Probleme, Blutdruckabfall, erhöhter Puls, Schwindel bis zur Bewusstlosigkeit | Notfallset mit H1-Antihistaminikum, Corticoid, Adrenalin |
Stich in den Mund-Rachen-Raum mit Schwellung | Kühlung mit Eiswürfeln, kalte Halswickel, Notfallset mit H1-Antihistaminikum, Corticoid, Adrenalin |
Unauffällige Insektenstiche werden gekühlt oder mit einem Hitzestick behandelt (Tabelle 3). Topische Antihistaminika, zum Beispiel Dimetinden und Bamipin, wirken antiallergisch und juckreizstillend durch Blockade der Histamin-Wirkung. Corticoid-haltige Topika wirken antientzündlich.
Ein Insektengift-Allergiker sollte immer ein Notfallset (Kasten) mit sich führen, um einen anaphylaktischen Schock zu vermeiden. Dies ist eine lebensgefährliche IgE-vermittelte Allergie vom Soforttyp. Alarmsymptome sind Juckreiz, Erythem oder Flush. Es kann zu Atemnot, gastrointestinalen Problemen (Übelkeit, Durchfall), Blutdruckabfall, erhöhtem Puls und Schwindel bis zur Bewusstlosigkeit kommen. Steckt der Stachel noch in der Haut, rät das Deutsche Rote Kreuz, diesen mit dem Fingernagel wegzukratzen oder die Pinzette zu verwenden und die Stichstelle anschließend zu desinfizieren. Ein Herausziehen mit den Fingern birgt die Gefahr, dass restliches Gift in die Haut gedrückt wird.
Für Menschen mit Insektengiftallergie kann das Mitführen eines Notfallsets lebensrettend sein. Nahe Begleitpersonen, Lehrer oder Erzieher sollten die Handhabung ebenfalls üben, um Hemmungen abzubauen. In der Apotheke ist es ratsam, Demoversionen aller Adrenalin-Autoinjektoren vorrätig zu haben, um den Patienten ausführlich beraten zu können. Daneben gibt es online Schulungsvideos. Das Notfallset beinhaltet:
Für Fastjekt®, Jext® und Emerade® gilt: Der Pen ist startklar nach Abziehen der Schutzkappe und wird 5 bis 10 Sekunden lang kräftig im 90-Grad-Winkel gegen die Außenseite des Oberschenkels gedrückt. Die Injektion wird automatisch ausgelöst und ist auch durch Kleidung erfolgreich. Die Injektionsnadel zieht sich nach der Applikation wieder zurück ins Gehäuse. Es empfiehlt sich, die Injektionsstelle anschließend etwa 10 Sekunden zu massieren.
Anapen®: Nach Abziehen der Schutzkappe muss der rote Auslöseknopf zeitgleich mit dem Andrücken an den Oberschenkel betätigt werden. Beim erfolgreichen Auslösen ist ein Klickgeräusch zu hören. Da sich die Nadel nicht automatisch zurückzieht, muss die Schutzkappe wieder aufgesetzt werden.
Derzeit gilt die Empfehlung für Allergiker, zwei Adrenalin-Pens mit sich zu führen, falls der erste Auslöseprobleme hat.
Ist der Patient bei Bewusstsein, sollten seine Beine hochgelagert werden (Schocklage). Bei Atemnot und stabilem Kreislauf ist Hinsetzen ideal, bei Bewusstlosigkeit und funktionierender Atmung die stabile Seitenlage. Fehlt die Atmung, sind Reanimationsmaßnahmen einzuleiten. Der Notarzt muss gerufen werden.
Aus dem Notfallset sollte der Patient sofort das H1-Antihistaminikum und das Corticoid einnehmen. Bei Atemnot, Herz-Kreislauf-Beschwerden oder Schwellungen im Mund-Nasen-Bereich ist der Adrenalin-Injektor anzuwenden. Adrenalin aktiviert α- und β-Adrenorezeptoren; dies bewirkt eine Vasokonstriktion und Bronchodilatation, verringert die Gefäßpermeabilität und stabilisiert damit die Kreislauffunktion.
Bei einem Stich in Mund oder Rachen oder wenn die Schwellung die Atemwege zu verlegen droht, ist der Notarzt zu verständigen. Bis zu seinem Eintreffen gibt man dem Betroffenen Kühles zum Lutschen und legt kalte Halswickel an. Die vierfache Tagesdosis eines oralen H1-Antihistaminikums ist indiziert. Sollten Atem- und Herz-Kreislauf-Probleme akut werden, sind Corticoid und Adrenalin-Pen aus dem Notfallset anzuwenden. In der Apotheke sollte man sehr genau abwägen, ob man selbst ein Arzneimittel verabreicht oder bis zum Eintreffen des Notarztes warten kann (Kasten).
Eine ältere Frau humpelt mit Rollator in die Apotheke und bittet darum, ihren Fuß neu zu verbinden. Ihr ist eine Tasse mit heißem Kaffee darauf gefallen. In der Beratungsecke wird der notdürftige Verband abgenommen. Der Fuß ist heiß und geschwollen, die Wundränder rötlich entzündet. Das ist ein Fall für den Arzt. Das Apothekenpersonal desinfiziert den Fuß und legt einen lockeren Verband an. Der Hausarzt wird informiert und die Frau mit dem Taxi dorthin gebracht.
Das ist schnell passiert bei einem Sturz: Schürfwunden sollten mit Leitungswasser gereinigt, dann desinfiziert und eventuell mit einem Wundschnellverband abgedeckt werden. / Foto: Adobe Stock/alho007
Während eine Verbrennung durch trockene Hitze (Feuer, Sonne) verursacht wird, ist die Haut bei einer Verbrühung durch heiße Flüssigkeiten oder Dämpfe geschädigt. In beiden Fällen kommt es zur Denaturierung von Strukturproteinen und zur Aktivierung von Entzündungsmediatoren. Kleinere Schäden können ohne ärztliche Hilfe versorgt werden.
Die betroffene Stelle wird mit temperiertem (20 °C) Leitungswasser gekühlt, um weitere Hautschäden zu verhindern und Schmerzen zu lindern. Coolpads aus dem Kühlschrank schädigen aufgrund der niedrigen Temperatur das Gewebe. Anschließend wird desinfiziert und die Wunde zum Schutz vor Infektionen mit einem sterilen Verband oder Pflaster, bevorzugt mit Silberbeschichtung, locker abgedeckt. Bei stärkeren Schmerzen helfen Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol, altersgerecht dosiert und unter Beachtung der Kontraindikationen. Brandblasen sollten nicht in Eigenregie geöffnet oder mit Salben und Hausmitteln behandelt werden.
Der Arzt ist aufzusuchen, wenn eine Verbrennung oder Verbrühung einen größeren Umfang als Handtellergröße hat, wenn Kopf oder Gesicht betroffen sind, sich die Haut schmerzhaft entzündet oder die sehr dünne und empfindliche Haut von Kleinkindern und älteren Menschen verletzt ist. Der Arzt entscheidet nach antiseptischer Behandlung, ob gegebenenfalls ein orales Antibiotikum notwendig ist. Lokalantibiotika sind obsolet.
Stark verschmutzte kleinere Schürfwunden sollten mit lauwarmem Leitungswasser gereinigt, anschließend desinfiziert und mit einem Wundschnellverband abgedeckt werden. Großflächigere Schürfwunden versorgt der Arzt. Platzwunden klaffen auseinander und sind infektionsgefährdet; kleinere gehören gründlich desinfiziert und anschließend mit einem Klammerpflaster versorgt, größere müssen unter Umständen vom Arzt genäht werden. Stark blutende Wunden müssen notfallmedizinisch versorgt werden; für die Erstversorgung reicht ein Druckverband.
Wunden mit Fremdkörpern wie Nägeln oder Glasscherben werden locker abgedeckt und ärztlich versorgt. Kleinere Splitter können in Eigenregie mit einer desinfizierten Pipette entfernt und gründlich antiseptisch behandelt werden.
Bisswunden bergen eine hohe Infektionsgefahr und müssen vom Arzt untersucht werden. Zum Glück ist die Tollwutgefahr gemäß der Welttiergesundheitsorganisation (OIE) in Deutschland seit 2008 für Hunde und Füchse gebannt.
In all diesen Fällen sollte das Apothekenteam nach dem Tetanusschutz der verletzten Person fragen. Sicherheitshalber empfiehlt sich für den Ersthelfer das Tragen von Einmalhandschuhen.
Stumpfe Verletzungen wie Prellungen oder Verstauchungen werden nach dem PECH-Schema erstversorgt:
Bei stark anhaltenden Schmerzen oder Sensibilitätsstörungen ist sofort ein Arzt hinzuzuziehen.
Ein älterer Herr steht geduldig in der vollen Apotheke. Plötzlich fasst er sich an die linke Brust, wird blass und ringt nach Atem. Eine neben ihm stehende Person geleitet ihn zu einer Sitzgelegenheit und das Apothekenpersonal reicht ein Glas Wasser. Der ältere Herr deutet auf seine Tasche. Darin findet das Apothekenpersonal ein Nitrolingual-akut-Spray, das noch original verpackt ist.
Verschiedene Grunderkrankungen bergen das Risiko eines plötzlichen Anfalls (Tabelle 4). Im Fallbeispiel liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen Angina-pectoris-Anfall handeln könnte. Der deutsche Begriff »Brustenge« charakterisiert die Symptomatik mit brennenden Schmerzen und einem Engegefühl im Brustkorb, oft begleitet von Atemproblemen. Man unterscheidet die stabile von der instabilen Angina pectoris; beide entstehen auf dem Boden einer koronaren Herzerkrankung. Der Verdacht eines Herzinfarkts steht im Raum; der Notarzt ist zu rufen.
Da der Patient ein ärztlich verordnetes Nitro-Spray bei sich hat, unterstützt ihn das Apothekenteam bei der Anwendung. Um die Dosierkammer zu befüllen, wird möglichst entfernt von anderen Personen einige Male in die Luft gesprüht. Mit Unterstützung appliziert der Mann dreimal sein Spray, zwischen jeder Anwendung sind 30 Sekunden Pause einzuhalten. Das Sublingualspray wird unter die Zunge gesprüht; dabei ist darauf zu achten, dass der feine Sprühnebel nicht inhaliert wird.
Glyceroltrinitrat ist zur Vorbeugung und Behandlung von Angina-pectoris-Anfällen indiziert. Die Freisetzung von Stickstoffmonoxid führt zur Erschlaffung von Zellen der glatten Muskulatur und die Herzbelastung nimmt ab.
Ein Kunde kann in der Apotheke auch von einem Asthmaanfall ereilt werden. Die Symptome sind Atemnot durch Verkrampfung oder Verschleimung feiner Bronchialgefäße mit Giemen, Reizhusten und Brustenge. Die gefürchtete Komplikation ist der Status asthmaticus, ein lange anhaltender Asthmaanfall mit Schäden der Lunge und möglicher Todesfolge.
Bei einem Asthmaanfall ist Ruhe zu bewahren und der Patient im Beratungsraum bei der richtigen Anwendung der Notfallmedikation, zum Beispiel einem Beta-2-Sympathomimetikum, zu unterstützen. Hilfreich sind eine Atemtechnik (Lippenbremse) und eine entlastende Körperhaltung (Kutschersitz). Die Notfallsituation tritt ein bei blauer Gesichtsfarbe, Schwierigkeiten beim Sprechen, einem Puls von mehr als 110 Schlägen/Minute (Erwachsene) und unwirksamer Notfallmedikation (nach 15 Minuten).
Selten, aber nicht unmöglich ist ein epileptischer Anfall (Tabelle 4). Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des Nervensystems; verschiedene Formen erfordern eine individuelle Therapie. Ein Epilepsiepatient sollte einen Notfallpass und gegebenenfalls seine Notfallmedikation bei sich führen.
Notfallsituation | Ursachen und Symptome | Erste-Hilfe-Maßnahmen |
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Angina-pectoris-Anfall | verengte Koronararterien mit brennenden Schmerzen, Engegefühl im Brustkorb, Atemproblemen | Nitrolingual akut Spray |
Asthmaanfall | chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege mit Atemnot, Giemen, Husten | Inhalation von Bronchodilatatoren, Atemtechnik (Lippenbremse), entlastende Körperhaltung (Kutschersitz) |
epileptischer Anfall | plötzliche Entladung von Nervenzellen im Gehirn, Krämpfe, Zuckungen, Bewusstseinsverlust | Ruhe bewahren, stabile Seitenlage, Notfallmedikation (Midazolam buccal, Diazepam rektal) ab einer Anfalldauer von 2 bis 3 Minuten |
Bei einem epileptischen Anfall kommt es zu einer zerebralen Störung durch eine kurz andauernde vermehrte Entladung von Nervenzellen. Man unterscheidet fokale von generalisierten Anfällen. Die Symptome reichen von kurzen Zuckungen bis zu schweren Verkrampfungen des Körpers mit Bewusstseinsstörungen. Der Anfall ist an sich kein Notfall, denn das Gehirn wird nicht geschädigt. Ein Ersthelfer hat die Aufgabe, Ruhe zu bewahren und die Person vor weiteren Verletzungen, zum Beispiel durch Gegenstände im Umfeld, zu schützen, bis diese wieder voll orientiert und der Anfall beendet ist.
Bei Bewusstseinstrübung sollte die Person in die stabile Seitenlage gebracht werden; dies erleichtert die Atmung und den Abfluss von Speichel oder Erbrochenem. Dauert der Anfall länger als zwei bis drei Minuten, ist der Notarzt zu verständigen und die Notfallmedikation zu verabreichen. Es besteht der Verdacht auf einen Status epilepticus, der medikamentös unterbrochen werden muss, da bleibende Schäden oder Tod möglich sind.
Erste-Hilfe-Lehrgänge müssen regelmäßig wiederholt werden. / Foto: Adobe Stock/benjaminnolte
Betreuungspersonen (Lehrkräfte, Erzieher, nahe Begleitpersonen) sind nach entsprechender Aufklärung verpflichtet, in einem solchen Fall das Notfallmedikament zu applizieren (§ 323c StGB), in der Regel Benzodiazepine wie Diazepam und Midazolam. Diazepam zur rektalen Anwendung ist für das häusliche Umfeld geeignet. Midazolam wird in der Mundhöhle (buccal) zwischen Wange und Unterkiefer mittels einer Applikationsspritze eingeführt. Dazu werden die rote Kappe und die Verschlusskappe abgezogen und der Spritzkolben im Mund langsam bis zum Anschlag heruntergedrückt. Die nasale Anwendung von Midazolam erfolgt off Label. Durch die Bindung an GABA-Rezeptoren im Gehirn kommt es zu einer sedierenden, anxiolytischen, antikonvulsiven und muskelrelaxierenden Wirkung.
Die Vorschrift 1 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) stellt klar: Ein Unternehmer muss Personal, Räumlichkeiten und Material (Inhalt von Verbandkästen nach DIN 13157, DIN 13169) bereitstellen, um optimal auf eine Erste-Hilfe-Situation vorbereitet zu sein. Arbeiten zwischen zwei und 20 Personen zeitgleich in der Apotheke, muss ein ausgebildeter und dem Personal bekannter Ersthelfer während der Öffnungszeiten vor Ort sein. Das kann bei einer 40-Stunden-Woche auch die Bestellung von mehreren Ersthelfern erforderlich machen. Arbeiten mehr als 20 Personen zeitgleich, sollten 10 Prozent der Anwesenden Ersthelfer sein.
Der entsprechende Lehrgang muss alle zwei Jahre wiederholt werden. Hierüber und über die kleinste geleistete Erste-Hilfe-Maßnahme besteht Dokumentationspflicht. Die Unterlagen sind fünf Jahre aufzubewahren.
Unabhängig davon ist nach § 323c StGB jede Person zur Ersten Hilfe verpflichtet. Der Gesetzgeber kann sonst wegen unterlassener Hilfeleistung belangen. Groß ist die Angst, bei einer Erste-Hilfe-Aktion mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Laut Gesetz ist aber jemand, der Erste Hilfe leistet, nicht schadenersatzpflichtig. An erster Stelle steht der Eigenschutz: Kein Helfer muss sich in Gefahr begeben und sollte geeignete Schutzmaßnahmen ergreifen (Atemmaske, Einmalhandschuhe).
In der Apotheke gilt das Arzneimittelgesetz: § 48 erfordert eine ordnungsgemäße Verschreibung vor der Abgabe oder Anwendung verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Was tun, wenn diese nicht vorliegt? Verschlechtert sich der Gesundheitszustand eines Patienten akut massiv, bevor der Rettungsdienst eintrifft, muss dieser rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) unter Umständen bewiesen werden können. Im Fallbeispiel des Mannes mit Wespengiftallergie könnte der Apotheker das Notfallset ohne Verschreibung an den Patienten abgeben und dieser kann es selbst anwenden, sollte sein Zustand es zulassen. Apotheker, die eine Ausbildung zum Impfen mit Corona- oder Grippeimpfstoffen absolviert haben, sind in der Abwendung anaphylaktischer Reaktionen des Patienten geschult. Nach § 323c StGB lässt sich hier auch die Verpflichtung ableiten, bei einem Wespengiftallergiker notfallmäßig zu agieren, sollte dem Patienten das Bewusstsein schwinden.
Auf jeden Fall ist die Entscheidung für den Apotheker, bei einem Notfall verschreibungspflichtige Arzneimittel abzugeben oder zu applizieren, ein schmaler Grat mit hoher Rechtsunsicherheit. Daher sollten nicht auf bloßen Verdacht hin heilkundliche Maßnahmen ergriffen, sondern immer ausreichend geprüft werden, ob Abgabe und Anwendung eines Arzneimittels telefonisch durch einen Arzt autorisiert werden kann (vgl. § 4 Absatz 1 Arzneimittelverschreibungsverordnung).
Glücklicherweise sind schwerwiegende Notfälle in der Apotheke selten. Trotzdem sollte sich das Team Gedanken machen, welche Maßnahmen bei welchen Notfällen sinnvoll sein können, um im Ernstfall vorbereitet zu sein. Dies kann auch im QMS hinterlegt werden. Dazu gehört, die eigenen Kunden zu sensibilisieren, ihre Notfallmedikation oder entsprechende Informationen stets bei sich zu führen und auf angepassten Impfschutz zu achten.
Barbara Staufenbiel studierte Pharmazie in Münster. 16 Jahre lang leitete sie die Rabenfels-Apotheke in Rheinfelden. Seit ihrer Rückkehr nach Münster arbeitet sie in einer öffentlichen Apotheke und engagiert sich für die Fortbildung als Referentin und Autorin mit Schwerpunkt Apothekenpraxis.