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Sven Siebenand |
31.08.2022 07:00 Uhr |
Es gibt unterschiedliche Formen des Morbus Pompe. Betroffene benötigen häufig einen Rollstuhl. / Foto: Adobe Stock/Drazen
Morbus Pompe zählt zu den lysosomalen Speicherkrankheiten. Ein anderer Name für die Erkrankung lautet Glykogen-Speicherkrankheit Typ II. Verursacht wird sie durch einen genetischen Defekt im Gen für das Glykogen-abbauende Enzym saure α-Glucosidase (GAA). Das Enzym fehlt oder hat eine zu niedrige Aktivität. Das führt zur Anreichung von Glykogen, was dann Funktionsstörungen in mehreren Organen, insbesondere in der Muskulatur, dem Herzen und der Leber, nach sich zieht.
Morbus Pompe kann bereits im Säuglingsalter auftreten (IOPD, infantile-onset Pompe Disease), das ist die schwerste Form der Erkrankung. In der späten Verlaufsform (late-onset Pompe Disease, LOPD) kommt es fortschreitend zu Schädigungen.
Mit Alglucosidase alfa gibt es seit vielen Jahren bereits eine Enzymersatztherapie. Nun ist eine weitere hinzugekommen: Avalglucosidase alfa (Nexviadyme® 100 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Sanofi). Zugelassen ist Avalglucosidase alfa für die langfristige Behandlung des Morbus Pompe – sowohl bei IOPD als auch bei LOPD.
Avalglucosidase alfa ist so konzipiert, dass es an den Mannose-6-Phosphat (M6P)-Rezeptor bindet, über den die Aufnahme der Enzymersatztherapie in die Zellen und der Transport zum Lysosom erfolgt. Das Molekül weist im Vergleich zu Alglucosidase alfa einen durchschnittlich 15-fach höheren Anteil an M6P-Resten auf. Das soll dazu führen, dass Avalglucosidase alfa besonders gut in die Körperzellen aufgenommen und der Abbau von Glykogen in den Zielgeweben verbessert wird.
Eine wichtige Basis für die Zulassung von Nexviadyme sind die Ergebnisse der randomisierten und doppelblinden COMET-Studie, in der Avalglucosidase alfa bei 100 LOPD-Patienten mit Alglucosidase alfa verglichen wurde. Entweder erhielten die Teilnehmer über 49 Wochen alle zwei Wochen 20 mg/kg Körpergewicht (KG) Nexviadyme oder Alglucosidase. Primärer Endpunkt war die Veränderung der forcierten Vitalkapazität (FVC) in sitzender Position von Studienbeginn bis Woche 49.
Unter Avalglucosidase alfa verbesserte sich die FVC um 2,9 Prozent gegenüber dem Ausgangswert, unter Alglucosidase alfa um 0,5 Prozent. Damit ist eine Nichtunterlegenheit des Neulings statistisch nachgewiesen. Eine statistisch signifikante Überlegenheit wurde knapp verfehlt.
Die Ergebnisse der Mini-COMET-Studie, in der Avalglucosidase alfa bei IOPD-Patienten untersucht wurde, zeigten nach sechs Monaten bei sekundären Endpunkten zur Wirksamkeit eine Verbesserung oder Stabilisierung, etwa beim Quick-Motor-Function-Test, beim pädiatrischen Behinderungsindex sowie bei der Messung der Augenlidstellung. Untersucht wurden in der Studie IOPD-Patienten, die unter Alglucosidase alfa nicht ausreichend gut angesprochen hatten oder deren Zustand sich verschlechtert hatte.
Nexviadyme® ist seit Anfang August auf dem deutschen Markt verfügbar. / Foto: Sanofi
Die empfohlene Dosis für Avalglucosidase alfa beträgt 20 mg/kg KG bei Anwendung einmal alle zwei Wochen. Das Arzneimittel wird intravenös infundiert. Zur Vermeidung oder Verringerung von allergischen Reaktionen können Patienten mit Antihistaminika, Antipyretika und/oder Corticoiden vorbehandelt werden. Bei Patienten, die bei den ersten Infusionen keine wesentlichen Nebenwirkungen zeigen, kann die Infusion zu Hause erwogen werden.
Die am häufigsten berichteten unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren Juckreiz, Ausschlag, Kopfschmerzen, Urtikaria, Fatigue, Übelkeit und Schüttelfrost. Gesonderte Warnhinweise sind in der Fachinformation zu möglichen Überempfindlichkeitsreaktionen und infusionsbedingten Reaktionen zu finden.
Nexviadyme darf während der Schwangerschaft nur angewendet werden, wenn der potenzielle Nutzen für die Mutter die potenziellen Risiken, auch für den Fetus, überwiegt. Ähnlich in der Stillzeit: Dann darf die Enzymersatztherapie nur zum Einsatz kommen, wenn der potenzielle Nutzen für die Mutter die potenziellen Risiken, auch für das gestillte Kind, überwiegt.
Avalglucosidase alfa ist die erste neue Behandlungsmöglichkeit für Morbus-Pompe-Patienten seit mehr als 15 Jahren. Der Wirkstoff kann als Schrittinnovation eingestuft werden. Tendenziell waren die Ergebnisse in der COMET-Studie, die bei LOPD-Patienten mit Avalglucosidase erzielt wurden, nämlich besser als jene unter Alglucosidase. Eine statistische Überlegenheit wurde knapp verfehlt. Die Mini-COMET-Studie zeigt ferner, dass IOPD-Patienten, die unter Alglucosidase alfa nicht ausreichend gut angesprochen hatten oder deren Zustand sich verschlechtert hatte, durchaus von Avalglucosidase profitieren können. Ein drittes Argument für die Einstufung als Schrittinnovation ist die Konzeption des Moleküls. Im Vergleich zu Alglucosidase alfa ist der Anteil an Mannose-6-Phosphat wesentlich höher, was für eine besonders gute und effektive Aufnahme in die Körperzellen sorgen soll.
Sven Siebenand, Chefredakteur