Neue Chancen in der Therapie |
HBV ist als einziger Vertreter der Hepatitis-Viren ein DNA-Virus. Diese verhalten sich meist komplexer als RNA-Viren. Da das Virus seine DNA in das Wirtsgenom integriert, verbleibt es ein Leben lang im Körper des Menschen. Aus diesem Grund kann bisher keine »echte Heilung« erzielt werden. Auch nach erfolgreicher Virusrepression und klinischer Ausheilung bleibt das Risiko einer seltenen Reaktivierung bestehen.
Hepatitis-Patienten müssen ärztlich gut überwacht werden, auch um das Fortschreiten einer chronischen Infektion frühzeitig zu erkennen. / Foto: Adobe Stock/RFBSIP
Eine vollständige Heilung würde voraussetzen, dass die integrierte DNA entfernt oder zumindest dauerhaft stillgelegt werden kann. Davon ist die Forschung zurzeit noch weit entfernt. Das übergeordnete Ziel lautet daher, nicht mehr nur das Virus zu kontrollieren, sondern die »funktionelle Heilung« voranzutreiben. Eine funktionelle Heilung ist durch eine dauerhafte Immunkontrolle und den Verlust des HBsAg charakterisiert. Neue potenzielle Wirkstoffkandidaten greifen an verschiedenen Punkten der Virusvermehrung und hier an neuen Targets an.
Über Bindung an den NTCP-Rezeptor (NTCP: Natrium-taurocholate cotransporting polypeptide) heftet sich das Virus an die Wirtszelle an und tritt anschließend durch Endozytose in die Leberzelle ein. Sogenannte Entry-Inhibitoren greifen in diesen Prozess ein und können so die Infektion von noch uninfizierten Hepatozyten verhindern. Ein Vertreter dieser Klasse ist Myrcludex B (Bulevirtid). Das synthetische Peptid konkurriert am NTCP-Rezeptor mit dem Virion um die Aufnahme in die Leberzelle. Als Virionen werden infektiöse Virusteilchen außerhalb der Wirtszelle bezeichnet. In klinischen Studien sowohl bei HBV- als auch Hepatitis-D-Virus-(HDV)-Infektionen war Bulevirtid wirksam gegen beide Virustypen.
Eine kontinuierliche Virusvermehrung hält die chronische Infektion aufrecht, indem ständig weiter Virionen gebildet werden, die wiederum neue Hepatozyten infizieren können. Kapsid-Inhibitoren verhindern die Bildung des Viruskapsids in der infizierten Zelle und reduzieren somit die Freisetzung neuer infektiöser Virionen. Zurzeit werden verschiedene Kapsid-Inhibitoren in klinischen Phase-I- und -II-Studien untersucht, zum Beispiel ABI-H0731. Künftig könnten sich diese Substanzen unter anderem für eine Kombinationstherapie mit den gängigen Polymerase-Inhibitoren eignen, um die Virusvermehrung stärker zu hemmen, als es unter Monotherapie möglich ist.
Der Replikationszyklus des Hepatitis-B-Virus weist einige Besonderheiten auf. Denn obwohl es sich um ein DNA-Virus handelt, verläuft der Vermehrungszyklus über eine RNA-Zwischenstufe, die sogenannte prägenomische RNA (pgRNA), die durch reverse Transkription wieder in DNA umgeschrieben wird. Das Virusgenom liegt im Kapsid zunächst als entspannte zirkuläre Form (relaxed circular DNA) vor. Erst nach Eintritt in den Zellkern verwandeln DNA-Reparaturmechanismen diese in einen doppelsträngigen, kovalent geschlossenen Ring – die cccDNA (covalently closed circular DNA). Sie stellt eine Art Minichromosom dar und bildet die genetische Vorlage für die virale RNA und somit die Synthese aller viralen Proteine und DNA.
Aus diesem Grund ist die cccDNA eine Zielstruktur bei der Entwicklung neuer Therapieoptionen. Hierbei werden zwei Wirkstrategien unterschieden: Direkte Mechanismen zielen darauf ab, cccDNA aus infizierten Zellen zu eliminieren und somit ihre transkriptionelle Aktivität vollständig zum Schweigen zu bringen. Andere Stoffe sollen die Produktivität der cccDNA reduzieren. Möglicherweise greifen auch hier Kapsid-Inhibitoren über einen zweiten Wirkmechanismus ein, indem sie die cccDNA destabilisieren, wodurch die HbsAg-Last reduziert und die virale DNA stillgelegt werden könnte.
Neben der Hemmung der Virusvermehrung wird nach therapeutischen Möglichkeiten gesucht, die Immunantwort des Wirtsorganismus auf den Erreger zu verstärken, denn bei HBV-Infektionen ist die natürliche Immunantwort in der Regel reduziert. Eine Zielstruktur ist hier das HBs-Antigen, das infizierte Wirtszellen üblicherweise in großem Überschuss produzieren und das möglicherweise das Immunsystem hemmt. Das Nukleinsäure-Polymer (Nucleic acid-based polymer NAP) REP 2139 bindet intrazellulär an das HBs-Antigen und verhindert so dessen Freisetzung. Im Moment befindet sich der Wirkstoffkandidat in Phase II einer klinischen Studie zur Behandlung der Hepatitis B und D.
Die Applikation von small interfering RNA (siRNA) mit leberspezifischen Vektoren wie JNJ3989 stellt eine weitere Möglichkeit dar, die HBs-Antigenlast gezielt zu reduzieren. Das Wirkprinzip der RNA-Interferenz basiert auf einem natürlichen zellulären Prozess, der die gezielte Abschaltung von Genen auf Ebene der Proteinbiosynthese ermöglicht. Die Wechselwirkung von siRNA mit komplementärer mRNA führt dazu, dass diese selektiv abgebaut wird. Somit steht die mRNA nicht mehr für den letzten Schritt der Proteinbiosynthese (Translation) zur Verfügung und die Menge des dadurch kodierten Proteins in der Zelle nimmt ab. Von einer Abnahme des HbsAg erhoffen sich Forscher eine Verbesserung der Immunantwort.
Im Endstadium einer Leberzirrhose bietet nur die Organtransplantation eine Heilungschance. Im Bild der Transport eines Spenderorgans. / Foto: DSO/Andreas Steeger
Eine chronische Infektion mit dem Hepatitis-D-Virus (HDV) gilt als besonders aggressiv und schwierig zu therapieren. Mediziner nennen das Virus aus diesem Grund häufig auch »D wie devil«. 70 bis 90 Prozent der HDV-Infektionen verlaufen schwer. Auch bei jungen Menschen führt eine Infektion rasch zur Leberzirrhose und macht relativ bald eine Transplantation notwendig. Auf die aktuelle Standardtherapie mit Interferon α (IFNα) sprechen gerade einmal 25 Prozent der Patienten an.
Da das Virus ein Oberflächen-Protein des B-Virus, das HbsAg, benötigt, um infektiöse Viruspartikel bilden zu können, tritt eine HDV-Infektion niemals allein, sondern immer als Co-Infektion neben HBV auf. Primäres Ziel der HDV-Therapie ist daher die erfolgreiche Bekämpfung der HBV-Infektion. Deshalb werden therapeutische Ansätze der HBV-Therapie wie der Einsatz von Entry-Inhibitoren oder die Blockade der HbsAg-Freisetzung durch Nukleinsäure-Polymere wie REP 2139 auch in der Behandlung von HDV-Infektionen erprobt.