Neue Ansätze beim Grauen Star |
Annette Rößler |
19.11.2021 12:00 Uhr |
Die Linsentrübung bei Katarakt ist bei bestimmten Lichtverhältnissen manchmal sogar mit bloßem Auge erkennbar. / Foto: Adobe Stock/Africa Studio
Beim Grauen Star oder auch Katarakt trübt sich die Linse des Auges ein, sodass das Sehvermögen nach und nach verloren geht. Es ist vor allem eine Erkrankung des älteren Menschen: Zwischen 65 und 74 Jahren ist etwa jeder Fünfte betroffen, bei den Über-74-Jährigen mehr als die Hälfte. Der deutsche Name leitet sich ab vom starren Blick, den Patienten infolge des Sehverlusts mit der Zeit bekommen, und daher, dass die Linse zunehmend grau erscheint. Als Katarakt, also Wasserfall, wurde die Erkrankung bezeichnet, als man noch der irrigen Auffassung war, der Sehverlust komme durch Substanzen zustande, die im Auge herabfließen. Tatsächlich ist der Seheindruck, den Betroffene schildern, »wie durch einen Schleier oder Nebel«.
In Entwicklungsländern ist der Katarakt der Hauptgrund für Erblindungen, in Deutschland und anderen Industrienationen hingegen nicht. Hier ist die operative Entfernung der getrübten Linse und der Ersatz durch eine Kunstlinse ein Routineeingriff, der jährlich bei etwa 700.000 Patienten vorgenommen wird. Er erfolgt in der Regel ambulant und der Patient kann bereits nach einer Stunde wieder nach Hause. Danach ist das Sehvermögen meist wieder deutlich besser, auch bei schlechten Lichtverhältnissen.
Bei neun von zehn Patienten mit Grauem Star ist die Erkrankung eine Alterserscheinung (Cataracta senilis). Ist er angeboren (Cataracta congenita), kann er erblich bedingt oder auch die Folge einer Röteln- oder Maserninfektion der Mutter während der Frühschwangerschaft sein. Risikofaktoren für die Entstehung eines Katarakts sind unter anderem Entzündungen, Verletzungen oder Operationen des Auges, aber auch UV-Strahlung, Rauchen, Diabetes, starke Kurzsichtigkeit sowie eine längerfristige Corticosteroidtherapie.
In einer Übersichtsarbeit, die 2020 im Fachjournal »Annals of Translational Medicine« erschien, geht ein Autorenteam um Dr. Jingjie Xu von der Zhejiang-Universität in Hangzhou auf pharmakologische Ansätze ein, die bei Katarakt vielversprechend sein könnten. Hier habe es in den letzten Jahren interessante neue Erkenntnisse insbesondere zu Kristallin-Aggregaten gegeben. Kristalline sind eine Gruppe von wasserlöslichen Proteinen, die in der Linse in einer geordneten Makrostruktur vorliegen. Diese Struktur ist für die Brechkraft und die Klarheit der Linse essenziell; kommt sie durcheinander, bilden sich Aggregate und die Linse trübt sich ein. Solche Trübungen können dabei von verschiedenen Unterformen der Kristalline ausgehen: von α-Kristallinen oder von β/γ-Kristallinen.
25-Hydroxycholesterol könne als Chaperon α-Kristalline in der gewünschten räumlichen Anordnung stabilisieren und somit eine Aggregation verhindern, berichten die Autoren. Die Beschränkung der Wirkung auf α-Kristallin-Aggregate sei jedoch ein Nachteil. In dieser Hinsicht überlegen sei das amphiphile Steroid Lanosterol, das sowohl α- als auch β/γ-Kristallin-Aggregate auflösen und ihre Bildung verhindern könne. In Tierversuchen mit Hunden und Kaninchen sei es bereits gelungen, altersbedingte Linsentrübungen mit Lanosterol zu beseitigen.
Allerdings müssten vor einem breiteren Einsatz von Lanosterol mehrere Probleme gelöst werden. Zum einen sei das auch natürlicherweise in der Linse vorkommende Steroid ein Zwischenprodukt bei der Cholesterolsynthese, was die Aufrechterhaltung einer hohen Konzentration erschwere und womöglich kardiovaskuläre Komplikationen nach sich ziehen könne. Zum anderen sei es nur schwer löslich. Vor dem breiten Einsatz müssten somit besser lösliche Derivate und/oder eine spezielle Technologie gefunden sowie der Abbau von Lanosterol zu Cholesterol unterbunden werden.
Als weiteren möglichen Wirkstoff, der bei Versuchen in vitro die Klarheit der Linse wiederhergestellt habe, erwähnen Xu und Kollegen Rosmarinsäure. Hier beruhe die Wirksamkeit wahrscheinlich auf einem Remodeling von Aggregaten in der Linse. Da es sich zunächst um Ergebnisse aus In-vitro-Versuchen handelt, wären vor einem Einsatz beim Menschen aber zunächst noch grundlegende Fragen unter anderem zur Verträglichkeit, Stabilität und Applikationsart zu klären.
Ein pathogenetischer Faktor, der sich pharmakologisch adressieren lässt, ist oxidativer Stress. Zahlreiche Studien hätten eine deutlich erhöhte Belastung mit reaktiven Sauerstoffspezies in kataraktischen Linsen nachgewiesen, schreiben die Autoren. Die Zellen des Linsenepithels würden dadurch in die Apoptose getrieben und die Kristalline denaturierten, wodurch diese ihre Löslichkeit verlören und Aggregate bildeten.
Einige Studien hätten ergeben, dass Antioxidanzien wie Glutathion, Lutein, Zeaxanthin und Vitamin E oder C die Entwicklung eines Grauen Stars hinauszögern könnten. Allerdings ist die Evidenz nicht eindeutig. Bei Patienten mit Katarakt infolge einer Diabetes-Erkrankung seien Antioxidanzien zudem wirkungslos.
Speziell bei Diabetikern und bei Patienten mit der Stoffwechselstörung Galactosämie könne dagegen die Hemmung der Aldose-Reduktase hilfreich sein. Dieses Enzym wandelt unter anderem Glucose und Galactose in Sorbitol um, wodurch es bei Hyperglykämie, aber auch bei Galactosämie, also einem Überschuss von Galactose, zu einer Akkumulation von Sorbitol und Fructose komme. In der Linse könne dies den oxidativen Stress erhöhen und so zur Entstehung eines Katarakts beitragen. Bei Ratten habe die orale Gabe des Aldose-Reduktase-Hemmers Diosgenin das Fortschreiten einer Galactose-abhängigen Linsentrübung aufgehalten. Auch hier steht die Forschung allerdings noch relativ am Anfang.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass momentan noch kein Wirkstoff in Sicht ist, der der Katarakt-Operation in entwickelten Ländern ernsthaft Konkurrenz machen könnte. Insbesondere die Substanzen mit Wirkung auf die Kristallin-Ordnung könnten aber interessant werden und möglicherweise in ärmeren Ländern viel Leid verhindern. Neben weiteren Studien zur Wirksamkeit ist aber die Voraussetzung, dass es gelingt, leicht zu applizierende Präparate zu einem geringen Preis zu entwickeln.